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       # taz.de -- Neue EU-Zulassung angekündigt: Noch mal zehn Jahre Glyphosat
       
       > Die EU-Kommission kündigt an, das umstrittene Pestizid weiter zuzulassen.
       > Denn die Mitgliedstaaten haben kein Veto eingelegt – auch Deutschland
       > nicht.
       
   IMG Bild: Ist das krebserregend? Unkrautvernichtungsmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat
       
       Berlin taz | Nachdem die EU-Staaten auf ein Veto verzichtet haben, will die
       Europäische Kommission das umstrittene Pestizid [1][Glyphosat] weiter
       erlauben. Auf der Grundlage von Sicherheitsbewertungen „wird die Kommission
       nun die Zulassung von Glyphosat für einen Zeitraum von zehn Jahren
       verlängern“, [2][kündigte die Behörde am Donnerstag an].
       
       Damit reagierte sie auf eine Abstimmung im Berufungsausschuss der
       Mitgliedstaaten, bei der sich wie in der Vorinstanz vor einem Monat keine
       ausreichende Mehrheit für oder gegen den Vorschlag der Kommission gefunden
       hatte. Dazu trug auch Deutschland bei, das sich Diplomaten zufolge ebenso
       wie Frankreich, die Niederlande und vier weitere Staaten enthielt. Nur
       Österreich, Luxemburg und Kroatien lehnten eine Neuzulassung ab. Die
       aktuelle Erlaubnis läuft am 15. Dezember aus.
       
       Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die
       Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation
       stufte ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein – mit Glyphosat
       gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten
       daraufhin mehrere Gerichte den Chemiekonzern Bayer zu hohen
       Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den
       Unkrautvernichter zurückführen.
       
       Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die
       Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht
       gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und
       Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.
       
       ## Verbot in Deutschland quasi ausgeschlossen
       
       Wegen solcher Bedenken verbietet der Kommissionsentwurf für die neue
       Zulassung die „Sikkation“ mit Hilfe von Glyphosat, bei der die angebauten
       Pflanzen getötet werden, um die Früchte leichter ernten zu können. Dabei
       ist das Risiko von Rückständen im Erntegut besonders hoch. Deutschland und
       andere EU-Staaten haben die Sikkation deswegen bereits stark eingeschränkt.
       Zum anderen will die Kommission Düsen vorschreiben, die Glyphosat
       zielgerichteter ausbringen, sodass weniger des Pestizids in die Umgebung
       abdriftet.
       
       Außerdem sollten mindestens 5 bis 10 Meter breite Ränder der Felder nicht
       gespritzt werden. Allerdings sollen die Mitgliedsländer auf diese Regel
       verzichten können, wenn es keine „inakzeptablen Risiken“ gibt. Eine
       Sprecherin des Bundesagrarministeriums sagte der taz bereits im Oktober,
       „dass auf Deutschland voraussichtlich [3][keine Neuerungen] zukommen
       würden“. Sprich: Die Lage würde sich durch die vorgeschlagenen Bedingungen
       nicht bessern.
       
       Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich gegen Glyphosat
       positioniert. Denn die zuständige Europäische Behörde für
       Lebensmittelsicherheit (Efsa) hat zwar keine nach EU-Recht „kritischen“
       Umweltprobleme festgestellt. Aber das lag vor allem daran, dass ihr Daten
       und eine innerhalb der EU abgestimmte Methodik fehlten. Die Efsa
       kritisierte, dass die Pestizidhersteller keine systematische
       Literaturzusammenstellung zum Thema geliefert hätten. Aus diesen Gründen
       seien „keine eindeutigen Schlussfolgerungen“ dazu möglich, wie der
       Unkrautvernichter sich auf die Artenvielfalt auswirkt.
       
       Trotz seiner Bedenken ließ das federführende Landwirtschaftsressort nicht
       gegen die neue Zulassung in Brüssel stimmen, weil die Koalitionspartnerin
       FDP sich für Glyphosat ausspricht. Die Partei argumentiert, die Efsa habe
       keine Einwände festgestellt. Zudem sei das Pestizid nötig für eine
       Landwirtschaft ohne Pflug, die Vorteile für die Umwelt haben kann.
       Hintergrund ist auch, dass Bayer ohne Glyphosat Milliarden verlieren würde
       und Bauern teils höhere Produktionskosten hätten.
       
       ## Bauernverband begrüßt Entscheidung
       
       Nach der EU-Abstimmung verwies Özdemir auf die im Ampel-Koalitionsvertrag
       getroffene Vereinbarung, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen.
       „Insofern gehe ich davon aus, dass alle drei Koalitionspartner sich dem
       gegenüber verpflichtet fühlen und das jetzt gemeinsam umsetzen, so dass wir
       im Rahmen dessen, was Brüssel festgelegt hat, jetzt unseren nationalen
       Spielraum nutzen.“ Der ist allerdings klein. Nur [4][„im Extremfall“]
       dürften Mitgliedsländer „theoretisch“ alle Pestizidprodukte mit dem
       Wirkstoff auf ihrem Territorium verbieten, hatte ein hochrangiger
       EU-Beamter im Vorfeld gesagt. Sie müssten dafür wissenschaftlich belegte
       Gründe „im Rahmen der Bedingungen und Restriktionen haben, die wir in der
       Zulassungsverordnung vorschlagen“.
       
       „Durch die Verlängerung der Zulassung auf EU-Ebene wird der versprochene
       Ausstieg quasi unmöglich“, teilte der Naturschutzbund mit. „Die Berichte
       vieler unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler flossen gar
       nicht in den Efsa-Bericht zur Bewertung von Glyphosat ein. Dadurch wird der
       Zulassungsprozess intransparent und verliert seine Glaubwürdigkeit.“
       
       Der EU-Bauernverband Copa-Cogeca dagegen begrüßte wie Bayer die Ankündigung
       der Kommission. „Gegenwärtig gibt es keine gleichwertige Alternative zu
       diesem Herbizid“, so die Organisation. Umweltschützer und Biobauern raten
       aber zum Beispiel dazu, Unkraut etwa durch eine größere Vielfalt der
       angebauten Pflanzen vorzubeugen und durch mechanische Mittel zu bekämpfen.
       
       16 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
   DIR [2] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/statement_23_5792
   DIR [3] /EU-Kommission-ist-fuer-das-Ackergift/!5959255
   DIR [4] /Zulassung-fuer-umstrittenes-Pestizid/!5958389
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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