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       # taz.de -- Teillegalisierung von Cannabis: Bubatzgesetz braucht noch etwas
       
       > Der Bundestag debattiert emotional über den Gesetzentwurf zur
       > Teillegalisierung von Marihuana. Es gibt noch jede Menge Änderungsbedarf.
       
   IMG Bild: Teilnehmerin bei der Hanfparade in Berlin, August 2023
       
       Berlin taz | In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Teillegalisierung
       von Cannabis im Bundestag wird klar: Da sind noch Änderungen fällig. Am
       Mittwochabend diskutierten Vertreter*innen aller Fraktionen in einer
       hochemotionalen Debatte. Zumindest bei Grünen, SPD und FDP war man sich
       einig: Dieser Gesetzentwurf läute einen Paradigmenwechsel in der bislang
       gescheiterten Cannabispolitik ein, im Detail sei er aber noch
       verbesserungswürdig. Die Opposition fragte dagegen: Hat der
       Bundesgesundheitsminister nicht Wichtigeres zu tun?
       
       [1][Der Gesetzentwurf sieht vor], dass in einem ersten Schritt Cannabis aus
       dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen, der Konsum entkriminalisiert
       sowie der unkommerzielle Anbau von Cannabis zu Genusszwecken unter Auflagen
       erlaubt wird.
       
       Konkret heißt das, dass erwachsene Konsumierende – [2][fast 4,5 Millionen
       gibt es] laut Bundesgesundheitsministerium in Deutschland – nicht mehr auf
       dem Schwarzmarkt Cannabis kaufen müssten, sondern zum Beispiel in
       sogenannten Social Clubs. Das sind Anbauvereinigungen, in denen die
       Mitglieder unter strengen Auflagen Cannabis gemeinschaftlich und
       nichtgewerblich anbauen und kontrolliert weitergeben dürfen.
       
       Die Social Clubs müssen strenge Auflagen wie etwa Mindestabstände zu
       Kinder- und Jugendeinrichtungen von 250 Metern einhalten. An jedes Mitglied
       ab 21 Jahren dürften bis zu 25 Gramm Cannabis pro Tag und höchstens 50
       Gramm pro Monat zum Eigenkonsum weitergegeben werden. Bei Menschen zwischen
       18 und 20 sind maximal 25 Gramm pro Tag und 30 Gramm pro Monat vorgesehen,
       außerdem soll es eine Obergrenze für den THC-Gehalt geben.
       
       ## Gescheiterte Drogenpolitik
       
       Der Cannabiskonsum soll nicht in den Social Clubs und ansonsten nur in
       einem Abstand von 200 Metern zu Schulen, Kitas etc. erlaubt sein. Bis zu
       drei Cannabispflanzen dürften Erwachsene auch zu Hause hegen. Maximal 25
       Gramm Cannabis dürfte ein Erwachsener laut Gesetzentwurf besitzen, das
       reicht je nach Vorlieben für rund 100 Joints.
       
       In einem zweiten Schritt soll in Modellregionen auch der gewerbliche Anbau
       und Vertrieb von Cannabis ermöglicht werden. Dabei sollen auch die
       Auswirkungen dieser Modellversuche auf den Konsum in der Bevölkerung und
       den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden. So soll auch
       Gelegenheitskonsument*innen ein legaler Erwerb ermöglicht werden.
       
       Die Teillegalisierung soll von einer großen Aufklärungs- und
       Präventionskampagne begleitet werden, die sich vornehmlich an Kinder,
       Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Bei ihnen gilt regelmäßiger
       Cannabiskonsum aufgrund der [3][noch nicht abgeschlossenen Hirnreifung als
       besonders gefährlich].
       
       „Was ist die ehrliche Bilanz unserer Cannabispolitik?“, fragte
       Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Beginn der ersten Lesung
       des Gesetzentwurfs im Bundestag. Lauterbach verwies auf den seit Jahren
       steigenden Konsum bei jungen Menschen und darauf, dass dieser Konsum
       aufgrund immer höheren THC-Gehalts, toxischer Verunreinigungen und
       suchtsteigernder Beimengungen immer gefährlicher werde.
       
       ## Union spricht von „Lifestylepolitik“
       
       Ziel des Cannabisgesetzes sei einerseits ein verbesserter Kinder- und
       Jugendschutz, so Lauterbach. Zum anderen solle Erwachsenen ein informierter
       und kontrollierter Konsum ermöglicht werden – um damit die
       Gesundheitsgefahren und die Belastungen für Polizei und Justiz zu
       reduzieren, die der Schwarzmarkt mit sich bringt.
       
       Ob es denn nicht drängendere Probleme in der Gesundheitspolitik gebe,
       fragten Vertreter*innen der CDU/CSU wie die Gesundheitspolitikerin
       Simone Borchardt, die auf Krankenhaus- und Apothekensterben, Pflegekollaps
       und noch immer drohende Medikamentenknappheit verwies. „Besinnen Sie sich
       auf die Gesundheit der Menschen, statt Lifestylepolitik zu betreiben“,
       forderte Borchardt den Bundesgesundheitsminister auf. Sie kritisierte, dass
       Lauterbach selbst betone, wie gefährlich der Konsum für Menschen bis 25 sei
       und dennoch den Konsum ab 18 erlaube.
       
