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       # taz.de -- Streit um Sprache in der Ukraine: Verbaler Schlagabtausch im Taxi
       
       > Ein Taxifahrer weigert sich, mit zwei Frauen Ukrainisch zu sprechen. Der
       > Streit eskaliert. Er wird gefeuert, bekommt aber auch Unterstützung.
       
   IMG Bild: Auf den Straßen von Kyjiw, während eines Blackouts nur notdürftig beleuchtet
       
       Kyjiw taz | Früher als vereinbart hält das Taxi in der ukrainischen
       Hauptstadt Kyjiw an. Der Fahrer steigt aus, stellt das Gepäck der Fahrgäste
       an den Straßenrand und bittet die Frauen, auszusteigen. Dem vorausgegangen
       war ein Streit über die Sprache. Obwohl die Frauen den Fahrer aufgefordert
       hatten, sie in der Staatssprache, also Ukrainisch, zu bedienen, antwortete
       dieser ausschließlich auf Russisch.
       
       Als die Frauen weiterhin auf dem Gebrauch des Ukrainischen beharrten, hielt
       dieser kurzerhand an und setzte die beiden auf die Straße. „Ihr seid doch
       krank, macht, dass ihr rauskommt“, sagte er. Was er nicht wissen konnte:
       Der Vorgang wurde gefilmt. Anschließend ging das Video in sämtlichen
       ukrainischen Medien viral.
       
       Inzwischen hat sich der Beauftragte für den Schutz der Staatssprache, Taras
       Kremin, eingeschaltet. Der Taxifahrer habe [1][das Gesetz über den Gebrauch
       der ukrainischen Sprache] verletzt. Bei einer Verurteilung droht ihm eine
       Geldstrafe von umgerechnet hundert Euro. Der Arbeitgeber des Fahrers, die
       Firma Bolt, ließ verlauten, dass man sich von dem Fahrer getrennt habe.
       
       Auch wenn der Vorfall nun schon eine Woche zurückliegt, sorgt er in den
       sozialen Netzen weiterhin für Aufruhr. „Ich frage mich, warum dieser
       Taxifahrer und andere so dreist handeln? Haben sie das Gefühl, dass sie
       völlig ungestraft bleiben? Das Gesicht und das Nummernschild des Fahrers
       wurden auf Video aufgenommen. Es dürfte nicht schwer sein, ihn zu finden.
       Wird es eine weitere ‚Entschuldigung‘ vor der Kamera geben?“, schreibt der
       Blogger Igor Solomadin aus Charkiw.
       
       ## Keine Entschuldigung
       
       Am Samstag ging der Taxifahrer in einem Video auf den Vorfall ein. Doch
       statt sich zu entschuldigen, bedankte er sich für die Unterstützung und
       bewies zudem, dass er sehr wohl des Ukrainischen mächtig ist.
       
       Olexi Arestowitsch, Ex-Berater im Präsidialapparat, erklärte, er werde dem
       entlassenen Fahrer bei der Suche nach Arbeit helfen. In Anspielung auf den
       Beauftragten zum Schutz der staatlichen Sprache meinte Arestowitsch, der
       Fahrer sei offensichtlich das Opfer der „Sprachentaliban“ geworden.
       
       Auch der Abgeordnete Juri Bojko, der bis zu deren Verbot im Juni 2022
       Mitglied der Fraktion „Oppositionsplattform für das Leben“ war, stellt sich
       hinter den Taxifahrer. „Hört auf, die Gesellschaft und die Ukrainer zu
       spalten“, warnt er auf seinem Telegram-Kanal.
       
       Und auf dem Instagram-Account des Taxiunternehmens Bolt häuften sich Posts
       von Personen, die eine Wiedereinstellung des Fahrers fordern. Außerdem, so
       ein Nutzer, sei es nicht korrekt, dass Bolt persönliche Daten des Fahrers
       veröffentlicht habe.
       
       ## Angebot für Sowjetnostalgiker
       
       In Frankreich werde man auch nicht auf Russisch bedient und in Estland
       könne man mit einem russischsprachigen Angebot nur ältere Damen mit
       Sowjetnostalgie gewinnen, meint hingegen der Geschäftsmann Sergej
       Martschenko auf Facebook. Ausgerechnet in der Ukraine, die im Krieg mit
       Russland sei, gebe es Leute, die unbedingt in der Sprache des Besatzers
       sprechen wollen.
       
       Und Irina Farion, ehemalige Abgeordnete der rechtsradikalen Swoboda-Partei,
       fordert, den Fahrer sofort in ein Strafbataillon an der Front zu schicken.
       „Dort sollen sie Schützengräben graben für unsere heiligen Soldaten. Solche
       Menschen haben nur eins verdient: ihre vollständige Entsorgung“, zitiert
       die Nachrichtenagentur Unian Farion.
       
       Einen versöhnlicheren Ton schlägt Antisemitismusforscherin Marta Havryshko
       auf ihrer Facebook-Seite an. „Ein mir nahestehender Mensch liegt in einem
       Krankenhaus in Lwiw. Er kämpft um sein Leben. Aber was beunruhigt seine
       Mitpatienten? Nicht sein Stöhnen, sondern die Tatsache, dass er die
       Krankenschwester auf Russisch gerufen hat“, schreibt die Wissenschaftlerin.
       
       Sie selbst spreche privat und im Beruf konsequent Ukrainisch. „Aber
       Hasssprache gegen Menschen, die Russisch sprechen, ist für mich nicht
       akzeptabel. Man muss die ukrainische Sprache fördern, aber bitte nicht mit
       Gewalt.“
       
       5 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kulturpolitik-im-Ukraine-Krieg/!5948301
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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