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       # taz.de -- Brandkatastrophe im Evros: Nach dem Feuer
       
       > Im August brannten im Nordosten Griechenlands die Wälder. Es war der
       > größte Brand, der je in Europa dokumentiert wurde. Wird sich die Region
       > erholen?
       
       Evros taz | Asche, Kohle und Staub. Sonst nichts. Du siehst kein Grün hier.
       Wann wird das wieder ein Wald sein?“ Georgios Karafyllidis, 45,
       pechschwarzes Haar, Vollbart, Piloten-Sonnenbrille, steht auf der
       verbrannten Erde. Auf einem Fleck, der ihm bisher sein Auskommen sicherte.
       Vor dem Feuer. Vor dem 19. August, als in der Region Evros im äußersten
       Nordosten Griechenlands [1][der größte Waldbrand ausbrach, der je in Europa
       dokumentiert wurde]. Eine ökologische Katastrophe – und für Menschen wie
       Karafyllidis auch ökonomisch ein Super-Gau.
       
       Karafyllidis ist Imker, sein Bio-Honig ist vielfach preisgekrönt. Seine
       Bienenstöcke hatte er an diese abgelegene Stelle gebracht, auf ein freies
       Gelände, umgeben von einem weitläufigen, dichten Waldgebiet. Ein
       Naturparadies. Voller Pinien, Eichen, Erdbeerbäume. Voller Blüten, voller
       Nektar, voller Pollen. Es war die allerbeste Stelle für seine Bienenvölker.
       
       Die Farbe, die jetzt, nach dem Feuer, an diesem plötzlich seltsam stillen
       Ort dominiert: Schwarz. Das Großfeuer, das seine Existenz auf einen Schlag
       zerstörte, brach am 19. August im Ort Melia im Süden der Region Evros an
       der Festlandsgrenze zur Türkei aus. Die riesige Feuerwalze rollte,
       angefacht von starken Winden, auf die weiter westlich gelegenen Dörfer im
       Südevros zu.
       
       Das Melia-Feuer erfasste schließlich die Wälder um das 57-Seelen-Dorf
       Kirki, wo Karafyllidis seine Bienenstöcke aufgestellt hatte. 59 seiner
       künstlichen Nisthöhlen konnte er gerade noch rechtzeitig fortschaffen, 220
       seiner Bienenstöcke fielen der Feuersbrunst jedoch zum Opfer. Der Imker
       verlor rund acht Millionen Bienen.
       
       Strenger Rauchgeruch liegt in der Luft. Stumm nimmt Karafyllidis einen
       Wasserkanister von seinem alten Mercedes-Laster. Er gießt den Inhalt in
       eine mit Holzscheiten gefüllte Wanne. Schon fliegen ein paar Bienen heran.
       Seinen Bienen, die das Feuer überlebten, müsse er fortan Honigwasser geben,
       sagt er. Notgedrungen. Ihren Bedarf an Nährstoffen deckten sie aus Nektar
       und Pollen von Blütenpflanzen. Mit Asche, Kohle und Staub können sie nichts
       anfangen.
       
       Die Fütterung kostet Geld. Er brauche dafür Honig aus eigenen Beständen, so
       Karafyllidis. Honig, den er nicht verkaufen könne. Dadurch verliere er
       Einnahmen von 7.000 Euro. Jeder seiner verlorenen Bienenstöcke mit Bienen
       und einer Bienenkönigin sei ferner rund 230 Euro wert. Der angerichtete
       Schaden betrage damit weitere 50.000 Euro. Obendrein könne er keinen Honig
       ernten. Das erzeuge Monat für Monat weitere Einnahmeverluste. Ab Frühjahr
       werde er seine Bienenstöcke in weit entfernte Wälder bringen müssen.
       Dorthin, wo das desaströse Feuer nicht wütete. Dafür brauche er
       zusätzlichen Treibstoff.
       
