# taz.de -- Spekulation und Wohnungsnot: Alles nur gekauft
> Wohnraum wird zunehmend als Kapitalanlage genutzt, zeigt eine Studie.
> Konzerne wie Vonovia verschärfen die Wohnungskrise, Obdachlosigkeit nimmt
> zu.
IMG Bild: Dunkle Aussichten für Wohnungssuchende
Große Wohnungskonzerne wie Vonovia, LEG Immobilien oder Grand City
Properties wirtschaften nicht im Interesse des Gemeinwohls, sondern im
Interesse ihrer Aktionäre. Diesen wiederum liegt nicht die Versorgung der
Allgemeinheit mit ausreichend bezahlbarem Wohnraum am Herzen, sondern die
Maximierung ihrer Renditen. Das stellt Finanzwende Recherche, eine Tochter
der Bürgerbewegung Finanzwende, in einer [1][am Mittwoch veröffentlichten
Studie] fest.
Dieses Ergebnis überrascht nicht. Aber mit Blick auf [2][vergebliche
Baugipfel], deren Akteure immer noch auf konstruktive Lösungen seitens der
Privatwirtschaft hoffen, kann man das nach Jahren öffentlicher Debatte
mittlerweile Banale nicht oft genug erwähnen – insbesondere dann, wenn die
Veröffentlichung dieser Studie mit der Meldung zusammenfällt, dass die Zahl
der [3][wohnungslosen Menschen in Deutschland 2022 deutlich gestiegen ist].
Nach Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW)
lag sie im vorigen Jahr bei 607.000 gegenüber 383.000 im Jahr 2021.
„Fehlender bezahlbarer Wohnraum bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot
in Deutschland“, sagt dazu BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke. Die
Studie von Finanzwende analysiert dabei auch die Mechanismen und
Unternehmenspraktiken hinter dem Phänomen der sogenannten Finanzialisierung
des Wohnens. Finanzialisierung bedeutet, dass Immobilien zunehmend als
Finanzanlagen genutzt werden, was den Zweck von Wohnungen verändert: Sie
dienen nicht mehr primär dazu, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen,
sondern das Renditestreben von Anlegern.
Lagen in Folge der Finanzkrise die Immobilienkäufe in Europa 2009 bei
relativ niedrigen 7,9 Milliarden, so stiegen sie bis 2019 wieder enorm an,
auf 66,9 Milliarden Euro. In Deutschland lebt mehr als die Hälfte der
Bevölkerung zur Miete. Zwar gehören hier bisher nur rund 13 Prozent der
Mietwohnungen privatwirtschaftlichen Unternehmen; da sich Konzerne aber von
angespannten Wohnungsmärkten am meisten Gewinn versprechen, hat sich die
Zahl finanzialisierter Wohnungen in vielen deutschen Städten zwischen 2011
und 2018 mindestens verdoppelt. In Berlin stieg dieser Anteil von 7 Prozent
im Jahr 2011 auf 16,5 Prozent 2021. Über 320.000 von knapp 2 Millionen
Wohnungen in der Hauptstadt befinden sich aktuell im Besitz eines
Finanzmarktakteurs. Ebenso bemerkenswert: Von jedem Euro Mieteinnahme der
untersuchten Unternehmen flossen im Jahr 2021 41 Cent in Form von
Dividenden an Aktionäre.
## Wohnungen kaufen, anstatt neue zu bauen
Das ist möglich, weil die Konzerne Ausgaben für die Instandhaltung des
Wohnungsbestandes minimieren. Dafür modernisieren sie eifrig, um so Mieten
erhöhen zu können. Entscheidend ist: Diese Konzerne sind – auch ganz
unabhängig von aktuellen Zinsen, Baukosten und Inflationsraten – keine
Hilfe in puncto Beseitigung der Wohnungsnot: Denn sie kaufen vor allem
existierende Wohnungen, anstatt neue zu bauen. Während landeseigene
Wohnungsunternehmen in den letzten Jahren fast immer so viele Wohnungen
gebaut wie gekauft haben, hat Vonovia in den Jahren 2017 bis 2021 für jede
gebaute Wohnung 99 Wohneinheiten aufgekauft. Die anderen börsennotierten
Wohnungsunternehmen haben laut Studie sogar noch weniger oder gar nicht
gebaut. Die Autoren schlagen deshalb Maßnahmen vor, um Immobilien als
Anlageobjekte weniger attraktiv zu machen. Auch auf die Debatte über
Vergesellschaftung beziehen sie sich.
Vor zwei Jahren haben sich fast [4][60 Prozent der Berliner:innen beim
Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen für die
Vergesellschaftung] von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen
ausgesprochen. Nachdem eine Kommission im Juni festgestellt hat, dass dem
rechtlich nichts im Weg steht, möchte die Initiative nun ein entsprechendes
Gesetz entwerfen und zur Abstimmung stellen. Für die Erarbeitung des
Entwurfs hat sie per Crowdfunding [5][bereits 100.000 Euro gesammelt].
Welche Ausreden sich die Gegner:innen der Vergesellschaftung wohl
ausdenken, sollte auch dieser Volksentscheid erfolgreich sein? Sicher ist:
Wenn der Markt es nicht für die Menschen regelt, dann müssen die Menschen
dem Markt Regeln setzen.
9 Nov 2023
## LINKS
DIR [1] https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/finanzialisierung/rendite-mit-der-miete-finanzmaerkte-und-die-wohnungskrise-in-deutschland/?mtm_campaign=verein&mtm_kwd=werbelink&mtm_source=report-immobilien&mtm_medium=webseite&mtm_group=links
DIR [2] /Wohnungskrisengipfel-im-Kanzleramt/!5959671
DIR [3] /Wohnungslosigkeit-in-Deutschland/!5971851
DIR [4] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5961670
DIR [5] https://www.sueddeutsche.de/stil/wohnen-berlin-enteignungs-initiative-hat-fuer-gesetzentwurf-geld-gesammelt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231101-99-780522
## AUTOREN
DIR Volkan Ağar
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