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       # taz.de -- Bekenntnisse eines Union-Fans: „Der beste Trainer ist weg“
       
       > Urs Fischer konnte über seinen Abschied selbst bestimmen. Das hat er am
       > Montag getan. Ich kenne aber keinen, der ihm Erfolglosigkeit vorwarf.
       
   IMG Bild: Je öfter Union verlor, desto trotziger standen die Fans zu ihrem Trainer
       
       Urs Fischer ist nicht mehr Trainer bei Union. Es gibt so viele
       Scheißmeldungen von außerhalb des Fußballs in diesen Tagen und Wochen, dass
       es diese nicht auch noch brauchte. Dass sie irgendwann kommen würde, war
       zwar so klar wie [1][Unions] vorhersehbares Aus in der Champions League,
       aber das macht den Schock nicht kleiner.
       
       Es steht mir nicht zu, die Entscheidung als begründet oder unausweichlich
       zu beurteilen. Labern gehört zwar zum Fußballfantum, aber man kann es auch
       einfach mal lassen.
       
       Das Einzige, was ich sagen kann: Ich kenne keinen Unioner aus meinem
       persönlichen Umfeld, der dem Trainer Erfolglosigkeit vorwarf und ihn
       ausgetauscht sehen wollte. Im Gegenteil, er sollte unbedingt bleiben. Das
       konnte man zuletzt auch immer wieder in der Alten Försterei hören, wenn das
       ganze Stadion „Urs Fischer“-Rufe skandierte. Man darf wetten, dass es diese
       Sprechchöre beim nächsten Heimspiel gegen Augsburg wieder und noch lauter
       geben wird.
       
       Nicht nur aus Dankbarkeit, weil er den Klub von der Zweiten in die Erste
       Bundesliga und in die europäischen Wettbewerbe geführt hat, sondern weil
       niemand besser zu diesem Verein passte. Unbeirrt und ohne abzuheben sein
       Ding machen, das kennzeichnete die Arbeit und das Auftreten des Schweizers.
       
       Im Verbund mit Sportdirektor Oliver Ruhnert und der ganzen
       Vereinsbelegschaft schaffte er das Wunder, trotz stetiger Abgänge
       herausragender Spieler immer wieder eine neue, noch schlagkräftigere
       Mannschaft aufzubauen. Der Verein ließ ihn machen und wurde mit einem
       sportlichen Siegeszug belohnt.
       
       ## Manchen war der Erfolg unheimlich
       
       Es gibt wohl keinen deutschen Fußballklub, der mit vergleichsweise
       bescheidenen eigenen Mitteln einen so raschen (auch wirtschaftlichen)
       Aufstieg schaffte. Viele, vor allem ältere Unioner betrachteten das nicht
       nur berauscht, sondern fast unheimlich. Eigentlich war jedem klar, dass es
       nicht immer so weitergehen konnte. Der vierte Meisterschaftsplatz in der
       letzten Saison war das maximal Erreichbare auf absehbare Zeit.
       
       Dass es so plötzlich wieder abwärts ging, von Platz eins auf den letzten
       Tabellenplatz, sorgte in den medialen Laberrunden außerhalb Berlins
       teilweise für mehr Verwunderung als in Köpenick selbst. Urs Fischer war ja
       stets als lustiger Kauz belächelt worden, wenn er als prioritäres Ziel
       permanent den Bundesligaklassenerhalt ausgab. Bei Union, und sicher nicht
       nur bei den Fans, hat man das trotz aller gestiegenen Ansprüche nicht als
       Spleen abgetan. Zumindest die älteren Anhänger und Mitglieder der
       Vereinsführung wissen noch allzu gut, das Fußball ein labiles Geschäft ist.
       Umso mehr hatte es etwas sehr Angenehmes, dass die Vereinsführung selbst in
       der Niederlagenschleife nicht zu Reflexen neigte, die das Fußballbusiness
       gemeinhin prägen. Präsident Dirk Zingler sprach Urs Fischer, der nach der
       letzten Saison von den Fachleuten zum „Trainer des Jahres“ gekürt worden
       war, das vollste Vertrauen aus.
       
       Dass es jetzt trotzdem zur Trennung kam, dürfte die abgebrühten
       Profibeobachter vielleicht zu neunmalklugen Sprüchen veranlassen. Wen
       interessiert’s. Dirk Zingler hat auf einer Pressekonferenz gestern
       Nachmittag gesagt, dass die Nachricht „wie ein Schlag mit dem
       Vorschlaghammer“ auf viele Menschen wirke, aber er habe an seinem Vertrauen
       bis zum Schluss festgehalten. Es sei eine „gemeinsame Entscheidung“ mit dem
       Trainer gewesen, die Zusammenarbeit zu beenden.
       
       Nach Zinglers Worten, an denen zu zweifeln es keinen Anlass gibt, habe es
       eine klare Vereinbarung gegeben, dass er ihn bis zur letzten Sekunde
       unterstützen würde. Wann diese letzte Sekunde kommen würde, hätte in der
       Hand von Urs Fischer gelegen. So sei es zuvor vereinbart worden.
       
       Am Montag, einen Tag nach dem desaströsen 0:4 von Union bei Bayer
       Leverkusen, war der Zeitpunkt offenbar gekommen. „Wir wusste nach zwei
       Minuten, wie das Gespräch, das sehr emotional war, endet.“ Interessant ist
       die Aussage des Präsidenten, dass beide Seiten sowieso gewusst hätten, dass
       die Zusammenarbeit endlich sei. „Wir haben die Beendigung nur vorgezogen.“
       Wobei das Wir in diesem Fall das Ich von Urs Fischer war, der damit einen
       ähnlich selbstbestimmten Abgang wie kürzlich Trainer Bo Svensson bei Mainz
       05 wählte.
       
       „Wir fühlten uns beide manchmal gefangen, wie wir das alles mit den
       Erfolgen fortführen könnten“, sagte Dirk Zingler, und ja, der Fußball sei
       unberechenbar. Manchmal schmerze er, manchmal bringe er Freude, mit beidem
       müsse man umgehen.
       
       Der beste Trainer, den Union je hatte, ist weg. Aber seine Aura liegt noch
       über dem Verein. Sie soll helfen, ihn vor dem sportlichen Abstieg zu
       retten.
       
       15 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fc-union-berlin.de/de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Leue
       
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