       „Der Staat muss mir helfen“, sagt der umtriebige Bienenzüchter. „Viele
       Imker werden aufgeben“, glaubt er. Er will das nicht. Zu sehr liebe er
       seinen Beruf. In den verbrannten Gebieten müssten Bienen bleiben. Fast
       schon flehend sagt er: „Die Biene gibt zuerst Leben, dann Honig.“
       
       Die Region Evros mit ihren – Stand 2021 – 133.802 Einwohnern ist nach dem
       gleichnamigen Fluss benannt, der auf türkisch Meric heißt. Er bildet in
       Nord-Süd-Richtung in weiten Abschnitten die gut 200 Kilometer lange
       Festlandsgrenze zur Türkei. Zwei Tage nach Ausbruch des Melia-Feuers brach
       im Dadia-Nationalpark im Zentralevros am 21. August ein weiteres Großfeuer
       aus. Beide Großfeuer vereinten sich zu einem Megafeuer. In knapp drei
       Wochen fielen im Evros über 93.500 Hektar Land den Feuern zum Opfer. Das
       entspricht einer Fläche von 935 Quadratkilometern, größer als die von
       Berlin.
       
       Herbeigeeilte Feuerwehrleute aus Zypern, Bulgarien und anderswo mussten
       ihren griechischen Kollegen Hilfe leisten, den Evros-Brand unter Kontrolle
       zu bringen. Der Zypriot Pambos Tillyros hat 33 Dienstjahre auf dem Buckel.
       Er steht wenige Tage nach dem Mega-Brand in Uniform an einer
       Straßenkreuzung am Rand des Dadia-Nationalparks. „Das schwer zugängliche
       Gelände, die vielen Pinien, die starken Winde, die gewaltige
       Brandausdehnung. Die Löscharbeiten waren sehr schwierig“, sagt er.
       
       Der ökologische und ökonomische Schaden im Evros ist gewaltig. Die
       Schicksale erschüttern. Die Olivenbäuerin Niki Kelidou, 60 Jahre alt, aus
       dem Ort Makri hat durch das Evros-Feuer etwa 1.300 Olivenbäume verloren.
       Sie führt durch ihren Olivenhain. Um etwa 80 Prozent werde ihr Umsatz im
       laufenden Jahr im Vergleich zum Vorjahr einbrechen, klagt sie. „Ich bin
       total enttäuscht, wütend. Auf uns alle. Wie konnte das passieren? Wir waren
       nicht darauf vorbereitet. Ich bin völlig verunsichert“.
       
       „Wir liegen nicht am Meer, wir hatten den Wald. Der Wald war unsere Kraft,
       unser Sauerstoff“, sagt Panagiotis Kalakikos. Der 63-Jährige, früher
       Polizeichef, sein schlohweißes Haar sorgfältig glatt nach hinten gebürstet,
       frisch rasiert, ist Bürgermeister der Gemeinde Soufli im Zentralevros, am
       Rande des einzigartigen Dadia-Nationalparks. Tagelang tobte im Nationalpark
       das Feuer. Der Waldbrand hinterließ eine Schneise der Verwüstung.
       
       Obgleich es für Kalakikos hektische Tage sind, spricht er mit betont
       ruhiger Stimme. Gerade ist er von einem Ortstermin in das Rathaus in Soufli
       zurückgekehrt. Ob Holzindustrie, Landwirtschaft oder Gastronomie: Der
       Schaden für die lokale Wirtschaft sei, so Kalakikos, „enorm“ in einer
       ohnehin strukturschwachen, darbenden Grenzregion.
       
       Seit Jahrzehnten wandern die Menschen aus dem Evros aus, viele von ihnen
       nach Deutschland. Kalakikos weist auf den demografischen Niedergang hin:
       Lebten vor 60 Jahren noch 28.000 Menschen in Soufli, seien es inzwischen
       nur gut 11.000. Und das war vor dem Feuer.
       
       ## Zittern vor den kommenden Wassermassen
       
       „Was im Dadia-Nationalpark passiert ist, ist schrecklich. Das Feuer im Wald
       mag gelöscht sein. Für uns brennt das Feuer weiter“, sagt der
       Bürgermeister. Dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis habe er daher
       kurzerhand einen Brief geschrieben. Prompt überreicht Kalakikos eine Kopie
       seines vom 4. September datierten Schreibens, versehen mit der
       Protokollnummer 8627. Der Briefeinstieg ist im dramatischen Ton gehalten:
       „Sehr geehrter Herr Premier, ich sende Ihnen dieses Schreiben mitten in
       einem ‚Krieg‘ in Friedenszeiten“.
       
