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       # taz.de -- Berliner Ausstellung zur Menstruation: Läuft bei dir
       
       > Die Monatsblutung ist laut dem Museum Europäischer Kulturen ein
       > alltagskulturelles Phänomen. Eine Schau will das Thema Menstruation
       > enttabuisieren.
       
   IMG Bild: „Es muss sich was ändern“ leuchtet es in der Ausstellung „Läuft“. Aber was muss sich ändern?
       
       „Ich blute, also bin ich“, leuchtet in roten Lettern auf einen herab. Statt
       eines Punkts krönt ein Fragezeichen das Satzende. Es ist also weniger eine
       Erkenntnis im Descart’schen Sinne, die hier im Dahlemer Museum Europäischer
       Kulturen (MEK) ausgestellt wird, als Anlass, sich Fragen zu stellen. Fragen
       über eine der natürlichsten Sachen der Welt: die Menstruation.
       
       [1][Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit menstruieren] – heißt es in der
       Broschüre – mehr oder weniger regelmäßig und doch bleibt das Thema
       vielerorts tabuisiert und schambehaftet. Etwas aufgebrochen zwar in den
       vergangenen Jahren, auch dank sozialer Medien und Popkultur, ist die
       Aufklärung hier bei Weitem noch nicht fortgeschritten genug. Ähnlich
       formulierte es auch MEK-Direktorin Elizabeth Tietmeyer bei einem
       Pressegespräch zur Eröffnung der Ausstellung mit dem einfachen, doch
       prägnanten Titel „Läuft“.
       
       Oft sei sie gefragt worden, warum sie und die Kuratorinnen Jana
       Wittenzellner und Sofia Botvinnik diesem scheinbar banalen Thema museal
       Aufmerksamkeit schenkten. Die Antwort klingt logisch wie simpel: Als MEK
       widme man sich alltagskulturellen Phänomenen.
       
       Wie alltäglich die Menstruation ist, wissen menstruierende Menschen. Dass
       sie Teil eines ausgeklügelten Zyklus ist, der je nach Phase
       unterschiedliche Auswirkungen auf Körper und Psyche hat, nicht zwingend.
       „Läuft“, antwortet auf diese wie weitere Wissenslücken mit gefilmten
       Interviews von Ärzt*innen und Lehrenden, Fotos, Grafiken sowie Werbe- und
       Kulturproduktionen rund ums Thema.
       
       So informieren beispielsweise große Plakate, ähnlich der
       Jung-Koch-Quentell-Rollkarten, die ab den 1960er Jahren vor allem
       Biologisches im Schulunterricht illustrativ veranschaulichen sollten, über
       den Zyklus, den Aufbau der Gebärmutter und die Beschaffenheit von
       Menstruationsblut – inklusive einer Skala verschiedener Rottöne zum
       Abgleich. Auch eine Mengenangabe des sich alle paar Wochen absondernden
       Blutes wird mithilfe einer rotgefärbten Flüssigkeit abgebildet.
       
       ## Rot gegen die Scham
       
       Igitt? Von wegen! Der Scham, die dem monatlichen Bluten auch heute noch
       anhaftet, möchte man hier deutlich etwas entgegensetzen: So zieren schon
       den Eingang der Ausstellung wandfüllend dunkelrote Sprenkel, die an im
       Monatsblut enthaltene Gewebereste erinnern. Rot ist überhaupt und
       konsequenterweise die tonangebende Farbe der Schau – weg vom steril
       wirkenden Blau, wie es lange Zeit in Werbespots für weibliche
       Hygieneprodukte benutzt wurde.
       
       Um etwaige Hemmschwellen abzubauen, gibt es zudem Menstruationsprodukte zum
       Anfassen – leider ohne visuelle Einführanleitung – sowie „Wäschestücke für
       besondere Zeiten“ zum Anprobieren. Letztere wurden in Handarbeit, nach
       einer über 100 Jahre alten Anleitung von einer Mitarbeiterin des MEKs
       nachgenäht.
       
       Interaktiv und humorvoll sollte die Ausstellung werden, sagt Wittenzellner,
       richte sie sich doch auch an Schulklassen und deren Lehrkräfte, für die
       übers kommende Jahr verteilt Workshops und Fortbildungen angeboten werden.
       In ihnen solle detailliert auf Fragen eingegangen werden, die auch immer
       wieder in der Ausstellung, etwa auf Umkehrtafeln, aufploppen: „Wenn deine
       Periode ausbleibt, bist du dann schwanger?“ oder „Ist Periodenblut
       unhygienisch?“
       
       Auch jenseits von Workshops haben sich die Kuratorinnen bemüht, zur
       Entmystifizierung der Periode beizutragen: So wird etwa der lange gern
       synonym verwendete Begriff „Regel“ erklärt und schließlich dekonstruiert,
       was den hoch individuellen Zyklus Menstruierender zumindest verbal aus der
       Normierung befreit. Hier beginnt auch der politische und kulturhistorische
       Teil der Menstruationsgeschichte, der neben wächsernen Krötenvotiven aus
       dem 18. und 19 Jahrhunderts zur Linderung von Krämpfen auch
       [2][Diskussionen um den sogenannten „Menstruationsurlaub“] thematisiert.
       
       Anhand von Social-Media-Beiträgen samt ihren Bildern (ja, hier hat jemand
       das Internet ausgedruckt!) weist man andernorts daraufhin, dass nicht alle
       Frauen menstruieren und nicht alle Menstruierenden Frauen sind. Diese
       Sichtbarmachung ist schön und wichtig, eine Aufklärung darüber, was
       Menstruieren für trans Personen tatsächlich bedeutet, wäre für ein jüngeres
       Publikum sicher auch interessant gewesen, diese fehlt aber.
       
       Dennoch dokumentiert „Läuft“ auf wunderbare Weise, wie das Thema
       Menstruation es in den vergangenen Jahren vom Privaten ins Öffentliche
       geschafft hat. Alltagsgegenstände in Kunst verwandeln, das haben schon
       [3][Sherman] und Beuys gemacht. Vielleicht ist hier einiges nicht neu, aber
       es wird viel Wissen vermittelt. Sind das dann schon zehn von zehn?
       
       24 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Internationaler-Tag-der-Menstruation/!5775167
   DIR [2] /Diskussion-ueber-Menstruationsbeschwerden/!5853996
   DIR [3] /Ausstellung-zu-Kuenstlerin-Cindy-Sherman/!5966158
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophia Zessnik
       
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