URI: 
       # taz.de -- Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Nur eine absolute Notlösung
       
       > Das Problem ist nicht, einen minimalen Anteil des geschützen Tempelhofer
       > Feldes für Unterkünfte zu nutzen. Das Problem ist die Ballung von
       > Menschen.
       
   IMG Bild: Schon jetzt stehen als Folge einer ersten Änderung des Schutzgesetzes Flüchtlingscontainer am Feld
       
       3,72 Prozent des Tempelhofer Felds. Ein Fünfundzwanzigstel also. So groß –
       oder: so klein – ist jener Anteil am geschützten Tempelhofer Exflugfeld,
       auf dem künftig Unterkünfte für Flüchtlinge stehen könnten. In eineinhalb
       Wochen will der Senat erneut darüber beraten und – so jedenfalls der Plan –
       den Entwurf einer entsprechenden Gesetzesänderung beschließen, [1][nachdem
       das diesen Dienstag nicht klappte].
       
       Ob die Änderung tatsächlich kommt, liegt zwar noch am Abgeordnetenhaus, das
       sich ab Mitte November damit befassen soll. Dort wird aber vor allem
       CDU-Fraktionschef Dirk Stettner auf einen schnellen Beschluss durch die
       schwarz-rote Koalition drängen. Er forderte schon Anfang Juni als Erster
       der führenden Politiker, das Tempelhofer Feld für Flüchtlinge zu nutzen.
       
       Nun könnte man unterstellen, dass da im Hinterkopf auch der Wunsch bei CDU
       und Teilen der SPD mitspielt, den Rand des Feldes grundsätzlich zu bebauen:
       Wenn sich in der Öffentlichkeit erst mal festsetzt, dass Feld nicht bloß
       für Freizeit steht, könnte das die Stimmungslage beeinflussen.
       
       Schließlich, das sagen die Koalitionäre ja immer wieder zu, soll es eine
       [2][2014 noch an einem Volksentscheid gescheiterte Randbebaung] nur nach
       einer erneuten Abstimmung geben. Wie die allerdings aussehen soll, wenn es
       kein klassischer Volksentscheid als Ende eines Volksbegehrens sein soll,
       ist dabei offen.
       
       Das allerdings hieße, die Flüchtlinge für dieses Ziel zu
       instrumentalisieren – und darum stimmen hoffentlich die Beteuerungen bei
       CDU und SPD, dass solche Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren.
       
       ## BUND ist unter Bedingungen einverstanden
       
       3,72 Prozent des Felds für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen und
       das nur auf eine begrenzte Zeit, ist praktisch kein Problem: Es schränkt
       weder Skater, noch Radfahrer noch sonstige Feldnutzer ein. Und [3][selbst
       der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)] hält die Nutzung
       von versiegelten Flächen auf dem Tempelhofer Feld südlich und östlich des
       Vorfeldes für akzeptabel. Voraussetzung ist allerdings laut BUND: „Es darf
       sich nur um mobile Bauten handeln, die der kurzfristigen Unterbringung von
       Zufluchtsuchenden dienen.“ Außerdem müsse gelten: „Diese Nutzung darf nur
       befristet sein.“
       
       Das wirkliche Problem der Feldnutzung ist ein ganz anderes: Es konzentriert
       noch mehr Flüchtlinge an einem großen Standort, so [4][wie auch am anderen
       Exflughafen in Tegel]. CDU-Fraktionschef Stettner sieht das selbst auch so.
       „Massenunterkünfte sind die schlechteste Lösung – abgesehen von keiner
       Lösung“, sagte er schon im Juni.
       
       Eine andere Lösung gibt es aber aus seiner Sicht nicht. Die könnte sowieso
       nur aus alternativen, kleineren Standorten für Unterkünfte bestehen. Denn
       freie Wohnungen sind nicht vorhanden, und alle landeseigenen
       Flüchtlingsunterkünfte voll. Und bis Jahresende erwartet der Senat bis zu
       10.000 weitere Flüchtlinge
       
       Schon im Sommer sagte Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch zu Stettners
       Vorstoß, Flüchtlinge auf dem Feld unterzubringen: „Es gibt überall im
       Stadtgebiet genug bereits versiegelte Flächen, auf denen rasch
       Leichtbauhallen errichtet werden können.“ Sie erwarte mehr Ambition und
       Anstrengung der neuen Task Force bei der Unterbringung.
       
