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       # taz.de -- Konflikt unter Griechenlands Linken: Syriza zerfleischt sich selbst
       
       > Der neugewählte Parteichef Kasselakis legt sich mit den Alten der Partei
       > an. Eine Spaltung wird wahrscheinlicher, Ex-Parteichef Tsipras schweigt.
       
   IMG Bild: Griechenlands Ex-Premier Alexis Tsipras schweigt
       
       Athen taz | Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die innerparteilichen
       Verwerfungen in der griechischen Syriza am späten Montagabend. Der neue,
       derzeit in den USA weilende Parteichef [1][Kasselakis] gab via Facebook
       bekannt, dass gleich drei prominente Syriza-Mitglieder „beschlossen“
       hätten, sich mit ihren jüngsten öffentlichen Äußerungen im Fernsehen
       „außerhalb von Syriza zu positionieren“. Sie fungierten, so Kasselakis,
       „als parteiinterne TV-Sponsoren der Regierung Mitsotakis“. Damit deutete
       Kasselakis an, dass er ihren Ausschluss aus der Syriza beim zuständigen
       Parteiorgan beantragen werde.
       
       Bei den drei in Ungnade gefallenen Syriza-Leuten handelt es sich um Panos
       Skourletis (61), Nikos Filis (63), sowie Dimitrios Vitsas (67). Sie haben
       nicht nur gemeinsam, Partei-Urgesteine zu sein, die mit Syriza auf dem Weg
       von einer Kleinpartei über den kometenhaften Aufstieg in den Zehnerjahren
       bis zu einer Regierungspartei durch dick und dünn gegangen sind. Und alle
       drei sind Ex-Minister. Bei der jüngsten Parlamentswahl am 25. Juni brach
       Syriza auf 17 Prozent ein und muss sich nun für vier zusätzliche Jahre mit
       der Oppositionsrolle gegen die alleine weiterregierende [2][konservative
       Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis] begnügen. Die drei schafften
       es damals nicht, ins Athener Parlament einzuziehen. Seit der
       Kasselakis-Wahl sparen sie nicht an Kritik an dem neuen Parteichef.
       
       Der greift hart durch. Öl ins Feuer hatte zuvor die linke Athener
       Tageszeitung Efsyn gegossen. Die hatte Beiträge des damaligen Kolumnisten
       Kasselakis im US-Blatt National Herald ausgegraben. 2007 sprach sich
       Kasselakis beispielsweise dafür aus, dass Griechenland „für einige Jahre
       eine Wirtschaftspolitik nach dem Vorbild von Ronald Reagan guttäte“.
       
       Fünf Jahre später, auf dem Höhepunkt der [3][desaströsen
       Griechenlandkrise], befand Kasselakis, die vom damaligen Minister und
       heutigen Premier Mitsotakis verantworteten 15.000 Beamtenentlassungen seien
       „viel zu wenige“. Ferner sei die Herabsetzung des Mindestlohns – auf damals
       586 Euro brutto – eine „positive Sache“, so Kasselakis, die „die
       Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft verbessern“ würde.
       
       ## Kasselakis wurde in den USA zum Multimillionär
       
       Bereits in der vorigen Woche hatte Kasselakis bekannt gegeben, den
       Polit-Oldie Stefanos Tzoumakas – einen seiner vier Widersacher in der
       ersten Runde der Wahl zum Parteichef – nach einer Reihe abschätziger
       Äußerungen gegen ihn aus der Partei herauswerfen zu wollen.
       
       Obendrein erklärte der Europaabgeordnete Stelios Kouloglou, der kein
       Syriza-Mitglied ist, die Gruppe der Syriza-Abgeordneten im Europaparlament
       verlassen zu wollen. Kouloglou ätzte dabei gegen die exzessive
       Zurschaustellung des Privatlebens vonseiten Kasselakis’, der in diesen
       Tagen im US-amerikanischen New York seinen Lebenspartner heiratete.
       
       Das Band zwischen Kasselakis, der mit 14 Jahren in die USA zog und dort zum
       Multimillionär aufstieg, und der innerparteilichen Opposition, die dessen
       überfallartige Machtübernahme nicht verdauen kann und will, ist
       zerschnitten. Der nächste Crashtest steht Kasselakis und seinen Verbündeten
       Mitte November bevor, wenn das Zentralkomitee der Syriza tagt. Der
       ursprünglich für November anvisierte Syriza-Parteitag wurde auf Kasselakis’
       Wunsch auf Ende Februar verschoben.
       
       Die unter dem Namen Ombrella („Schirm“) firmierende innerparteiliche
       Opposition, der auch Ex-Finanzminister Euklid Tsakalatos angehört, ließ mit
       einer Kampfansage aufhorchen. In einem nun veröffentlichten Text sehen
       Tsakalotos und Co. eine voraussichtliche Spaltung von Syriza voraus und
       greifen Kasselakis und die von ihm verfolgte Taktik frontal an. Unter dem
       neuen Parteichef verwandele sich Syriza zu einem „Instrument für Kapital
       und Unternehmer“, poltert Ombrella.
       
       ## Mitsotakis kann unbehelligt durchregieren
       
       Die Politbeobachter in Athen sind sich einig: Syriza steuert schnurstracks
       auf eine Spaltung zu. „Die Situation bei Syriza ist außer Kontrolle. Keine
       der beiden Seiten, ob das Team Kasselakis oder seine zahlreichen
       innerparteilichen Kritiker, haben eine klare Strategie, wie es weitergehen
       soll“, urteilt die Athener Politanalystin Vasiliki Siouti angesichts der
       jüngsten Eskalation im Gespräch mit der taz. Und was tut der Ex-Premier
       Alexis Tsipras, der nach dem Wahldebakel Ende Juni nach gut fünfzehn Jahren
       an der Parteispitze bitter enttäuscht das Handtuch warf? Tsipras hüllt sich
       in Schweigen.
       
       Derweil kann Premier Mitsotakis unbehelligt durchregieren. Erstmals seit
       dem Ende der Obristendiktatur 1974 sieht sich eine Regierung in Athen
       faktisch keiner parlamentarischen Opposition ausgesetzt. Doch zu früh
       sollte er sich nicht freuen. Seinen Aufstieg zum Parteichef der damaligen
       konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) sowie die ab 2019
       folgenden ND-Wahltriumphe schaffte Mitsotakis maßgeblich als die ultimative
       Verkörperung des Anti-Tsipras. Syrizas Selbstzerfleischung zum Trotz: die
       Frage könnte hierzulande schon bald lauten: „Was macht Mitsotakis ohne
       Tsipras?“
       
       24 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ferry Batzoglou
       
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