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       # taz.de -- Journalismus in Westafrika: Staatsstreiche gegen Pressefreiheit
       
       > In der Sahelregion steht es schlecht um die freie Berichterstattung.
       > Immer wieder werden Journalist:innen bedroht, verhaftet oder getötet.
       
   IMG Bild: Radio machen in Burkina Faso kann gefährlich sein
       
       Cotonou taz | Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) hat es bereits
       im Mai prognostiziert, als sie ihre Rangliste der Pressefreiheit
       vorgestellt hat. Die gesamte Sahelregion drohe zu einer nachrichtenfreien
       Region zu werden. Innerhalb von zehn Jahren wurden fünf
       Journalist:innen ermordet. Hunderte wurden bedroht und können ihrer
       Arbeit aus Angst nicht mehr nachgehen.
       
       Die Militärregime üben zunehmend Druck aus. Westafrika hat seit August 2020
       sechs Staatsstreiche erlebt. [1][Die Junta in Burkina Faso,] die seit
       Oktober 2022 an der Macht ist, wies im April zwei französische
       Journalistinnen aus. Innerhalb von 24 Stunden mussten sie das Land
       verlassen. Wie im Nachbarland Mali suspendierte sie außerdem die
       französischen Sender „Radio France Internationale“ (RFI) und „France24“.
       Doch auch lokale Sender sind betroffen. „Radio Omega“ musste seinen Dienst
       zeitweilig einstellen, nachdem es ein Interview mit Ousmane Abdoul Moumouni
       gesendet hatte. Nach dem Putsch im Niger Ende Juli, dem jüngsten in der
       Region, hatte sich der Aktivist auf die Seite des festgesetzten Präsidenten
       Mohamed Bazoum gestellt.
       
       „Die Lage ist sehr besorgniserregend, besonders, wenn es um
       Meinungsfreiheit geht“, sagt Samira Daoud, Direktorin des Büros für West-
       und Zentralafrika der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“.
       „Seit den Staatsstreichen in Mali, Burkina Faso und Niger sehen wir die
       Risiken, denen Journalisten und Angehörige der Zivilgesellschaft ausgesetzt
       sind. Menschen werden verhaftet, wenn sie ihre Meinung äußern.“ In den
       Wochen nach dem Staatsstreich waren auch Akteur:innen der
       Zivilgesellschaft sehr vorsichtig mit Aussagen.
       
       Der derzeit bekannteste Fall ist der von Bloggerin Samira Sabou in
       [2][Niger.] Sie habe, so Sadibou Marong, der das RSF-Büro in Senegals
       Hauptstadt Dakar leitet, bereits vor der Amtsübernahme Bazoums unabhängigen
       Journalismus betrieben und beispielsweise zu Korruption recherchiert. 2020
       wurde sie mit dem Vorwurf verhaftet, den Sohn von Ex-Präsident Mahamadou
       Issoufou diffamiert zu haben. Da ein Gericht diesen aber nicht bewiesen
       sah, wurde sie aus der Haft entlassen.
       
       ## Öffentliche Ordnung ‚gestört‘
       
       Am 30. September wurde sie erneut verhaftet. Unbekannte maskierte Männer,
       Angehörige des Geheimdienstes, nahmen sie im Haus ihrer Mutter fest. Fast
       eine Woche lang wussten weder ihre Familie noch ihr Anwalt, wo sie sich
       befand. Nachdem Samira Sabou der Kriminalpolizei überstellt worden war,
       wurde sie vorläufig freigelassen. Die Anklage lautet allerdings, sie habe
       „Daten hergestellt und verbreitet, die geeignet seien, um die öffentliche
       Ordnung zu stören“.
       
       Bereits verurteilt wurde Anfang Oktober die Social-Media-Nutzerin Samira
       Ibrahim. Auch sie wurde wegen des gleichen Vorwurfs zu einer sechsmonatigen
       Bewährungsstrafe in Höhe von umgerechnet gut 450 Euro verurteilt. Grund
       dafür war ein Facebook-Post. Sie äußerte sich dazu, dass Algerien die neue
       nigrische Regierung nicht anerkenne.
       
       „Heute gibt es unglaubliche Vorwürfe“, sagt Marong. Typisch bei
       Verhaftungen sei auch, dass sofort Handys konfisziert würden. Es würde
       sofort überprüft, mit wem die Verhafteten in Kontakt stünden. „Das ist
       gefährlich und besorgt uns sehr.“
       
       Dabei sei es vor dem Putsch im weltweiten Vergleich nicht zu schlecht um
       die Pressefreiheit in Niger bestellt gewesen, so Marong. Mit den Militärs
       hätten die Probleme jedoch begonnen. Journalist:innen wurden
       einbestellt, verhört und bedroht. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es
       nicht. Französische Reporter:innen, die über anti-französische Proteste
       berichteten, wurden als Frankreichs Alliierte bezeichnet. Es habe
       allerdings auch Angriffe auf nigrische Journalist:innen gegeben.
       
