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       # taz.de -- Die Wahrheit: Apokalypse im Gewölbe
       
       > Nach einer alten Prophezeiung soll die Welt untergehen, sobald der Kölner
       > Dom wirklich fertig gebaut ist. Aber da gibt es eine mächtige Kraft …
       
   IMG Bild: Die Alarmsirenen schrillen nicht nur in Köln
       
       „Vorsischt, do unge!“, brüllt Abbauleiter Anton Palm im rheinischen
       Zungenschlag. Der 66-Jährige, der von der Boulevard-Presse auch
       „Apokalypse-Tünn“ genannt wird, malträtiert in luftiger Höhe die Kreuzblume
       auf dem Nordturm des Kölner Doms mit Hammerschlägen, bis die Spitze
       krachend abbricht. Nach kurzem Flug durch die kölsche Abendluft zerspringt
       das historische Bauteil knapp vor unseren Füßen in Hunderte von
       Einzelteilen. Sofort eilen Mitarbeiter des Dombauamtes zum Einschlagkrater,
       um Schutt und Trümmer für die anschließende Rekonstruktion aufzusammeln.
       Palm nimmt derweil den Aufzug nach unten und begrüßt uns wenig später per
       Handschlag auf dem Vorplatz.
       
       „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands!“, singsangt der 66-Jährige
       mit Bauhelm und roter Warnweste, als er uns zum Schutz gegen weitere
       Steinstürze neongelbe Schirmkäppis mit Doppeltürmen aus dem Dom-Fanshop
       aushändigt. Der sympathische Schnauzbartträger arbeitet ehrenamtlich für
       den Zentralen-Dombau-Verein (ZDV) und ist als ehemaliger Abrissunternehmer
       dafür zuständig, dass die im mittelalterlichen Jahr 1248 begonnenen
       Bauarbeiten an der weltberühmten Kirche niemals zum Abschluss kommen.
       
       „Wenn d’r Dom fertig ist, jeht die Welt unter!“, zitiert Palm eine uralte
       kölsche Prophezeiung, die besagt, dass der Planet nach dem Einsetzen des
       letzten Dom-Bausteins auseinanderbrechen und ins All stürzen wird. Um das
       zu verhindern, sorgt der gläubige Katholik auf seinen nächtlichen
       Außerstandhaltungsrunden für stetigen und möglichst umfangreichen
       Reparaturbedarf.
       
       Bevor wir die für Besucher bereits geschlossene Kathedrale durch das
       Petersportal betreten, klemmt Palm der Statue des Menschenfischers schnell
       noch eine Dynamitstange unter den Arm und fordert uns nach dem Anzünden der
       Lunte zum Sprinten auf. Dass die Explosion uns nicht nur umwirft, sondern
       auch die massiven Doppeltüren aus den Angeln sprengt und im hohen Bogen bis
       in den Altarraum katapultiert, freut den pensionierten Ingenieur ganz
       besonders. „Gusseiserne Maßanfertigung“, brüllt Palm in unser Knalltrauma.
       „Das wird Monate dauern!“ Zufrieden lächelnd macht er ein weiteres Häkchen
       auf seiner To-do-Liste.
       
       ## Klirrende Fenster
       
       Vor den prachtvollen Buntglasfenstern im nördlichen Seitenschiff wartet
       bereits ein etwa neunjähriger Steppke im Torwartdress des 1. FC Köln. Auf
       Palms Nicken hin lässt er seinen Ball zweimal titschen und holt dann zu
       einem sehenswert bogenförmigen Abschlag aus. Das Spielgerät durchschlägt
       klirrend das Dreikönigen-Fenster aus der Renaissancezeit und verabschiedet
       sich auf der anderen Seite holpernd über die Straße Richtung
       Bahnhofsvorplatz. Das Hupen, schrille Quietschen von Bremsen und
       anschließende Scheppern von Blech ignoriert der Hobby-Domwerker.
       
       „Uns Kölnern war schon immer klar, dass der Herrjott das Schicksal alles
       Irdischen an die Beendigung seines Prestigeprojektes geknüpft hat“,
       palavert Palm, während er mit seinem Stabfeuerzeug beiläufig einen
       Samtvorhang in Brand setzt. „Wat soll auch noch groß kommen, wenn hier der
       letzte Klotz verbaut ist? Da könnte man jenauso gut den Laden dichtmachen,
       oder?“
       
       Um die Untergangspläne des Allmächtigen zu durchkreuzen, habe man die
       beiden Türme in den letzten 50 Jahren insgesamt sieben Mal Stein für Stein
       gegeneinander ausgetauscht, mehrere Fluchttunnel mit Durchbrüchen in die
       umliegenden Brauhäuser gegraben und durch Herumpfuschen am Fundament
       wiederholt die Statik verändert.
       
       ## Schunkelnder Dom
       
       „Das psychedelische Gefühl, dass der Dom beim Rosenmontagszug irgendwie
       mitschunkelt, kommt also nicht von ungefähr“, keckert Palm und verbreitert
       einen bereits vorhandenen Riss im Gemäuer mit massiven Hammerschlägen. Nun
       sei es eben an der Zeit, dass die Welt von den Verdiensten der Kölner
       Katholiken um das Überleben der Menschheit erfahre. Unsere Frage, ob man
       mit der fadenscheinigen PR-Aktion nicht eher vom Missbrauchsskandal und von
       den Kirchenaustritten im Kölner Erzbistum ablenken wolle, können wir dem
       kölschen Jung jedoch nicht mehr stellen.
       
       Nach Palms letztem Wandtreffer breiten sich die Wandrisse in feinen
       Verästelungen Richtung Decke aus, es rieselt Mörtel. Dann erzittert der
       Boden. Als sämtliche tragenden Säulen der Kathedrale wie Dominosteine
       nacheinander umkippen und riesige Steinquader aus dem Gewölbe in die Tiefe
       stürzen, bleibt uns nur noch die Flucht.
       
       Als die gewaltige Staubwolke abgezogen ist, können wir von der Domplatte
       aus die Kathedrale in ihrem neuen Gewand bewundern. Auch wenn der Anblick
       für viele Kölner gewöhnungsbedürftig sein dürfte, gibt es doch auch eine
       gute Nachricht. Der Fortbestand der Zivilisation ist für weitere 850 Jahre
       gesichert. Allerdings wird sich die Dombauhütte einen neuen Abbauleiter
       suchen müssen.
       
       7 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patric Hemgesberg
       
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