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       # taz.de -- Ausstellung über Untote: Offene Rechnung mit den Lebenden
       
       > Von heutigem Unterhaltungsgrusel der Zombies bis zur existenziellen Angst
       > christlicher Eltern: Eine Ausstellung in Stade spürt dem Untoten nach.
       
   IMG Bild: Gestickte Fernsehfiguren: Roslyn Cores Tribut an „Buffy, the Vampire Slayer“
       
       Wenn es immer so einfach wäre mit der letzten Ruhe. Wenn also die von uns
       Geschiedenen da blieben, wo wir sie entsorgt haben, oder genauer: ihre
       sterbliche Hülle, also meist: unter der Erde. Aber nein – des Menschen
       Imagination bevölkern gerade nicht die friedlich vor sich hin Verwesenden.
       Sondern aus ihren Gräbern [1][wieder hervor sich buddelnde Gestalten], die
       dann gern noch eine Rechnung offen haben mit allem Lebendigen.
       
       Dass solche Fantasien nicht erst seit der popkulturellen Wiederkehr des
       Zombies florieren, könnte eine Lektion sein, die wir mitbringen vom Besuch
       des Schwedenspeichers in Stade, dem Regionalmuseum der Hansestadt,
       eingerichtet in einem Proviantlager aus dem Dreißigjährigen Krieg. Als
       beherbergte man dort nicht schon im Regelbetrieb (respektive der
       Dauerausstellung) genügend Gruseliges – vielen Kindern in der Region ist
       der [2][Moorleichen-Besuch] als Wegmarke auf dem Weg ins Erwachsenendasein
       unauslöschbar –, ist ein Teil des Erdgeschosses nun bis in den Frühling
       Wiedergängern und Ruhelosen gewidmet.
       
       „[3][Untot. Archäologie BISS Popkultur]“ ist die Ausstellung überschrieben,
       die, man kann das sehr folgerichtig finden, am 31. Oktober eröffnet wurde,
       einem Datum, zu dem sich mit Halloween ja auch in Stade eine traditionell
       angelsächsische Variante der augenzwinkernden Geisterschau zunehmend
       durchsetzt. Und wie es der Titel ankündigt, wird da der Bogen geschlagen
       vom sehr Realen, nämlich abstrakt reproduzierten Grabfunden aus dem
       deutschsprachigen Raum, über einige künstlerische bis hin zu ziemlich neuen
       popkulturellen Beispielen dafür, wie sich die Angst vor dem Tod, der keiner
       ist, verarbeiten lässt zu Unterhaltung und Spiel: Von den
       „Twilight“-Büchern und Filmen bis zu den [4][gestickten
       „Buffy“-Devotionalien] von Roslyn Core, dazu ein paar von Leah Gordons
       tollen Fotos vom Karneval im haitianischen Jacmel und ein kleines Regal mit
       einigen teuren, nicht wirklich dem Spiel zugedachten, eher väterliche
       Sammelleidenschaft bedienenden Plastikfiguren. Niedlich: Etwas Platz ist
       frei geblieben, das Museum bittet um „Ihren Lieblingsuntoten“, der dann
       hier ausgestellt wird.
       
       Apropos Spiel: Sie wissen nicht, wer oder was „The Witcher“ sein könnte,
       geschweige denn dessen dritter Teil? Aber diesen Glatzkopf mit den langen
       Fingernägeln da, auf dem Schwarz-Weiß-Foto, den können Sie einordnen, das
       ist Max Schreck, der [5][Original-Film-Nosferatu], mit dem wiederum Ihre
       Sprösslinge nichts anfangen. Sage noch mal wer, so ein gemeinsamer
       Museumsbesuch in trüber Jahreszeit könne nicht dazu beitragen, Brücken zu
       schlagen zwischen den Generationen. Zur Not gehen Sie einfach zusammen in
       die begleitende Zombiefilmreihe, immer an den verbleibenden
       November-Freitagabenden. Oder gemeinsam Blutspenden gegen freien
       Museumseintritt: Auch das ist irgendwann [6][Teil des Begleitprogramms].
       
       Dass das Denken an und Fürchten vor Rückkehrenden aus dem Jenseits –
       manchmal auch solchen, die dort gar nicht erst Einlass fanden – mal mehr
       war als eine bloße Schattierung unterhaltungsindustrieller Produktion,
       davon erzählen in Stade die sieben „Grabsituationen“, abstrahierte
       künstlerische Aufbereitungen von archäologischen Funden aus dem 10. bis 19.
       Jahrhundert: in der Größe grob heutigen Grabplätzen entsprechende Screens,
       auf dem Boden verteilt. In Form von Animationen und etwas Text – weitere
       Erklärungen sind hinter QR-Codes verborgen – stellen sie reale Grabstätten
       vor, und zwar von Menschen, denen das Christentum, besser: die Kirchen,
       kaum Hoffnung auf Erfreuliches nach dem Tod machten, Nachgeburten oder
       ungetauft verstorbene Kinder etwa. Ausgerechnet eine Schweizer
       Wallfahrtskirche, auch das lernen wir, machte daraus ein Geschäft – was ist
       sachter Netflix-Grusel gegen die elterliche Angst, ihre Kleinen könnten
       ewiger Verdammnis anheimfallen?
       
       Beim Rausgehen im Snackautomaten bemerkt: Haribo-„Vampire“ und
       -„Wackelgeister“ und ein konkurrierendes Gummizeugs namens „Dracula“.
       
       27 Nov 2023
       
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