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       # taz.de -- 100 Jahre Loriot: Holleri du dödel di
       
       > Loriot alias Vicco von Bülow wäre am Sonntag 100 geworden. Unsere Autorin
       > brauchte eine Weile, um seinen Humor zu verstehen.
       
   IMG Bild: Unvergessliches Duo: Loriot und Evelyn Hamann prosten sich zu
       
       Vor vier Jahren tauchte auf der Internetplattform „Reddit“ [1][ein
       ungeheuerliches Bekenntnis] auf. Ein(e) Nutzer(in) namens Mancharia
       schrieb: „Ich trau mich mal und verkünde, dass ich mit Loriot nie was
       anfangen konnte.“ Zur Sicherheit schob er/sie gleich hinterher: „Bitte
       nicht ausweisen.“
       
       Loriot nicht witzig zu finden, das heißt sich von der deutschen
       Mehrheitsgesellschaft lossagen. Zumindest vom Spaßkonsens auf deutschem
       Boden. Denn wer, bitte, findet die Sketche von Loriot nicht witzig?
       
       Nun – ich zum Beispiel. Zumindest in jüngeren Jahren konnte ich (geboren
       1974) nichts, aber auch gar nichts mit dem Humor des 2011 Verstorbenen
       anfangen. Diese harmlos gezeichneten Knollennasenfiguren und trottelig
       dreinschauenden Hunde. Nackte Männer, [2][die in der Badewanne mit
       Quietschenten spielen] und sich mit „Herr Müller-Lüdenscheid“ anreden. Und
       dann dieser Jodeldiplom-Sketch, [3][bei dem Frau Hoppenstedt immer den
       „Erzherzog-Johann-Jodler“ verhaut]?
       
       „Holleri du dödel di“ – als Bayerin erschloss sich mir nicht, was daran
       witzig sein soll. So blöd man Jodeln vielleicht finden kann, mit „Dödeln“,
       was auch immer das sein soll, hat es jedenfalls nichts zu tun. Auch an
       anderer Stelle fremdelte ich gewaltig mit dem milden, leisen und trockenen
       Humor Loriots. Mir war das alles zu … norddeutsch. Flach und wohltemperiert
       wie die mecklenburgische Tiefebene, von wo das Adelsgeschlecht der von
       Bülows ja auch stammt. Als Bewohnerin des Alpenvorlands war ich Wilderes
       gewohnt. In meiner Heimat war der Humorhorizont abgesteckt durch die
       abgründig-verzweifelten Verständigungsdesaster [4][eines Karl Valentin],
       die barocken Witzausbrüche [5][eines Gerhard Polt] und die krachlederne
       Brachialgeselligkeit in Wirtshäusern mit Kabarettbühne. „Holleri du dödel
       di“ – ja mei, darüber konnten bloß die Preußen lachen.
       
       So dachte ich, bis ich das Elternhaus verließ, im Ausland lebte und nach
       Ostdeutschland zog, wo ich mit vielerlei Schattierungen von Humor in
       Berührung kam. Einer meiner Mitbewohner stammte aus Mainz und quälte uns
       zur Karnevalszeit mit Büttenreden und Stunksitzungen. Ein sächsischer
       Kommilitone fand ausgerechnet das hessische Comedy-Duo „Badesalz“ komisch,
       und eine Freundin mit migrantischem Ruhrpott-Hintergrund konnte sich über
       Elke Heidenreichs Metzgersgattin „Else Stratmann aus Wanne-Eickel“ nicht
       mehr einkriegen. Und alle zusammen fanden wir sowieso Monty Python und
       Beavis and Butthead cooler als alles Deutsche.
       
       Und dann kriegte mich Loriot irgendwann doch. War es „Pappa ante Portas“
       mit dem mansplainenden Vorruheständler Heinrich Lohse, der zu Hause nicht
       nur die Putzkraft nervt? („Frau Kleinert, unser Plan erfährt eine Änderung.
       Wir machen im Garten weiter.“) Oder der Auftritt von Opa Hoppenstedt, der
       mit beiden Fäusten den Marschtakt so rabiat in die Luft haut, dass der
       „gemütliche“ Weihnachtsbaum wackelt?
       
       Jedenfalls war auch ich inzwischen gesamtdeutsch genug, um die zärtlichen
       Ironieattacken genießen zu können, die Loriot auf den ganzen
       (west-)deutschen Spießerwahnsinn abfeuerte, vom Spieleabend über die
       Hausmusik bis zum Date beim Lieblingsitaliener – „sagen Sie jetzt nichts,
       Hildegard“! Ganz zu schweigen von seinen genialen Persiflagen auf
       bildungsbürgerliche Rituale wie die Dichterlesung („Krawehl, Krawehl!“)
       oder die Tiersendung mit pädagogischem Anspruch („Die Steinlaus“).
       
       Gerhard Polt und Karl Valentin sind für mich zwar noch immer die Größten,
       aber das muss ja kein Widerspruch sein. Schließlich gehört Polt selbst zur
       Fangemeinde, wie er in [6][der liebevollen ARD-Dokumentation zu Loriots
       100.] bekannte. Und mit Valentin verbindet Loriot schon sein Faible für
       ausufernde sprachliche Missverständnissse.
       
       In „Deutsch als Fremdsprache“-Kursen gehören Loriots Sketche mittlerweile
       übrigens zum Standard. Und [7][„Weihnachten bei Hoppenstedts“] wäre auch in
       Integrationskursen gut aufgehoben. „Früher war mehr Lametta!“ – wer das
       versteht, ist vorbereitet für das Leben in der Mitte dieser Gesellschaft.
       Ob am Alpenrand oder im Ruhrpott.
       
       11 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.reddit.com/r/de/comments/frotve/comment/flxlf1u/
   DIR [2] https://youtu.be/R76UD1UQmPk?si=muHMUck0AkAxh7Ih
   DIR [3] https://youtu.be/nOAB_ckeE2U?si=AcDr-ttdOIW6-6RD
   DIR [4] /75-Todestag-von-Komiker-Karl-Valentin/!5913224
   DIR [5] /Gerhard-Polt-wird-70/!5094656
   DIR [6] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/loriot-100-100.html
   DIR [7] https://www.ardmediathek.de/video/100-geburtstag-loriot/loriot-14-weihnachten-bei-hoppenstedts/ard/Y3JpZDovL3JhZGlvYnJlbWVuLmRlLzBjOGZjMTUwLWEzYmYtNDQ2Yi05OTAxLWQ0NTUxNmU1OWQ4MC9lcGlzb2RlL3VybjphcmQ6c2hvdzoyOWZkYmJkZmI5YjI4YTNk
       
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   DIR Nina Apin
       
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