       Die Landschaft erinnere, so steht es im Brief, „ohne jede Spur von
       Übertreibung an einen „Schauplatz biblischer Zerstörung“. Der
       Dadia-Nationalpark, „unsere Lunge, das Zuhause Dutzender seltener
       Greifvögel und anderer Lebewesen, diese Naturschönheit, ist endgültig
       verloren mit all den Folgen für unser Ökosystem und unsere Wirtschaft“. Zur
       „Sanierung der Region“ seien 22 Maßnahmen zu ergreifen, führt Kalakikos
       auf. Unter Punkt 15 steht: „Planung des Schutzes vor Überschwemmungen“.
       
       Kalakikos ist ein Gehetzter. Gehetzt von der einen Naturkatastrophe zur
       nächsten. Er weiß: dem Feuer folgt die Flut. „Das Klima hat sich geändert“,
       sagt Kalakikos zur taz. Seit sechs Monaten habe es im Evros faktisch nicht
       geregnet, nur ab und an sei leichter Nieselregen gefallen. Dazu eine
       Hitzewelle im Sommer. Im Herbst und Winter regnet es hingegen im Evros
       häufig, mitunter fällt Starkregen. Schnee, früher hier in Hellas’ Norden
       ganz normal, gibt es dabei kaum noch. [2][Die Naturkatastrophen kommen in
       immer schnellerer Folge].
       
       Nach dem jüngsten Großfeuer, das zuvor intakte Wälder zerstörte, die bisher
       sehr viel Regenwasser speichern und so die Umgebung vor Überschwemmungen
       schützen konnten, drohten nun Megafluten, die Ortschaften wie Soufli direkt
       bedrohten, warnt Kalakikos. Die Bauten zum Hochwasserschutz würden erst in
       etwa eineinhalb Jahren fertig sein, also im Frühjahr 2025, so der
       Bürgermeister. Bis dahin müssen Kalakikos und Co. zwei Winter mit
       Regenfällen überstehen. Kalakikos sagt: „Wir haben nicht nur Angst, wir
       zittern vor den kommenden Wassermassen“.
       
       Geplatzt sind schon jetzt – nach dem Feuer und vor der Flut – viele Träume
       und Visionen. Georgios Chatzigeorgiou, schwarzes T-Shirt, schwarze Hose,
       trendige Stiefel, hatte so ein Zukunftsprojekt. Der 48-Jährige ist
       Ortsvorsteher im 486-Seelen-Ort Avantas im Südevros. Am Hauptplatz, im
       hübschen Lokal „Petrino“ mit seinen massiven Holztischen, erzählt er, wie
       er auf die Idee kam, Avantas als Wanderparadies zu etablieren. „Im Ort lebt
       ein passionierter Berg- und Naturliebhaber. Er hat mir gesagt: ‚Georgios,
       weißt du, dass es in unserer Region einen Wasserfall gibt?‘ Ich habe ihm
       erwidert: ‚Kannst Du mir das zeigen?‘ So fing alles an“.
       
       Flugs holte Chatzigeorgiou eine Firma aus Athen mit ins Boot. Sein Plan:
       Wanderwege ausbauen, Schilder aufstellen. Die Wanderer hätten eine Webseite
       aufrufen sowie eine App auf ihr Smartphone herunterladen können, die ihnen
       die Natur und Sehenswürdigkeiten erklären. In diesem Oktober sollte alles
       fertig sein.
       
       Doch dann kam das Feuer aus Melia. Das Inferno habe 80 Prozent der
       Waldfläche von Avantas vernichtet, wie Chatzigeorgiou schätzt. „Wo alles
       grün war, ist nur noch Asche“. Sein Zukunftsprojekt muss er zurückstellen.
       Die Schilder für die Wanderwege lagern zehn Autostunden entfernt in einem
       Abstellraum der Partnerfirma in Athen.
       