       Borchardt und ihre Fraktionskollegin Melanie Bernstein stellten zudem
       infrage, wie das Ziel des Kinder- und Jugendschutzes erreicht werden solle,
       wenn doch gerade erst bei der Suchtprävention und dem Budget der
       Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung massiv gespart wurde. Eine
       Legalisierung sei mit dem Kinder- und Jugendschutz „gar nicht“ vereinbar,
       so CDU-Politikerin Bernstein.
       
       Auch Ates Gürpinar, Gesundheitspolitiker bei der Linken, kritisierte die
       Kürzungen bei der Suchtprävention. Ansonsten sah er es aber als Erfolg,
       dass nach jahrzehntelanger Kritik aus der Wissenschaft endlich ein
       Gesetzentwurf vorliege, auch wenn dieser „näher am Verbot als an der
       Legalisierung“ geraten sei. Auch Gürpinar forderte eine Überarbeitung des
       Gesetzentwurfs, etwa in Bezug auf die strengen Regelungen für die Social
       Clubs.
       
       ## Änderungen wahrscheinlich
       
       Angesichts der Kritik, die am Entwurf aus den eigenen Reihen kam, ist das
       nicht abwegig. So betonte die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten
       Kappert-Gonther, selbst Fachärztin für Psychiatrie, die Regeln für die
       Social Clubs dürften nicht zu streng sein und nicht als „Verbot durch die
       Hintertür“ wirken. Details müssten bis zur finalen Lesung des
       Gesetzentwurfs noch verbessert werden.
       
       Das sieht offenbar auch Kristine Lütke, sucht- und drogenpolitische
       Sprecherin der FDP-Fraktion, so. Bis zur Verabschiedung müsse das Gesetz
       weniger kleinteilig und bürokratisch werden sowie die Auswirkungen der
       Regelungen auf Medizinalcannabis stärker in den Blick nehmen. Vor allem die
       Abstandsgebote bei den Social Clubs und für den Konsum müssten klarer
       formuliert und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit geprüft werden. Dass
       der Konsum in den Social Clubs laut Gesetzentwurf nicht erlaubt sei, gehöre
       ebenfalls auf den Prüfstand.
       
       Die im Gesetzentwurf enthaltene Festlegung von Obergrenzen des THC-Gehalts
       lehne die FDP komplett ab, so Lütke. Damit würden gerade die vulnerablen
       Gruppen auf der Suche nach Substanzen mit höherem Wirkstoffgehalt auf den
       Schwarzmarkt getrieben.
       
       „Wir müssen noch eine Menge Dinge verbessern“, bestätigte auch
       SPD-Abgeordneter Dirk Heidenblut. Die Rechts- und Innenpolitikerin der SPD
       Carmen Wegge sprach von einer „Revolution in der Drogenpolitik“ und betonte
       die Entlastung von Justiz und Sicherheitsbehörden als ein zentrales
       Argument für die Teillegalisierung.
       
       ## Wie viel Geld wird wirklich eingespart?
       
       Gerade dies wurde aber im Vorfeld infrage gestellt. [4][In einem
       Referentenentwurf] des Cannabisgesetzes war von Einsparungen von rund einer
       Milliarde Euro bei Strafverfolgungsbehörden, Gerichten und Justizvollzug
       durch den Wegfall der Strafverfolgung die Rede. Nach heftiger [5][Kritik
       von Seiten des Deutschen Richterbunds] wurden diese Zahlen im aktuellen
       Gesetzentwurf nach unten korrigiert. Der Richterbund erwartet durch die
       Teillegalisierung „allenfalls minimale Entlastungen“.
       
       [6][Auch die Bundesärztekammer] sprach sich im Vorfeld vehement gegen die
       Legalisierungspläne der Bundesregierung aus und sieht darin eine „relevante
       Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen der
       jungen Generation in Deutschland“.
       
       Das von der Bundesärztekammer befürwortete [7][Rauchverbot in Fahrzeugen
       bei Anwesenheit von Minderjährigen und Schwangeren], das ursprünglich
       ebenfalls im Gesetzentwurf enthalten war, ist auf Betreiben der FDP
       gestrichen worden.
       
       Der Entwurf zum Cannabisgesetz wird nun in den Fachausschüssen weiter
       beraten. Mit einer Verabschiedung im Bundestag kann im November gerechnet
       werden. Die Länder, [8][die den Gesetzentwurf im Vorfeld teils ebenfalls
       heftig kritisiert hatten] und Verschärfungen forderten, werden sich
       anschließend im Bundesrat damit befassen, können das Vorhaben aber [9][wohl
       nicht stoppen].
       
       19 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/087/2008704.pdf
   DIR [2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/c/cannabis
   DIR [3] https://karger.com/pha/article/105/11-12/609/267673/Different-Effects-of-Cannabis-Abuse-on-Adolescent
   DIR [4] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/Cannabisgesetz-CanG_RefE.pdf
   DIR [5] https://www.drb.de/positionen/stellungnahmen/stellungnahme/news/18-2023
   DIR [6] https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Politik/Stellungnahmen/Cannabisgesetz_SN_BAEK_24072023_final.pdf
   DIR [7] /Lauterbach-will-Nichtraucherinnen-schuetzen/!5945894
   DIR [8] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2023/0301-0400/367-23(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1
   DIR [9] https://www.brak.de/newsroom/news/cannabis-legalisierung-der-bundesrat-wird-die-legalisierung-nicht-aufhalten/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manuela Heim
       
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