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       # taz.de -- Gastronomie in der Krise: Kunden schalten einen Gang zurück
       
       > Gäste leisten sich weniger, das Personal fehlt, die Kosten steigen: Die
       > Gastronomie erlebt nach der Pandemie magere Zeiten.
       
   IMG Bild: Es brennt nicht nur in der Küche, warnen Restaurants
       
       Berlin taz | Zehn Jahre lief es im Grunde gut. Jetzt fürchtet Sebastian
       Frank die Krise. Der Gastronom hat sich im Horváth im Berliner Stadtteil
       Kreuzberg zwei Michelin-Sterne erkocht. Es ist ein exklusives Haus in der
       Hauptstadt, deutschland-, wenn nicht weltweit bekannt. Nun hat Frank mit
       seinem Team einen Brandbrief geschrieben. Auf sechs Seiten ruft er
       Deutschland auf dem sozialen Netzwerk Instagram zur Unterstützung auf:
       „Lasst uns essen gehen!“. Dazu hat er das Schlagwort #DineOrDie kreiert.
       Speisen oder sterben – was ist los in der Restaurantszene?
       
       Ob auf dem Land oder in der Stadt, wer sich in den Straßen umguckt, sieht
       immer wieder die Schilder: Dauerhaft geschlossen, die Küche bleibt kalt,
       für immer dicht. Manche Gaststätten richten sich auch direkt an ihre
       (ehemalige) Kundschaft: „Sie alle haben den Löffel abgegeben.“ Es sind
       magere Zeiten, den Gastronomen bundesweit bleibt weniger.
       
       Im Schnitt fiel ihr r[1][ealer Umsatz im August 2023 laut Statistischem
       Bundesamt] knapp 15 Prozent niedriger aus als noch im August 2019. „Die
       höheren Preise für Energie, für Lebensmittel, vielleicht auch für Mieten
       machen ihnen allen zu schaffen. Zudem fehlen Leute, überall“, sagt Jörg
       Reuter, der die Gastronomie genau beobachtet. Er ist Leiter des Berliner
       Food Campus, wo zukünftige Ernährungskonzepte entwickelt werden.
       
       Am Montag hat die Brancheninitiative „Vereint für die Gastro“ in Berlin vor
       dem Brandenburger Tor demonstriert. Sie fordert: Für Speisen in Restaurants
       soll weiter ein verminderter Mehrwertsteuersatz anfallen. Die
       Bundesregierung hatte ihn in der Coronakrise gesenkt und die Regelung vor
       dem Hintergrund des Ukrainekriegs und der Energiekrise bis Ende 2023 noch
       mal verlängert. Stand jetzt soll sie aber mit dem Ende des Jahres
       auslaufen. Dann fällt wieder die normale Mehrwertsteuer an, [2][statt 7
       also 19 Prozent.]
       
       ## Vielfalt in Gefahr
       
       Noch weniger Menschen seien dann bereit, viel Geld für Essen auszugeben,
       warnen auch die Betreiber des Horváth in ihrem Brandbrief. „Noch nie haben
       uns die Entwicklungen der letzten Monate so viele Sorgen bereitet wie
       heute“, heißt es in dem Brief. Denn andere wollen aufhören. Ende September
       erklärte erst das Berliner 1-Sterne-Restaurant „Ernst“, es werde im
       Dezember 2024 schließen, nur wenige Tage danach gab das edle „Lode & Stijn“
       bekannt, schon Ende dieses Jahres dichtzumachen. Auch das sind nicht
       irgendwelche Restaurants, sondern große Namen. Das sei womöglich nur der
       Anfang, die Vielfalt der Gastronomie in „akuter Gefahr“, warnen Frank und
       seine Leute.
       
