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       # taz.de -- Genetikerin über Diagnose-KI: „Entwicklungen vorhersagen“
       
       > Die Zellforscherin Sarah Teichmann weiß, wie KI schädliche Genmutationen
       > erkennen kann. Die KI-Diagnose werde Menschen trotzdem nicht ersetzen.
       
   IMG Bild: Menschliche Zellen unter der Lupe: KI kann bei der Analyse helfen, aber den Menschen nicht ersetzen
       
       taz: Frau Teichmann, in den letzten Jahren hat sich in der biomedizinischen
       Forschung durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) viel
       verändert. Was ist passiert? 
       
       Sarah Teichmann: Grundsätzlich wird KI schon seit Jahrzehnten in der
       Biologie angewandt. Die Entwicklung kommt aus der Informatik und wir
       Biomediziner:innen übernehmen die Methoden und wenden sie auf
       biologische Daten an. In den letzten fünf bis zehn Jahren kam die
       generative KI dazu. Sie untersucht nicht mehr nur die Muster in den Daten,
       sondern kann auch Entwicklungen vorhersagen.
       
       Welche generative KI-Modelle sind in der Biomedizin von Bedeutung? 
       
       Die berühmteste Anwendung ist die Strukturvorhersage mit Alpha Fold 2. Das
       ist ein KI-System, das aus eindimensionalen Aminosäuresequenzen die
       dreidimensionale Struktur von Proteinen vorhersagen kann. Eine Datenbank
       mit hunderttausend Proteinstrukturen und den zugehörigen Aminosäuren
       liefert die Lerngrundlage, durch die das Modell noch unbekannte
       Proteinstrukturen vorhersagt. Auch in der Biotechnologie, Pharmaindustrie
       und Medizin [1][gibt es Fortschritte]. Ein Beispiel ist Alpha Missense, das
       genetische Veränderungen bei Menschen erkennen kann.
       
       Wie funktioniert das? 
       
       Alpha Missense kombiniert verschiedene Daten in einem einzigen Modell. Es
       verbindet Daten zu Proteinstrukturen, zur genetischen Variation in der
       menschlichen Bevölkerung sowie zur Sequenzkonservierung. Das sind bestimmte
       Abschnitte von DNA, RNA oder Proteinsequenzen, die sich im Laufe der Zeit
       kaum oder gar nicht verändert haben. Basierend darauf schätzt die KI die
       Bedeutung sogenannter Punktmutationen ein, also Mutationen, bei denen eine
       einzelne Base in der DNA eines Organismus verändert wird. Alpha Missense
       kategorisiert seltene Punktmutationen, deren Auswirkungen noch nicht
       bekannt sind, in „schädlich“, „nützlich“ oder „ohne Effekt“. Meiner Meinung
       nach ist das Modell aber noch nicht genau genug, um es in der klinischen
       Anwendung zu verwenden.
       
       Ab wann könnten denn KI-generierte genetische Vorhersagen in der klinischen
       Medizin eingesetzt werden? 
       
       Wir sind noch ein Stück weit davon entfernt, dass KI die Diagnose des
       Arztes übernimmt. Ich denke, dass genetische Diagnosen in den nächsten fünf
       Jahren höchstens [2][als unterstützendes Instrument dienen werden]. Was
       danach passieren wird, ist unklar. Im Bereich der Krebs-Genomik gibt es
       immer mehr Modelle, die bereits zur Vorhersage von Risiken eingesetzt
       werden. Trotzdem kann KI den Arztberuf nicht ersetzen.
       
       Wie beeinflusst KI Ihre eigene Forschung? 
       
       Ich leite das Projekt Human Cell Atlas, welches das Ziel hat, alle
       menschlichen Zellen einzeln zu kartieren. Dazu analysieren wir jede Zelle
       und verorten sie räumlich. Um diese Daten zu interpretieren und zu
       integrieren, [3][ist KI von großer Bedeutung]. Ohne sie wären wir nicht in
       der Lage, die Datenmengen überhaupt zu verstehen.
       
       2 Nov 2023
       
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