# taz.de -- Massenpsychose Zuwanderung: Schön weird
> Eine Scholz-Rede über den „Pull-Faktor“-Fetisch wäre eine schöne
> Überraschung. Habeck bleibt derweil Deutschlands sympathischster
> Verbindungslehrer.
IMG Bild: Robert Habeck gibt ein Interview vor seinem Abflug nach London am 2. November
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Die Meinungen sind schneller als die Fakten.
Und was wird besser in dieser?
Langsamkeit.
[1][Jetzt sprechen sich auch die Grünen für ein Migrationslimit aus.] Als
nächstes die Linke?
Für die Grünen hat die Opa-Enkelin-Kombi Kretschmann und Lang den Popanz an
der Stange gegrüßt: „Es kann nicht jeder bleiben.“ Dann folgen bekannte
Binsen wie die Überforderung der Kommunen, der Wunsch nach stabiler
Finanzierung und einer europäischen Lösung. In Langs Alter war Kretschmann
beim KBW und huldigte Mao. Wenn Lang eine ähnliche Lernkurve hinlegt, finde
ich es tröstlich, an deren oberem Scheitelpunkt nicht mehr teilhaben zu
werden. Jedenfalls bietet die wagenentknechtete Linke nun als Einzige den
interessanten Versuch an, die Massenpsychose Zuwanderung souverän zu
ignorieren. Es ist honorig, mit einer klaren Alternative zur AfD genau so
zu scheitern wie die anderen mit dem Nachäffen der AfD.
Am Montag treffen sich die Länderchefs im Kanzleramt zum Flüchtlingsgipfel.
Was wäre dabei das überraschendste Ergebnis?
Wenn Scholz anhübe zu sprechen: „Mehr geht nicht. Die FDP blockiert die
Zahlungen an Länder und Kommunen. Der „Pull-Faktor“ ist ein unbewiesener
Fetisch. Und – nur, weil wir alle zusammen die Hosen voll haben vor der AfD
– kümmern wir uns jetzt trotzdem mal lieber um Wohnungen, Bildung, sozialen
Ausgleich. Denn das sind wie wahren und berechtigten Ängste hinter der
aufgeblasenen Migrationsdebatte. Asylbewerber noch ein bisschen
schuriegeln, Muslime noch ein wenig mehr dämonisieren – alles schön und
gut, aber uns fällt doch bald selbst schon nix mehr ein. Das kleine
Deutschland wird am globalen Phänomen Migration nichts ändern, sondern das
beste draus machen. Let’s face it bzw. Endwumms bzw. irgendwas mit
Comicsprache. Euer Scholle.“
[2][Bundesminister Lindner findet einen Kohleausstieg 2030 doch nicht mehr
so toll,] im Koalitionsvertrag hat er noch zugestimmt. Wieso ist der so
launisch?
Lösche „launisch“, setze ein „querulant“. Ja, leider mit einem „e“. Egal.
Die FDP hat ein halbes Dutzend Wahlen vergeigt und sich drob drauf
konzentriert, in der Ampel zu mobben. Damit verlor sie noch mehr Wahlen.
Inzwischen schäkert der Kanzler immer mal mit der Union; mal um die Grünen,
mal um die FDP zu dissen. Die Grünen können das gelassen betrachten, sie
werden nach der nächsten Bundestagswahl noch da sein.
[3][Alle feiern Robert Habeck (für seine Rede zur Lage der Nation)]. Sie
auch?
Eine Habeck-KI performed eine Hendrik-Wüst-Rede, die besser Baerbock
gehalten hätte, um ihre außenpolitische Linie zu erklären. Schön weird.
„Wer kein Deutscher ist, riskiert seinen Aufenthaltsstatus, wer keinen
Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden.“ Mit
diesem Satz hätte man eine Blindverkostung machen können. Und sich
überraschen lassen, dass er AfD, Union, FW, FDP eher zugetraut würde – und
am wenigsten Habeck. Da war für jeden was dabei und er performed das in
mitreißender Atemlosigkeit, lässt den Teleprompter vergessen und verhaspelt
sich nur ein, zwei Mal, was organisch gesetzte Schnitte verdecken. Respekt.
Habeck bleibt Deutschlands sympathischster Verbindungslehrer: Er kann das
komplette Lehrerzimmer samt der verstockten Altphilologen verdolmetschen
und trotzdem die Schülerschaft sich geduzt fühlen machen. Bekannten Inhalt
sauber abgeliefert.
Die Jusos wollen auf ihrem Bundeskongress in zwei Wochen ein Grunderbe über
60.000 Euro für alle über 18-Jährigen fordern. Eine Idee, die bei Parteien
auf Gehör stoßen kann?
Ich würde auch lieber 60.000 Euro erben als die SPD.
[4][Der erste KI-generierte John Lennon-Song ist da.] Zeit für eine
Grundsatzfrage: Rolling Stones oder Beatles?
Schon berührend, wie die beiden Mumientruppen jenseits der 80 fast
zeitgleich wieder gegeneinander antreten. Die KI im Archäobeatles-Stück ist
konservativ eingesetzt; sie nimmt Störendes weg, fügt jedoch wohl nichts
Synthetisches hinzu. Im Video befremdet, dass John Lennon als zappelnder
Hampelmann durchschraddelt, man neigt dazu, auch einen 81-jährigen
McCartney dafür am Ohr zu ziehen. Die Stones klingen 40 Jahre jünger, als
sie sind, und hüllen sich über die verwendeten Studiotechniken in
Schweigen. Meine Präferenz: damals Stones, heute Beatles.
Und was machen die Borussen?
Bayern-Trainer Tuchel entgleitet im Dortmunder Westfalenstadion heftig auf
eine Provokation von TV-Kommentator Lothar Matthäus. So unsouverän wird
Tuchel niemals Bundestrainer. Ein gutes Ergebnis wieder mal in Dortmund.
Das Spiel BVB–Bayern fiel übrigens aus.
Fragen: Elisa Pfleger und Lara Ritter
5 Nov 2023
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