       ## Medienhäuser in der Verantwortung
       
       Nach Einschätzung von Samira Daoud schlägt Niger den Weg von [3][Mali und
       Burkina Faso] ein. Nach den Staatsstreichen dort haben sich
       Arbeitsmöglichkeiten von Journalist:innen nach und nach verschlechtert.
       In Niger haben die Einschränkungen allerdings schneller eingesetzt. Während
       Menschenrechtsorganisationen darauf aufmerksam machen, sieht Sadibou Marong
       allerdings auch Medienhäuser auf dem Kontinent in der Verantwortung.
       
       „Afrikanische Verleger:innen sollten einen Appell an Niger verfassen,
       in dem es heißt, dass die Pressefreiheit respektiert werden muss.“
       Umgesetzt wurde das Vorhaben allerdings nicht. Es habe sogar einen
       Gegenaufruf und Reportagen gegeben, die zeigen wollten, dass es keine
       Einschränkung bei der Pressefreiheit gebe. „Doch die Einschränkung bei der
       Pressefreiheit ist Realität.“
       
       Journalist:innen, die noch arbeiten, schränken außerdem ihre Themenwahl
       ein. Berichte über das Militär – in allen drei Ländern begründeten die
       Putschisten die Machtübernahme mit der schlechten Sicherheitslage – sind
       Tabu. Stattdessen gibt es Pressemitteilungen von den Armeen, die angebliche
       Erfolge im Anti-Terrorkampf betonen. Ob es sich bei den Getöteten
       tatsächlich um mutmaßliche Anhänger einer Terrorgruppe handelt oder zivile
       Opfer, lässt sich kaum überprüfen. Auch nach dem Massaker von Moura – nach
       einer Untersuchung der Vereinten Nationen haben malische Streitkräfte und
       Wagner-Söldner im März 2022 dort rund 500 Personen umgebracht – wurde
       zunächst von einem Erfolg gegen islamistische Gruppierungen gesprochen.
       
       Ein Journalist aus Mali, der für einen privaten Radiosender arbeitet, ist
       vorsichtig mit seiner Antwort. Es sei doch alles gut, schreibt er knapp und
       möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.
       
       ## Ghana als stabile Demokratie
       
       Doch auch Terrorgruppen – sie stehen dem Islamischen Staat oder der Al
       Quaida nahe – verhindern journalistisches Arbeiten im Sahel. Der
       französische Journalist Olivier Dubois war knapp zwei Jahre Geisel. Die
       malischen Journalisten Hamadoun Nialibouly und Moussa M’bana Dicko, über
       deren Entführung weit weniger berichtet wurde, bleiben verschwunden.
       
       Doch bereits mit der Ermordung von Ghislaine Dupont und Claude Verlon, zwei
       RFI-Reporter:innen, am 2. November 2013 in der Stadt Kidal im Norden Malis
       haben sich Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt. Für Journalist:innen war
       es nicht mehr möglich, alleine in die Region zu reisen, sondern sie waren
       auf die malische Armee sowie die Ende des Jahres auslaufende
       UN-Stabilisierungsmission Minusma angewiesen. Embedded Journalism ist
       längst in Westafrika angekommen.
       
       Einschränkungen in der Meinungs- und Pressefreiheit erleben aber auch
       Journalist:innen in Ländern mit gewählter Regierung. In Westafrika gilt
       [4][Ghana] als stabile Demokratie. Nach Einschätzung der nichtstaatlichen
       US-amerikanischen Organisation Freedom House ist Ghana das einzige Land,
       das als „frei“ eingestuft wird. In der Rubrik „freie und unabhängige
       Medien“ erzielt es drei von vier Punkten. In der RSF-Rangliste belegt Ghana
       Platz 62 von 180.
       
       Kwetey Nartey ist Investigativjournalist und arbeitet für den ghanaischen
       Sender „Joy FM“. „Die Pressefreiheit wird zwar weitgehend respektiert.
       Allerdings nimmt seit einiger Zeit die Selbstzensur zu.“ Zunehmend werden
       Medienhäuser angegriffen. Der jüngste Angriff ereignete sich Anfang Oktober
       auf den Sender „United Television“ in der Hauptstadt Accra.
       
       Lokalen Medienberichten zufolge wurde 16 Menschen verhaftet. Angriffe wie
       diese gelten als politisch motiviert und nehmen vor Wahlen zu. Auch in
       Sierra Leone wurde Ende März ein Journalist angegriffen, als er über die
       Veranstaltung der regierenden Partei berichten wollte. In vielen Ländern
       ist das Abstellen des Internets an Wahltagen üblich geworden.
       
       Auch in Nigeria steht Damilola Ayeni, Redakteur der „Stiftung für
       investigativen Journalismus“ (FIJ), vor zahlreichen Herausforderungen. Er
       arbeitet zu Umweltfragen, aber auch zu Korruption. „Natürlich will niemand,
       der darin verwickelt ist, damit auffliegen. Es gebe zwar das
       Informationsfreiheitsgesetz aus dem Jahr 2011, das teilweise hilfreich sei.
       „Tatsächlich müssen wir aber undercover arbeiten, um Vorgänge selbst zu
       erleben, zu filmen und aufzuzeichnen.“ Das könne durchaus gefährlich
       werden. „Aber über Korruption zu berichten, das ist überall auf der Welt
       riskant.“
       
       12 Nov 2023
       
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