       Chatzigeorgiou lädt dazu ein, in den verkohlten Wald zu fahren. Während der
       Fahrt ist das ganze Ausmaß der Katastrophe zu sehen. Er steigt aus seinem
       Toyota aus. Zwei Jahre werde es wohl dauern, bis es Sinn mache, die
       Infotafeln hier aufzustellen, sinniert er. „Die Wanderwege sind nach dem
       Feuer gefährlich. Die Erde bietet keinen Widerstand, keine Stütze.“
       
       Falle Regen, seien Erdrutsche zu befürchten. „Für alle Dörfer herrscht
       höchste Gefahr. Diesmal nicht wegen des Feuers, sondern wegen der Fluten“,
       ist Chatzigeorgiou alarmiert. Die Folgen des Feuers träfen alle. Er bleibe
       in Avantas, um zu kämpfen. Auch er, der Ortsvorsteher von Avantas, ist ein
       Gehetzter.
       
       Wie es um die Wälder im Evros bestellt ist, weiß keiner so gut wie Petros
       Anthopoulos. Er ist Vorgesetzter der Direktion Wälder im Evros, eine
       Dienststelle, die dem Athener Umweltministerium unterstellt ist. Es ist ein
       Sonntag im September. Trotzdem sitzt Anthopoulos in seinem Büro in einem
       unscheinbaren Gebäude in Alexandroupolis, Evros’ knapp 60.000 Einwohner
       zählender Hauptstadt, malerisch am Ägäischen Meer gelegen.
       
       „Der Evros hat, ohne die Insel Samothraki, eine Gesamtfläche von gut
       400.000 Hektar. Davon entfallen etwa 200.000 Hektar auf Wald und
       Waldflächen mit Sträuchern“, erklärt Anthopoulos. Das jüngste Großfeuer
       habe eine Brandausdehnung auf einer Fläche von knapp 100.000 Hektar
       erreicht, davon seien etwa 70.000 Hektar auf verbrannte Wälder und
       Waldflächen entfallen, so der Waldexperte. Fast die Hälfte der Waldflächen
       sind also verbrannt.
       
       Betroffen sind ausgerechnet Gebiete im Zentral- und Südevros. Sie gehören
       zum Natura-Netzwerk der EU, wo gefährdete wildlebende heimische Pflanzen-
       und Tierarten und ihre natürlichen Lebensräume zu schützen sind.
       
       Im Dadia-Nationalpark mit einer Fläche von 38.000 Hektar seien etwa 70
       Prozent der Fläche verbrannt, so Anthopoulos. Das heiße aber nicht, dass
       alle Bäume in den verbrannten Gebieten abgestorben seien. „Ein Drittel der
       Bäume in der verbrannten Fläche lebt“, schätzt er. Dass der
       Dadia-Nationalpark, wie kolportiert worden sei, 150 Jahre brauchen werde,
       um sich vollständig zu regenerieren, sei Unfug. „In zehn Jahren wird der
       Nationalpark wieder grün sein, in 40 Jahren ist dort wieder ein dichter
       Wald. Wenn wir die Natur das machen lassen“.
       
       ## Fehler bei der Brandprävention
       
       Es sei ein Kardinalfehler gewesen, in den 70er Jahren im Südevros gezielt
       schnell wachsende Pinien anzupflanzen. „Das hatte ökonomische Gründe.
       Pinien bieten den Rohstoff für die Holz- und Papierindustrie.“ So unbedacht
       dürfe man nicht wieder sein. „Bricht ein Waldbrand aus, wirkt das Harz der
       Pinien wie ein Brandbeschleuniger. Die Zapfen explodieren wie Handgranaten
       und tragen so zur Ausbreitung der Flammen bei“.
       
       Apropos Brandprävention: Früher habe es viel mehr Nutztiere gegeben, sie
       weideten in den Wäldern, so Anthopoulos. Das Vieh sorgte, indem es Gras
       fraß, auf ganz natürliche Weise dafür, gefährlichen Brennstoff vom Boden zu
       entfernen. Heute müssen Förster das tun, was früher die Tiere taten.
       
