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       # taz.de -- Krieg in Nahost: Kommen die Hamas-Geiseln bald frei?
       
       > Laut Katar steht eine Einigung zwischen den radikalen Islamisten und
       > Israels Regierung kurz bevor. Doch Netanjahu dementiert.
       
   IMG Bild: Für die sofortige Freilassung der Geiseln: Protest am Samstag in Tel Aviv
       
       Berlin/Tel Aviv taz | Eine lange Tafel mit 239 Tellern ist auf einer Wiese
       im Ein-Hemed-Nationalpark in der Nähe von Jerusalem aufgebaut. 239 Teller –
       einer für jede Geisel, die am 7. Oktober von der radikalislamischen Hamas
       in den Gazastreifen verschleppt wurde. Aufgebaut haben sie einige Hundert
       Menschen, die am Dienstag zu Fuß [1][zu einem Protestmarsch nach Jerusalem
       aufgebrochen waren], um den Druck auf Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
       und sein Kriegskabinett zu erhöhen und alles zu unternehmen, um die Geiseln
       zurückzubringen. Als der Zug am Samstag vor dem israelischen Parlament
       eintrifft, haben sich Medienberichten zufolge rund 30.000 Menschen
       angeschlossen. „Bring them back now!“, steht auf Schildern, die sie in
       Händen halten.
       
       Als sie ankommen, haben die Neuigkeiten schon die Runde gemacht. Ein Deal
       ist nah, so verkündete die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post am
       Samstag. 50 oder mehr Geiseln, die die radikalislamische und militante
       Hamas vor sechs Wochen in den Gazastreifen verschleppt hatte, sollen, so
       der Bericht, möglicherweise bald freigelassen werden.
       
       Doch die Nachricht wird in Israel skeptisch aufgenommen. „Wir haben viele
       ähnliche Ankündigungen von bevorstehenden Deals in den letzten Wochen
       gehört“, sagt Gili Roman, der Bruder der entführten Yarden Roman, am
       Telefon gegenüber der taz: „Doch bislang sind unsere Familienangehörigen
       nicht zurück.“
       
       Seit Wochen laufen in Doha im Golfstaat Katar die Verhandlungen, an denen
       die USA, Israel und katarische Mediatoren stellvertretend für die Hamas
       teilnehmen. Möglicherweise stehen sie nun kurz vor einem Durchbruch. Es
       hänge jetzt nur noch an Fragen „logistischer und praktischer“ Natur,
       bestätigte der katarische Premierminister Mohammed Bin Abdulrahman al-Thani
       am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit dem EU-Außenbeauftragten Josep
       Borrell in Doha.
       
       ## 50 Geiseln oder mehr
       
       Die Details des Deals sollen laut Washington Post auf sechs Seiten
       festgehalten sein. Die Kernpunkte: Alle Konfliktparteien stellen die
       Kampfhandlungen für mindestens fünf Tage ein. Mehr humanitäre Hilfe
       einschließlich Treibstoff solle aus Ägypten in die belagerte Enklave
       gelangen. Dafür sollen einige der Geiseln in kleineren Gruppen alle 24
       Stunden freigelassen werden. [2][Es ist nicht klar, wie viele der 239
       Geiseln] im Rahmen der Vereinbarung freigelassen werden sollen. Zuletzt war
       von 50 Geiseln oder mehr die Rede, wahrscheinlich alle Kinder und deren
       Mütter.
       
       Doch die Situation ist unübersichtlich. Der israelische Ministerpräsident
       Benjamin Netanjahu wies die Medienberichte am Wochenende als „falsch“
       zurück. Es gebe noch keine Vereinbarung über die Freilassung von Geiseln.
       Wo derzeit der Ball liegt, ob auf israelischer Seite oder auf der Seite der
       Hamas, weiß kaum jemand – eine Situation, die nicht nur, aber vor allem für
       die Angehörigen der Geiseln nur schwer zu ertragen ist.
       
       Überhaupt sind die Angehörigen der Geiseln in einer denkbar komplizierten
       Situation: Sie müssen sich damit arrangieren, dass sie mit ihrem Anliegen
       maßgeblich von der radikalislamischen und militanten Hamas abhängig sind,
       die ihre Liebsten am 7. Oktober nach Gaza verschleppt hat. Doch vertreten
       werden ihre Interessen von einer Regierung unter Führung von Netanjahu, dem
       die allerwenigsten im Land noch trauen. Nicht mal 4 Prozent der Israelis
       geben in einer Umfrage an, ihm als Quelle für Informationen über den
       Gazakrieg zu trauen – selbst im rechten Lager sind es nur 6 Prozent.
       
       Uneinigkeit herrscht sowohl unter Politiker*innen als auch in der
       israelischen Öffentlichkeit darüber, zu welchen Bedingungen Israel einen
       Deal akzeptieren sollte. Die einen setzen auf militärischen Druck auf die
       Hamas, sie sprechen sich gegen einen Teilaustausch aus und bestehen auf
       einer Freilassung sämtlicher Geiseln. Andere wollen die retten, die jetzt
       möglicherweise unmittelbar gerettet werden könnten. Eine der Forderungen
       von manchen Familienangehörigen der Entführten lautet: Keine humanitäre
       Hilfe, bevor die Geiseln frei sind.
       
       Maoz Inon wählt einen anderen Weg. Seine Eltern wurden am 7. Oktober beim
       Überfall der Hamas auf ihr Dorf Netiv Ha’asara ermordet. Am Samstagabend
       steht er gemeinsam mit einigen hundert arabischen und jüdischen Israelis in
       Tel Aviv auf einer Friedensdemonstration und fordert ein Ende der Kämpfe:
       „Der Krieg muss jetzt aufhören“, ruft er. Er helfe nur der Hamas und
       Netanjahu, der ihn politisch nutzen wolle. „Wir fordern Sicherheit,
       Gerechtigkeit und Solidarität, für Israelis und Palästinenser.“
       
       Auch der arabische Knesset-Abgeordnete Youssef Atauna nimmt teil: „Sie
       sagen: Wer gegen Krieg ist, ist für Terror“, ruft er den Gegendemonstranten
       zu, die seine Rede durch laute Technomusik stören. „Wir sind hier, um zu
       sagen: Wir sind für den Frieden. Es gibt keinen anderen Weg. Die Logik
       ‚Blut für Blut, Auge um Auge‘ muss enden.“
       
       ## Internationaler Druck auf Israel steigt
       
       Stimmen wie die von Inon und Atauna sind derzeit rar in Israel. Die
       Veranstaltung wurde von fast ebenso vielen Gegendemonstranten belagert und
       von Dutzenden Polizisten gesichert. Ähnliche Proteste waren in den
       vergangenen Wochen mitunter ganz verboten worden, besonders in mehrheitlich
       arabischen Ortschaften.
       
       Doch dass der internationale Druck auf Israel angesichts der humanitären
       Folgen des Kriegs in Gaza steigt, bestätigte vergangene Woche auch Israels
       Außenminister Eli Cohen. Mehrere Amtskollegen hätten ihm gegenüber bereits
       das Thema eines Waffenstillstands angesprochen. Auf die Frage, wie lange
       das „diplomatische Fenster“ für die Operationen der Armee in Gaza noch
       offen stehe, antwortete er: „Zwei oder drei Wochen“. Israel werde aber
       „nicht stoppen, bevor die Geiseln nicht frei seien“.
       
       19 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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