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       # taz.de -- Klage gegen Volksinitiative: Hamburg will nicht enteignen müssen
       
       > Der Hamburger Senat will die Initiative „Hamburg enteignet“ stoppen. In
       > der Begründung lobt er auch intensiv die eigene Wohnungspolitik.
       
   IMG Bild: Hanseatische Enteignung: Das will der Senat mit einer Klage verhindern
       
       Hamburg taz | Es ist ein bunter Strauß an Begründungen, [1][warum der
       Hamburger Senat die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ für
       verfassungswidrig hält.] Auf 108 Seiten plus 100 Seiten Anhang hat er sie
       nun dargelegt und damit das Hamburgische Verfassungsgericht eingeschaltet:
       Das soll die weitere Durchführung hin zu einem Volksentscheid stoppen. „Der
       Senat will um jeden Preis verhindern, dass Hamburgs Bevölkerung über
       Enteignung abstimmt“, sagt Marie Kleinert von der Initiative. Bis das
       Verfassungsgericht über den Antrag des Senats vermutlich frühestens in
       einem Jahr entschieden hat, muss die Initiative warten.
       
       Im September vergangenen Jahres begann die Volksinitiative mit der
       Unterschriftensammlung. Nach dem Vorbild der Berliner Initiative „Deutsche
       Wohnen & Co enteignen“ sollen in Hamburg private, profitorientierten
       Immobilienkonzerne mit mindestens 500 Wohnungen enteignet werden – und die
       Wohnungen in öffentliche Hand übergeben werden. Damit dürfte es sich um
       mindestens 100.000 Wohnungen handeln, die danach von einem
       gemeinwohlorientierten kommunalen Unternehmen verwaltet würden.
       
       Im ersten Schritt hatten sich [2][mehr als 18.000 Hamburger:innen für
       das Vorhaben ausgesprochen.] Im Rahmen der Hamburger Volksgesetzgebung
       stünde nun ein Volksbegehren an, in dem die Initiative innerhalb von drei
       Wochen 65.000 Unterschriften sammeln müsste. Ziel der Initiative ist, dass
       die Mehrheit der wahlberechtigten Hamburger:innen darüber in einem
       Volksentscheid abstimmt und der Senat dies anschließend umsetzt – ähnlich
       wie in Berlin, wo ebenfalls eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten
       für Enteignungen gestimmt hatte. Der dortige Senat allerdings hat die
       Umsetzung seither blockiert.
       
       In Hamburg kann der Senat Klage gegen diese Durchführung einreichen, wenn
       er „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der Initiative hat. Das
       hatten bereits mehrere SenatorInnen in den vergangenen Monaten angeführt –
       ohnehin halten SPD und Grüne inhaltlich nichts von Enteignungen als Mittel,
       um bezahlbaren Wohnraum in Hamburg zu gewährleisten.
       
       ## Experten sehen kein Problem
       
       Die Gründe, die der Senat anführt, sind vielfältig: So macht er etwa
       „erhebliche Bedenken“ hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Maßnahme
       geltend. Da eine solche Vergesellschaftung, die im Grundgesetz geregelt
       ist, bislang noch nicht angewendet wurde, überrascht das kaum. Zugleich
       hatte allerdings eine Kommission aus juristischen Expert:innen vor
       einigen Monaten in ihrem Abschlussbericht zur Umsetzbarkeit des Berliner
       Volksentscheids deutlich gemacht, dass das möglich und verfassungskonform
       wäre. Auch in einer vorab festgelegten Zahl an im Besitz befindlichen
       Wohnungen, ab der Immobilienkonzerne enteignet würden, sahen die
       Expert:innen kein Problem.
       
       Auch in einem anderen Punkt kommt der Hamburger Senat zu einer anderen
       Einschätzung als die Berliner Expert:innenkommission: Der Senat ist der
       Ansicht, dass die betroffenen Wohnungseigentümer mehr oder minder zum
       Marktwert zu entschädigen sind. Indes hatte die
       Expert:innenkommission herausgestellt, dass die Entschädigungssumme
       unter dem Marktwert der Immobilien liegen könne.
       
       Nach Ansicht des Senats wären dafür bis zu 7,3 Milliarden Euro fällig –
       allerdings geht der Senat davon aus, dass lediglich 32.000 Wohnungen von
       einer Vergesellschaftung betroffen wären, wohingegen die Volksinitiative
       mit rund 100.000 Wohnungen rechnet. So genau weiß das aber niemand, auch
       der Senat erklärt, dass „Ermächtigungsgrundlagen für eine entsprechende
       Datenerhebung nicht zur Verfügung stehen“. So oder so: In jedem Fall sei es
       ein „Eingriff in den Kernbereich des Haushaltsrechts der Bürgerschaft“ –
       das sei laut Verfassung nicht zulässig.
       
       Außerdem ist der Senat laut Klageschrift der Ansicht, es sei
       verfassungswidrig, dass er gezwungen sein könnte, im Falle eines
       erfolgreichen Volksentscheid „gegen seinen Willen durch persönliche
       Mitarbeit von Mitgliedern des Senats“ an der Umsetzung mitzuarbeiten. Dies
       sei ein Bruch des Grundsatzes der sogenannten Verfassungsorgantreue.
       
       ## Senat lobt sich selbst
       
       Zugleich lobt sich der Senat selbst – und führt seine eigene Politik als
       wirksamere Maßnahme „zur Gewährleistung einer angemessenen
       Wohnraumversorgung der Bevölkerung“ an: Durch das mit der
       Wohnungswirtschaft geschlossene „Bündnis für das Wohnen“ seien in Hamburg
       in den vergangenen Jahren Zehntausende Wohnungen gebaut worden, wodurch
       Hamburg „weiterhin eine soziale Metropole für alle“ geblieben sei. Damit
       sei aus Sicht des Senats nachgewiesen, dass es neben der Vergesellschaftung
       größerer Wohnungsbestände effektivere, aber weniger eingriffsintensive
       Maßnahmen gebe.
       
       „In diesem Schriftsatz stehen seitenweise Eigenlob des Hamburger Senats“,
       beklagt deshalb Marie Kleiner von der Volksinitiative. Dabei sei der
       Wohnungsbau längst eingebrochen, [3][die Mieten würden weiter rasant
       steigen.] Das sieht auch, als einzige Fraktion in der Bürgerschaft, die
       Linkspartei so: „Der Senat will lieber seinen Kuschelkurs mit der
       profitorientierten Wohnungswirtschaft und windigen Investor*innen
       fortsetzen“, sagt Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der
       Fraktion.
       
       15 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Volksinitiative-Hamburg-enteignet/!5945778
   DIR [2] /Hamburg-enteignet-in-der-Buergerschaft/!5941299
   DIR [3] /taz-Salon-in-Hamburg/!5924872
       
       ## AUTOREN
       
   DIR André Zuschlag
       
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