       Nur: Die drei Forstämter im Evros seien chronisch unterfinanziert, litten
       zudem unter akutem Personalmangel, legt Anthopoulos den Finger in die
       Wunde. Das Motto der Regierenden für die Forstämter sei: „Kein Geld, kein
       Personal.“ So werde aus dem Wald ein Dschungel. Breche ein Feuer aus, finde
       es am Boden reichlich Brennstoff. Die Klimakrise tue ihr Übriges. Die
       unweigerliche Folge: Die Feuer würden immer gigantischer, sie breiteten
       sich schneller als je zuvor aus. Ein Teufelskreis.
       
       Vor 30 Jahren habe es auch Feuer gegeben, so Anthopoulos. Sie erreichten
       aber nicht so eine Ausdehnung. Denn auf dem Land lebten noch viel mehr
       Menschen: „Die Dorfbewohner haben das Feuer schnell gelöscht“. Seit 1998
       ist die Feuerwehr statt des Forstamts für die Brandbekämpfung zuständig.
       Die Feuerwehr geht nicht in den Wald hinein, um den Brand am Boden aus
       nächster Nähe schon früh zu löschen, so wie es zuvor die Förster taten.
       Heute kommen Löschflugzeuge und -hubschrauber zum Einsatz. „Hat sich der
       Waldbrand ausgebreitet, wird das Löschen aus der Luft aber schwieriger,
       aufwendiger, teurer“, moniert Anthopoulos. Die Experten sind sich einig:
       Viel teurer als die Brandprävention ist die Brandbekämpfung sowieso.
       
       Oberste Priorität der griechischen Feuerwehr sei es heute, Ortschaften zu
       retten, nicht Wälder. Bewohner, die bei der Brandbekämpfung helfen könnten,
       werden per Notruf auf das Smartphone zum Verlassen ihrer Orte aufgerufen.
       Sie fehlen so beim Löschen der Brände. Die Regierung Mitsotakis verfolgt
       diese Strategie, weil im Juli 2018, als der linke Premier Alexis Tsipras in
       Athen das Zepter in der Hand hielt, eine Feuerwalze über 100 Menschen im
       attischen Küstenort Mati zum Verhängnis wurde. Mitsotakis, damals in der
       Opposition, versprach den Griechen: „Das passiert nie wieder“. Er gewann
       die Wahlen.
       
       Das macht Anthopoulos ebenfalls zu einem Gehetzten. Diesen Sonntag muss er
       dafür opfern, um in seinem Büro Vorschläge für den Schutz vor dem drohenden
       Hochwasser im Evros zu entwickeln. „Das ist die nächste große Wette!“, sagt
       er. Es sei ein Wettlauf mit der Zeit. „Dieses Jahr schaffen wir das nicht.
       Solche Großprojekte brauchen Zeit und Geld.“ „Wieviel kostet das?“
       Anthopoulos, ohne Umschweife: „80 Millionen Euro“.
       
       Spricht Dimitrios Bakaloudis über den Dadia-Nationalpark, funkeln seine
       Augen. Der 54-Jährige stammt aus der Gemeinde Soufli am Rande des
       Nationalparks. Er lehrt an der Uni Thessaloniki die Fächer
       Wildtiermanagement und Erhaltung gefährdeter Wildtierarten.
       
       Das Landschaftsmosaik aus Kiefern- und Eichenwäldern im Dadia-Nationalpark,
       unterbrochen von Lichtungen, Weiden und Feldern, sei der ideale Lebensraum
       etwa für Raubvögel, schwärmt er. Drei der vier Geierarten, die in Europa
       vorkommen, lebten dort. Was den Nationalpark so einzigartig mache, sei
       seine besondere geografische Lage, wie er betont. Europäische und
       asiatische Flora und Fauna träfen hier zusammen. Über 360 Pflanzenarten
       gebe es hier, darunter 25 Orchideenarten, 104 Schmetterlingsarten, rund ein
       Dutzend Amphibienarten, ferner Reptilien, 60 bis 65 Säugetierarten und mehr
       als 200 Vogelarten.
       