       In ganz Deutschland, aber insbesondere in Berlin, so erklären sie, seien
       die Menschen derzeit „verständlicherweise zurückhaltender damit, sich ein
       Fine-Dining-Erlebnis zu leisten.“ In den Fine-Dining-Restaurants, in denen
       Spitzenköchinnen und -köche ihre Menüs aus hochwertigen Lebensmitteln
       kreieren und sich um die Gäste sehr gekümmert wird, geht es so ab 75 Euro
       für 3 Gänge los. Dazu kommen die Getränke, das Trinkgeld. Ein Abend in
       einem Sternerestaurant mit 7 Gängen und Getränkebegleitung kann aber auch
       schnell 200 Euro und mehr pro Person kosten. Diesen Luxus können sich
       beileibe nicht alle leisten, andere wollen es auch nicht mehr.
       
       Kunden schalten derzeit einige Gänge zurück. Darum wird nicht jedes
       Spitzenrestaurant schließen, ihre Zahl aber abnehmen. Davon geht der
       Heilbronner Gastronomieprofessor Michael Ottenbacher aus, der zu
       Innovationen in der Branche forscht. „Wo sollen die ganzen Gäste
       herkommen?“, fragt er. Und er sagt weiter: „Die meisten wollen schon noch
       ausgehen, den Sorgen wegen der Inflation zum Trotz. Sie gehen dann aber in
       ein klassisches Wirtshaus, wo vielleicht lange vergessene, aber
       traditionelle Gerichte modern zubereitet werden. Oder sie landen bei einem
       guten Italiener.“
       
       Steigt die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie wieder auf ihr
       normales Niveau, werde das aber auch solchen Restaurants zusetzen, meint
       Ottenbacher: „Dann sterben nicht nur Edelrestaurants.“ Die Regelung
       fortzuführen fordern deshalb nicht nur Edelrestaurants oder die Initiative
       „Vereint für die Gastro“, sondern auch der Deutsche Hotel- und
       Gaststättenverband.
       
       ## Forelle Müllerin läuft noch
       
       Noch läuft es laut Ottenbacher beim bodenständigen Essen ohne viel
       Schnickschnack, etwa beim Hühnerfrikassee mit Pilzen für 26 Euro, beim
       hochwertigen Schnitzel für 25 Euro, bei der Forelle „Müllerin“ mit Mandeln
       für 24 Euro oder einer ebenso teuren Dorade. Das rechne sich auch für die
       Gastronomen selbst besser, sagt der Experte. Eine Faustregel laute: „Je
       hochwertiger die Küche, desto aufwändiger, desto weniger Gewinn wirft sie
       ab.“ Wer einen Imbiss oder eine Kneipe aufmache, habe darum noch immer gute
       Chancen, Geld zu verdienen, neben den Kettenrestaurants, die in großen
       Mengen einkauften und Vorgänge automatisierten.
       
       Die Branche hat sich bereits verändert, passt sich an schlechtere
       Bedingungen an. Ottenbacher macht drei Trends aus. Trend 1: Gastwirtschaft
       geöffnet von Donnerstag bis Sonntagmittag, sonst geschlossen! Egal ob auf
       dem Land oder in der Stadt öffnen viele Restaurants nicht mehr sechs Tage
       in der Woche, die Besitzer stehen nicht mehr 80 Stunden in der Woche in der
       Küche. Trend 2: Essen bitte nur an der Theke bestellen und dort auch
       abholen! Die Gäste müssen ein wenig mithelfen, weil Personal fehlt und
       teuer ist. Roboter sieht Ottenbacher eher nicht als Alternative: „Sie
       können vielleicht das dreckige Geschirr in die Küche bringen.“ Und
       schließlich Trend 3: Reservierungen können nur bis 48 Stunden zuvor
       abgesagt werden, danach wird ein Preis fällig. Damit Köche nicht umsonst
       alles vorbereiten, fordern sie mehr Verbindlichkeit ein.
       
       Forscher Ottenbacher ist sich sicher: Es lässt sich weiterhin erfolgreich
       sein in der Gastronomie. „Sie brauchen nur einen Plan“, sagt der Experte.
       „Selbst [3][der Landgasthof kann sich neu erfinden.]“
       
       6 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/10/PD23_415_45213.html
   DIR [2] /Wenn-der-Gast-eine-Pizza-bestellt/!5949737
   DIR [3] /Design-im-Fraenkischen-Gasthof/!5952789
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanna Gersmann
       
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