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       # taz.de -- Heimatgeschichte der schwierigen Art: Hollywood war schneller dran
       
       > Die Wewelsburg ist ein beliebtes Ausflugsziel. Allerdings ist die
       > ehemalige „Ordensburg“ der SS auch Pilgerort für Nazis.
       
   IMG Bild: Jugendherberge und „Kultstätte“: Die Wewelsburg bei Paderborn ringt mit ihrer NS-Geschichte
       
       Büren taz | „Das ist die Heimat“, sagt der Typ in Flecktarnhose zu seinem
       Sohn, und kurz hat es den Anschein, als finge er vor Rührung an zu weinen.
       Sein ebenfalls in Militärklamotten gehülltes Kind bekommt vom Schniefen
       nichts mit, von der Heimat aber offenbar schon. Jedenfalls guckt er sich
       mit großen Augen um auf dem kleinen Parkplatz – zwischen Bäumen und
       Softeiswagen – und scheint ganz angetan von diesem Ausflugsziel. Ganz
       besonders natürlich von der imposanten Burg da drüben hinter den Mauern und
       dem kleinen Park.
       
       Die [1][Wewelsburg in Büren] bei Paderborn ist immer gut für Heimatgefühle,
       ganz besonders für ambivalente. Am ehemaligen SS-Wachhaus zum Beispiel
       huschen Vater und Sohn eher zügig vorüber. Hier liegt heute die
       [2][Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933–1945], in der von jenen
       Menschen die Rede ist, die den aufwendigen Umbau der Burg mit dem Leben
       bezahlten. Mindestens 1.285 Inhaftierte starben hier im KZ Niederhagen an
       Hunger, Entkräftung oder direkter Gewalteinwirkung. Auch so ein Stück
       Heimatgeschichte.
       
       Doch die Nazis haben die Wewelsburg nicht gebaut. Die Anlage mit dem
       eigenwilligen dreieckigen Grundriss ruhte auch vor dem „Dritten Reich“
       schon über dem Almetal und war Schauplatz anderer Ereignisse. Anfang des
       19. Jahrhunderts hatte ein Blitzeinschlag sie fast zerstört, und
       tatsächlich hat man eine Weile darüber nachgedacht, sie als romantische
       Ruine verwildern zu lassen. Einfach weil die gerade in Mode waren und der
       Nutzen des Bauwerks ohnehin eher überschaubar war. Ein Hexenverlies gibt es
       auch, in dem heute eine Ausstellung über Folter und Frauenmorde der frühen
       Neuzeit informiert.
       
       Und weil die Wewelsburg nun mal eine Burg ist, schlummert noch etwas tiefer
       in der Vergangenheit auch eine mittelalterliche Vorgeschichte, an der
       gerade besonders intensiv geforscht wird. Ein Modell in der Burg macht
       anschaulich, welche Teile des alten Gemäuers noch stehen und wie der Rest
       drumherum wuchs. Es ist fast ein bisschen tragisch, dass man am Ende immer
       wieder bei den Nazis ankommt.
       
       ## Die Burg sollte burgiger wirken
       
       Als Heinrich Himmler die SS nach pseudomittelalterlich-mythologischem
       Vorbild zum „Orden“ aufblies, hatte er die Wewelsburg als eine Art
       geistiges Zentrum im Sinn. Darum auch dieses KZ und die Umbauten:
       Freigelegtes Mauerwerk und tiefere Gräben sollten die Burg burgiger wirken
       lassen. Was genau Himmler mit der Burg vorhatte, ist nicht abschließend
       geklärt, scheint sich über die Jahre aber auch gewandelt zu haben:
       irgendwas zwischen Wochenendseminaren in verkorkster Heimatkunde des
       „germanischen Ahnenerbes“ und dem megalomanischen Drive, das umliegende
       Tal zu fluten und droben ein riesiges Gebäude in Form des
       „Schicksalsspeers“ zu errichten – mit der dreieckigen Wewelsburg als
       Spitze.
       
       Genau weiß man’s nicht. Um die Nazi-Esoterik ist selbst eine Art Mythos
       erwachsen, auch weil man hierzulande lange nicht darüber sprach. Ob der
       Heidenfimmel den Wirtschaftswunder-Altnazis nun peinlich war – oder weil
       man Angst hatte, die Jugend könnte noch mal drauf reinfallen auf den
       Hokuspokus.
       
       Abgesehen von den ehrenwerten Bemühungen weniger Historiker und noch
       weniger Historikerinnen trieb das Thema seine Blüten eher in Trivial- und
       Subkultur. Das Bild vom Nazischloss im Fackelschein ruht in „Indiana
       Jones“-Filmen, „Wolfenstein“-Videospielen und Comics. Bei „Green Lantern“
       heißt die Nazifestung sogar tatsächlich Wewelsburg.
       
       Während international also die Kulturindustrie längst mit dem Thema
       spielte, gingen in Deutschland lange nur Nazis und Okkultisten mit einer
       Art Ernsthaftigkeit an die Sache. Bis heute haben Jugendherberge und
       Gedenkstätte mit pilgernden Neonazis zu tun. Und sie sind darauf
       vorbereitet: Das Personal kennt die Nazisymbole in- und auswendig, und
       selbst ihr Ziel hat man den Nazis verbaut: Im Nordturm der Burg liegen mit
       „Gruft“ und „Obergruppenführersaal“ die deutlichsten Spuren der SS-Zeit,
       inklusive dem berühmten „Schwarze Sonne“-Ornament, das ein beliebtes Symbol
       und Hakenkreuzersatz in der Naziszene ist. Diese Räume sind über
       Jugendherberge und allgemeines Burgmuseum nicht erreichbar, sondern
       ausschließlich über die KZ-Gedenkstätte.
       
       Hier gibt es kein schauriges Nazipathos und auch keinen faschistischen
       Todeskitsch zu gucken, ohne auch die Folgen zu ertragen. Und das ist ganz
       sicher nicht die schlechteste Form für deutsche Heimatkunde.
       
       27 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wewelsburg.de/de/index.php
   DIR [2] https://www.wewelsburg.de/de/gedenkstaette-1933-1945/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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