       Wie es mit den Wildtieren im Dadia-Nationalpark nach dem Großfeuer
       weitergehe, könne er nicht sagen. „Wir betreten hier Neuland. Wir hatten
       noch nie so ein Phänomen“, so Bakaloudis. Schwarzmalerei wolle er nicht
       betreiben. Im Gegenteil: Dass der majestätische Mönchsgeier, der Gänsegeier
       sowie der Schmutzgeier – allesamt Markenzeichen des Dadia-Nationalparks –
       bleiben werden, sei durchaus wahrscheinlich, vieler verbrannter Bäume zum
       Trotz. Rund 50 Geierpaare habe es zuletzt im Dadia-Nationalpark gegeben.
       Bakaloudis fügt hinzu: „Um die Wahrscheinlichkeit ihres Verbleibs zu
       erhöhen, stellen wir ihnen für das nächste Brutjahr künstliche Nester zur
       Verfügung“.
       
       ## Die größte Gefahr für die Tiere: Windräder
       
       Ob Greifvögel oder Fledermäuse: Die größte Gefahr für sie sind ohnehin die
       Windräder. Leftheris Kapsalis, 40 Jahre, wissenschaftlicher Mitarbeiter der
       Gesellschaft für Biodiversität im Dadia-Nationalpark, öffnet eine Datei in
       seinem Computer. 34 tote Greifvögel, darunter 16 Geier, seien bis heute
       nach einem Zusammenprall mit Windrädern gefunden worden, hat er
       dokumentiert. “Darunter sind eher zufällige Funde. Die Dunkelziffer ist mit
       Sicherheit hoch, weil nicht alle toten Vögel gefunden werden“.
       
       Feuer hin, die kommende Flut her: Im Evros sprießen die Windräder wie Pilze
       aus dem Boden. Der Evros sei von Athen zur „obersten Priorität“ für die
       Errichtung von Windrädern erklärt worden, obgleich deren Standorte auf den
       Flugrouten der Vögel lägen, kritisiert Kapsalis. 276 Windräder privater
       Firmen mit einer Gesamtleistung von 506 Megawatt seien schon in den Bergen
       im Evros und den benachbarten Rhodopen in Betrieb, die meisten aus Sicht
       von Vogelschützern an einem falschen Standort.
       
       Dafür stehe Hellas in der EU am Pranger, hebt Kapsalis hervor. Doch ändern
       tut sich nichts. Die Regierung in Athen stellt sich taub – die privaten
       Energieerzeuger freut’s. Für weitere 221 Windräder mit einer Gesamtleistung
       von 863 Megawatt sei die Lizenz bereits erteilt, sagt Kapsalis, mehr als
       1.000 Anträge seien in der Pipeline.
       
       Brennt ein Wald oder eine Waldfläche ab, dürfen private Betreiber laut
       griechischem Gesetz anschließend pikanterweise auch auf der verbrannten
       Erde Windräder errichten. Gerade in diesen öffentlichen Liegenschaften –
       Wälder und Waldflächen gehören hierzulande dem Staat – lohnt sich für sie
       das Geschäft. Denn die an den hellenischen Fiskus zu entrichtende Pacht für
       eine Fläche, die zur Errichtung von acht bis zehn Windrädern ausreicht,
       beläuft sich nach taz-Informationen auf 20.000 Euro für eine Pachtzeit von
       20 Jahren. Ein wahres Schnäppchen.
       
       Doch der Widerstand wächst. Heftige Proteste löste eine Entscheidung der
       Behörden aus, nur zwei Wochen nach dem Feuerinferno den Bau zweier
       Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 6,6 Megawatt in einem
       verbrannten EU-Naturschutzgebiet im Evros zu genehmigen. Der Aufschrei war
       groß. Die Regierung Mitsotakis sah sich genötigt, zurückzurudern. Dass die
       Pläne endgültig abgeblasen sind, glaubt im Evros indes keiner. Das
       Mega-Feuer, es hat in jeder Hinsicht viel verbrannte Erde hinterlassen.
       
       2 Nov 2023
       
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