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       # taz.de -- Ukraine-Krieg und Kasachstan: Das Konzert fällt aus
       
       > In Kasachstan versucht die Zivilgesellschaft, Auftritte kremlfreundlicher
       > Künstler zu verhindern. Russische Kriegskritiker haben es auch nicht
       > leicht.
       
   IMG Bild: Eine Jurte in Butscha als Solidarität mit der Ukraine sorgte für Ärger zwischen Kasachstan und Russland
       
       Berlin taz | Nach dem Zerfall der Sowjetunion stand die kasachische Medien-
       und Unterhaltungsbranche unter starkem Einfluss Russlands: Fernsehen,
       Radio, Kino, Zeitungen und Musik – bis vor Kurzem waren russische
       Produktionen überall vorherrschend. Stars der russischen Musikszene kamen
       mehrmals pro Jahr ins Land und erhielten höhere Gagen als einheimische
       Künstler. Obwohl sich diese Situation in den letzten Jahren veränderte, war
       Russlands großangelegter [1][Überfall auf die Ukraine ein endgültiger
       Wendepunkt].
       
       Im vergangenen Juni fiel ein Konzert des russischen Sängers Grigory Leps
       aus. Zuvor hatten sich Kasachen darüber empört, dass ein Sänger in
       Kasachstan Geld verdienen wollte, um, wie er versprochen hatte, das
       russische Militär zu finanzieren.
       
       Leps’ Manager reagierte, indem er Kasachstan als „russophobe Ecke“
       bezeichnete und erklärte, der Sänger habe gar nicht vor, dort aufzutreten,
       da er nicht in „unfreundliche Länder“ reise. Leps erklärte, dass sein
       Auftritt von „einer Handvoll Leute, die dafür jeweils 20 Dollar bekommen
       hätten“, abgesagt worden sei.
       
       Doch auch kremlkritische russische Künstler haben in Kasachstan Probleme.
       Die Konzerte der Rockgruppe BI-2, deren Sänger sich gegen den Krieg
       ausgesprochen hatte, waren für Sommer 2023 in Kasachstan und Kirgistan
       geplant. In Kirgistan wurde das Konzert ohne Angabe von Gründen abgesagt.
       
       ## Paradoxe Lage in Kasachstan, mit Russland als Verbündete
       
       In den kasachischen Städten Almaty und Astana verliefen die Auftritte ohne
       größere Probleme. In Semei (früher Semipalatinsk) hingegen kam es bereits
       vor dem Auftritt der Musiker zu Behinderungen durch die örtlichen Behörden.
       Die Stadt liegt nahe der kasachisch-russischen Grenze. Viele russische Fans
       hatten geplant, zum Konzert zu kommen, da die Gruppe in Russland nicht mehr
       auftreten kann. Dies war wohl der Grund für die Entscheidung der Behörden
       in Semei, das Konzert zunächst abzusagen und nicht, wie es offiziell hieß,
       die Trauer wegen der zu der Zeit in Kasachstan wütenden Waldbrände. Fast
       wäre es bei der Absage geblieben. Doch die Öffentlichkeit intervenierte und
       die Beamten gaben nach.
       
       Manchmal gelingt es [2][den Behörden] trotzdem, Konzerte von russischen
       Künstlern, die sich gegen den Krieg positionieren, abzusagen. So war es im
       Fall des bekannten Komikers Maxim Galkin, der den Überfall Russlands auf
       die Ukraine verurteilt und sein Land verlassen hatte. Auftritte von ihm
       waren in Almaty und Astana geplant. Einen Monat vorher gaben die
       Veranstalter in Kasachstan bekannt, dass die Termine angeblich schon
       anderweitig vergeben seien. Nachdem sich die kasachischen Fans beschwert
       hatten, stimmten die örtlichen Behörden Ersatzterminen zu. Wenige Tage vor
       den Auftritten wurden beide Säle jedoch wegen Renovierung geschlossen.
       
       Die Lage in Kasachstan ist paradox. Die Behörden sind gezwungen, dem Druck
       der Aktivisten nachzugeben und die Konzerte der (kremlnahen) „Z-Künstler“
       abzusagen. Aber auch russische Künstler, die sich offen gegen den Krieg
       aussprechen, können nicht immer auftreten. So versuchen die Behörden
       vermutlich, zwischen den Interessen der kasachischen Gesellschaft und
       Russlands, [3][ihres engsten Verbündeten], zu lavieren.
       
       Dass Kasachen wegen abgesagter russischer Konzerte weniger
       Freizeitmöglichkeiten hätten, stimmt nicht. Der Prozess der
       Dekolonialisierung, die Suche nach der eigenen Identität und das wachsende
       Interesse an der kasachischen Sprache – all das hat dazu geführt, dass es
       viele kasachische Künstler gibt, die die jüngere Generation viel mehr
       interessieren als ausländische Künstler.
       
       Aus dem Russischen: Gaby Coldewey
       
       30 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Nikita Danilin
       
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