# taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Hessen: Showdown in Wiesbaden
> Hessens Ministerpräsident will über seine nächste Koalition entscheiden.
> Ein Wechsel von den Grünen zur SPD hätte bundesweit Folgen.
IMG Bild: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat die Wahl zwischen „Weiter-so“ und Experimenten
Wiesbaden taz | Kurz vor der Entscheidung wagen selbst Insider der
hessischen Landespolitik keine Prognose, mit wem Ministerpräsident Boris
Rhein Hessen zukünftig regieren will. G[1][eht er mit den Grünen in eine
dritte Legislaturperiode, oder setzt er den bisherigen Koalitionspartner
vor die Tür?] Sollte er sich an diesem Freitag für Koalitionsverhandlungen
mit der SPD entscheiden, wäre das ein Signal mit Auswirkungen auch für die
Bundespolitik.
Die SPD-Landesvorsitzende, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, würde ihre
Partei in diesem Fall nach 25 Jahren in der Opposition in Hessen zurück in
Regierungsverantwortung bringen. Für den amtierenden
[2][Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir], den die Grünen vor der Wahl
sogar zum Ministerpräsidentenkandidaten ernannt hatten, wäre das nach dem
enttäuschenden Wahlergebnis ein Tiefschlag und würde wohl sein vorzeitiges
Karriereende einleiten.
Als sicher gilt nur, dass am Freitagvormittag die Gremien der Landes-CDU
hinter verschlossenen Türen beraten. Um die Mittagszeit wird die
Entscheidung erwartet. Selbst die möglichen Partner würden erst nach diesen
Beratungen informiert, hieß es in Wiesbaden. Aus den vertraulichen
Sondierungen mit beiden möglichen Partnern drangen bis zuletzt keine
Informationen. Nur dass sie „atmosphärisch positiv und inhaltlich
konstruktiv“ gewesen seien, gab Verhandlungsführer Rhein an, ohne eine
Präferenz erkennen zu lassen.
## Komfortabler Wahlsieg für Rhein
Vor fünf Wochen bescherten die WählerInnen dem hessischen
Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Rhein einen komfortablen Wahlsieg:
34,6 Prozent für die CDU sind zwar das zweitschlechteste Ergebnis in Hessen
seit mehr als 50 Jahren, doch weil die Linken an der 5-Prozent-Hürde
scheiterten und die AfD mit 18,4 Prozent besser abschnitt als die SPD (15,1
Prozent) und Grüne (14,8 Prozent), kann sich der Sieger unter den
Verlierern einen Koalitionspartner aussuchen.
Seit einem Jahrzehnt regieren in Hessen CDU und Grüne in der ersten
schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland. Im Wahlkampf hatten beide
die Zusammenarbeit als konstruktiv gepriesen. Doch die Fortsetzung dieser
Koalition gilt seit dem Wahltag nicht mehr als ausgemacht. Bereits im
Wahlkampf setzte sich Rheins CDU polemisch von vermeintlich grünen
Positionen ab. „Auto verbieten verboten!“, ließ Rhein plakatieren, in der
Asyldebatte forderte er einen härteren Kurs.
In diesem Zusammenhang kritisierte er vornehmlich die Ampel im Bund, traf
aber natürlich auch seinen grünen Regierungspartner. Mit der SPD, so konnte
man Rheins Auftritt als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz
lesen, wäre da mehr möglich als mit den Grünen in Bund und Ländern. Die
bislang weitgehend geräuschlose Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen
steht nach möglichen Koalitionsverhandlungen vor einer Bewährungsprobe.
Nach der Landtagswahl vor fünf Jahren, als rechnerisch sogar eine
Grün-geführte Ampel unter Al-Wazir möglich gewesen wäre, hatte der damalige
Ministerpräsident und CDU-Landeschef Volker Bouffier Zugeständnisse
gemacht. Grüne RessortchefInnen waren in den fünf Jahren in vier wichtigen
Ministerien unter anderem für Wirtschaft, Verkehr, Landesplanung, Energie,
Umweltschutz, Landwirtschaft, Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Kunst
– also für zentrale Bereiche der Landespolitik – zuständig.
## SPD würde wohl nicht verzichten
Je erfolgreicher CDU-Chef Rhein bei Koalitionsverhandlungen die Macht der
Grünen beschränken würde, desto höher wäre das Risiko, am Ende zu
scheitern. Das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen muss laut
Grünen-Satzung nämlich bei einer Urabstimmung von rund zehntausend
Mitgliedern gebilligt werden.
[3][Bei der Hessen-SPD] entscheidet eine Delegiertenkonferenz über einen
Koalitionsvertrag. Die Delegierten würden nach den vielen Niederlagen der
vergangenen Jahre die Chance auf eine Regierungsbeteiligung in Hessen
ziemlich sicher nicht vorbeiziehen lassen. Nicht nur das geringere Risiko
spricht für den Wechsel des Koalitionspartners. Rhein, der im Mai letzten
Jahres das Amt des Ministerpräsidenten von Bouffier übernommen hatte,
könnte sich damit von seinem Vorgänger absetzen. Bouffiers historische
Leistung war es, die einst feindlichen Lager zusammenzuführen.
Die Grünen, die die Erzkonservativen in der hessischen CDU als
„Stahlhelmfraktion“ beschimpft hatten, als Koalitionspartner mit ebendieser
CDU, deren Vorleute die Grünen zuvor als „Sicherheitsrisiko“ und
„Steinewerfer“ beschimpft worden waren? Der Rollentausch ist beiden nicht
leicht gefallen. Nach der Regierungsbildung murrten in der CDU viele über
den Machtzuwachs der Grünen. Mit SPD und CDU an der Macht dürfte sich beim
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, bei der Entwicklung des Frankfurter
Flughafens und in der Landwirtschaft einiges ändern.
9 Nov 2023
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## AUTOREN
DIR Christoph Schmidt-Lunau
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