       ## Die Suche nach Alternativen muss weiter gehen
       
       Ihre Erwartungen waren und sind berechtigt: Großunterkünfte dürfen nur die
       letzte Möglichkeit sein. Sie sorgen für all die Probleme im Zusammenleben
       einander fremder Menschen, die jede solche Anballung mit sich bringt –
       Probleme, die der Senat dann wieder lösen müsste. Es ist anzunehmen, dass
       sich keine Landesregierung jedwelcher Couleur solche Probleme freiwillig
       aufbürdet. Darum liegt es nahe, dass der Senat allzu gern kleinere Flächen
       nutzen würde.
       
       Wenn es aber diese von Jarasch beschriebenen Grundstücke in ausreichender
       Zahl gäbe, hätte doch eine Fraktion, Initiative oder Partei schon längst
       jede Liste damit vorgelegt. Die Wahrheit dürfte sein, dass die wenigsten
       laut „Hier!“ rufen, wenn sie in ihrer direkten Nachbarschaft eine solche
       geeignete Fläche erkennen. Das Not-in-my-backyard-Prinzip gilt eben nicht
       nur bei klassischer Wohnbebauung.
       
       Am zeitweisen Ausbau von großen Flüchtlingsunterkünften zu noch größeren
       scheint deshalb derzeit kein Weg vorbei zu führen. „Wenn ich jetzt nicht
       auf Großunterkünfte setze, schicke ich die Menschen unter die Brücke“, hat
       Regierungschef Kai Wegner (CDU) vor kurzem in einem Gespräch mit
       Journalisten gesagt. Auch wenn das sprachlich sehr zugespitzt war, dürfte
       er damit recht haben.
       
       Eines aber darf nicht passieren: Dass durch die Entscheidung pro Änderung
       [5][des Schutzgesetzes fürs Tempelhofer Feld] nun sämtliche Versuche
       erlahmen, die Flüchtlinge anderswo und weit weniger geballt unterzubringen.
       Oberste Devise muss jetzt sein: Versorgen und weiter nach Alternativen
       suchen.
       
       20 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mehr-Unterkuenfte-am-Tempelhofer-Feld/!5963692
   DIR [2] /home4/redakt/alberti/Desktop/volksentscheid_tempelhofer_feld.pdf
   DIR [3] https://www.bund-berlin.de/service/presse/detail/news/tragfaehiges-konzept-zur-gefluechtetenunterbringung-in-tempelhof-ist-erste-prioritaet/
   DIR [4] /Unterbringung-von-Fluechtlingen-in-Berlin/!5962522
   DIR [5] https://thfgesetz.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
       ## TAGS
       
   DIR Wochenkommentar
   DIR Flüchtlinge
   DIR Tempelhofer Feld
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Flüchtlinge
   DIR Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld
   DIR Ukraine
   DIR Tempohomes
   DIR Tempelhofer Feld
   DIR Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Geflüchtete in Berlin: Schlägereien in Tegel
       
       Im Ankunftszentrum auf dem alten Flughafen ist mehrmals Streit zwischen
       Geflüchtetengruppen eskaliert. Sozialsenatorin will die Gründe ermitteln.
       
   DIR Tempelhofer Feld: MacGyver soll’s wieder richten
       
       Albrecht Broemme, erprobtes Organisations-Multitalent, soll die gesamte
       Flüchtlingspolitik des Senats steuern.
       
   DIR Tempelhofer Feld: Versteckte Investoren
       
       Mit einem Trojanischen Pferd demonstriert „100% Tempelhofer Feld“ gegen
       Pläne des Senats. Sie vermuten, dieser schiebe Flüchtlinge vor, um Baurecht
       zu schaffen.
       
   DIR Schwerbehinderte ukrainische Geflüchtete: Regeln blockieren Wohnprojekt
       
       Eine Wohnheim mit ukrainischen Flüchtlingen soll geschlossen werden, weil
       es den Standards nicht entspricht. Viele der Bewohner würden gerne bleiben.
       
   DIR Mehr Unterkünfte am Tempelhofer Feld: Flucht aufs Feld
       
       Der Senat braucht Platz für neue Flüchtlingsunterkünfte. Wie schon 2017
       versucht, soll die Lockerung des Tempelhofer Feld-Gesetzes Abhilfe
       schaffen.
       
   DIR Bebauung des Tempelhofer Feldes: Schwarz-rote Feldversuche
       
       Die Koalition aus CDU und SPD macht Ernst mit ihren Bebauungsplänen für den
       Rand des Tempelhofer Felds. Das trifft auf heftigen Widerstand.
       
   DIR Notunterkünfte in Berlin: Für Flüchtlinge wird es noch enger
       
       Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) fordert ein neues Verteilsystem für
       Flüchtlinge. Stadtstaaten hätten zu wenige Flächen.