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       # taz.de -- Ausstellung im Kvost in Berlin: Mit einem Hauch von Groteske
       
       > Im Schaffen der Künstlerin Zhenia Stepanenko spielen Gartengeräte eine
       > große Rolle. Die Datscha war für viele Ukrainer ein sicherer Ort.
       
   IMG Bild: Die Künstlerin wählte die Exponate aufgrund ihrer Erinnerungen an die großväterliche Datscha
       
       Berlin taz | Das sind Gespenster“, sagt die ukrainische Künstlerin Zhenia
       Stepanenko über ihre Werke. Nach einem Besuch ihrer [1][Ausstellung im
       Kunstverein Kvost in Berlin] scheint mir diese Metapher mehr als treffend.
       Stellen Sie sich den für Sie sichersten Ort der Welt vor. Für viele
       Ukrainer:innen war das ihre Datscha – ein kleines Stück Land mit einem
       gemütlichen Häuschen, mit Blumen oder Gemüsebeeten. Und jetzt stellen Sie
       sich vor, dass dort Einbrecher waren, die Ihre Blumenbeete zertrampelt, die
       Fenster des Häuschens eingeschlagen und Ihnen das Gemüse gestohlen haben.
       Die Einbrecher sind jetzt zwar wieder weg, aber das Gefühl ihrer
       Anwesenheit bleibt.
       
       Solch ein Gefühl haben aktuell auch viele Bewohner:innen in den [2][von
       der russischen Besatzung befreiten Gebieten der Ukraine]. Und die
       Künstlerin Zhenia Stepanenko vermittelt es durch gewöhnliche Gartengeräte,
       die zum Leben erwacht zu sein scheinen, aber vor Schreck erstarrt sind.
       
       „Es ist eine Mischung aus Gartengeräten und Gegenständen der
       Selbstverteidigung, aggressiv, aber trotzdem magisch. Ich habe auch
       Gegenstände erschaffen, die mit spirituellen Praktiken verbunden sind. Das
       hier sind Biolokationsbögen, die in den 1990er und Nullerjahren populär
       waren. Man hat sie dazu benutzt, um verschiedene Wesen und Gespenster,
       Geister und Energiefelder aufzuspüren
       
       ## Nach der Befreiung bleibt oft die Angst
       
       Was wir hier sehen, ist auch [3][die Geschichte des Gebietes Tschernihiw im
       Norden der Ukraine], das zu Beginn der russischen Invasion besetzt war.
       Nach der Befreiung herrschten bei den Menschen Unsicherheit und Angst, dass
       sich so etwas wiederholen könne. Das wollte ich vermitteln. Diese ständige
       Unsicherheit und Besorgnis, die sich in dem disfunktionalen Verhalten des
       Helden, den paranoiden Selbstschutzhandlungen ausdrückt“, sagt die
       Künstlerin über ihre Arbeit.
       
       Als Helden bezeichnet sie ihren Großvater aus dem Gebiet Tschernihiw. Er
       liebte seine Datscha sehr. Das Häuschen hatte er selber gebaut, er
       experimentierte viel mit Pflanzen. Die Datscha war vielleicht mit das
       Wertvollste in seinem Leben. Die Künstlerin stellt ihren Großvater als
       komplexe Persönlichkeit dar, die unterschiedlichsten Emotionen ausgesetzt
       war. Auf diese Weise versucht Stepanenko, das obsessives Gefühl einer
       möglichen Katastrophe hervorzurufen.
       
       „Mein Großvater ist schon lange tot, aber hier findet ein Dialog zwischen
       zwei Geistern statt. Der eine ist der Geist meines Großvaters, ein ganz
       gewöhnlicher, durchschnittlicher Mensch, der alle guten Eigenschaften in
       sich trägt: die Liebe zum Gärtnern, die Leidenschaft bei der Gartenarbeit.
       Die zweite Figur – das ist der Geist des Traumas, das nach der Okkupation
       durch die russische Armee zurückblieb. Der Geist, das ist das, was keine
       Ruhe finden kann“, sagt Zhenia Stepanenko.
       
       Der Beginn des russischen Großangriffs zerstörte das Klischee von der
       Datscha als sicherem Ort. Viele Ukrainer flohen damals aus den Städten auf
       ihre Wochenendgrundstücke, in der Hoffnung, dort Schutz zu finden. Aber
       gerade in der Umgebung dieser Städte wurde es am gefährlichsten. Auf dem
       Weg zur Eroberung der Großstädte zogen die russischen Soldaten hier
       schießend und zerstörend durch.
       
       [4][Auch ich habe zu Beginn des großen Krieges in der Ukraine meine zwei
       Kinder auf eine Datscha gebracht], in der Hoffnung, dass es dort ruhiger
       sei. Und meine Tante, die im Gebiet Charkiw unter russischer Besatzung
       gelebt hat, hat auf ihrer Datscha Kartoffeln und Zwiebeln angebaut, was ihr
       geholfen hat, letztlich zu überleben.
       
       [5][Die Kuratorin der Ausstellung] [6][„All the Dots Connected Form an Open
       Space Within“][7][, Marija Petrovic,] sagt, dass der Grundgedanke der
       Ausstellung – die Liebe zur Natur, zu ihrem Zuhause – in den Werken spürbar
       und sichtbar ist. Aber die scharfen, spitzen Elemente der Exponate
       verweisen auch auf die Fähigkeit zur Selbstverteidigung.
       
       „Die Augen der Exponate begannen, anders lebendig zu werden, eine andere
       Kraft lag in ihnen. Als das Gefühl der Sicherheit verloren ging, entstand
       etwas Neues: nicht nur Angst, sondern auch der Wunsch, sich selber zu
       verteidigen. Ein einfacher Gartenpilz ist mit einem Gerät zur Suche von
       Energiefeldern und einer Falle ausgestattet. Zhenia Stepanenko führt
       verschiedene Materialien zusammen, mit manchen muss man vorsichtig umgehen,
       weil sie scharf und gefährlich sind“, beschreibt Marija Petrovic ihre
       Eindrücke von der Ausstellung.
       
       ## Erinnerungen aus der Kindheit der Künstlerin
       
       Alle Exponate wurden in der Ukraine auf lokalen Märkten gekauft. Die
       Künstlerin wählte sie aufgrund ihrer persönlichen Erinnerungen an die
       großväterliche Datscha, Erinnerungssplittern aus ihrer Kindheit und nach
       den Gefühlen, die die Besatzung ihrer Heimat in ihr auslöste, aus.
       
       Zhenia geht mit Verspieltheit und einem Hauch von Groteske an ihre Werke
       heran. Sie benutzt rostige Gartengeräte, die die tiefe Verbundenheit mit
       dem Garten zu symbolisieren scheinen, die Idee des Halbverlassenen. Da
       Ausführen der Exponate aus der Ukraine hätte zum Problem werden können –
       Jetzt kann man den Dialog der Gespenster in Berlin anhören und betrachten.
       
       Aus dem Russischen: Gaby Coldewey
       
       29 Nov 2023
       
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