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       # taz.de -- Deutschland verliert gegen die Türkei: Die üben noch
       
       > Nach dem 2:3 im Testspiel gegen die Türkei zeigt sich: Dem DFB-Team ist
       > alles zuzutrauen, guter Fußball, schlechter Fußball – beides in einem
       > Spiel.
       
   IMG Bild: Nach dem Spiel ist vor der Europameisterschaft: Julian Nagelsmann mit DFB-Spielern
       
       So also dürfte sich das etwa in acht Monaten im Berliner Olympiastadion
       anfühlen, wenn hier das [1][Europameisterschaftsfinale] ausgetragen werden
       wird. Denn mehr Emotionalität geht wohl wirklich kaum. Gewaltige Lärmwellen
       brandeten an diesem Abend auf, wenn das Spiel sich Richtung deutsches Tor
       bewegte. Und das Spiel wogte recht unterhaltsam und unruhig hin und her.
       
       Auf der Ehrenrunde wurde das türkische Nationalteam von der überwältigenden
       türkischstämmigen Mehrheit der Zuschauer im Stadion geradezu ekstatisch
       gefeiert, als ob sie tatsächlich gerade ein Finale gewonnen hätten.
       Pflichtschuldig verabschiedeten sich ein paar DFB-Kicker in der Ostkurve,
       weil nur dort die deutschen Fahnenschwenker in der Überzahl waren.
       
       Der emotional aufgeladenen Stimmung versuchte [2][Julian Nagelsmann] danach
       die Wucht zu nehmen. Sich über den fälschlich gegebenen Handelfmeter, den
       Yusuf Sari in der 71. Minute verwandelte, aufzuregen, sei müßig. „Das ist
       heute egal.“ Bei einem K.-o.-Spiel wäre das etwas anderes. Die Botschaft:
       Es war ja nur ein Testspiel.
       
       Dass [3][Nagelsmann] sich sein heimisches Debüt als Nationaltrainer anders
       vorgestellt hatte, nachdem die ersten beiden Auswärtsauftritte unter seiner
       Verantwortung gegen die USA und Mexiko mit viel Wohlwollen als eine Wende
       zum Guten hin gelobt wurden, war aber deutlich. Als er erwartbar an die
       andauernde deutsche Defensivschwäche und fehlende Widerständigkeit erinnert
       wurde, antwortete er spürbar gereizt: „Wir können wieder anfangen, alles
       schwarz zu malen, dann werden wir aber nicht weiterkommen als
       Fußballnation. Wir müssen versuchen, klar zu analysieren, ich glaube, das
       habe ich gemacht, wenn ihr gut zugehört habt.“
       
       Selbstverständlich! Einzelne Spieler, hob Nagelsmann hervor, hätten nicht
       die hundertprozentige Überzeugung und den Willen gehabt. Emotionen stünden
       über der Taktik. Das war eine klare Ansage des Trainers, die auf eher
       unerfreuliche Vieraugengespräche vor der Partie am Dienstag gegen
       Österreich hindeutet. Er machte aber auch taktisches Versagen seines Teams
       bei den ersten beiden Gegentreffern aus. Fußballlehrerhaft bemängelte er
       Fehler im Stellungsspiel und beim „Switch“, wo es zu erkennen gilt, wann
       man keine Chance mehr hat, den Ball zu erobern, sondern Räume verteidigt
       werden müssen.
       
       ## Fehleranalysen wie bei Flick
       
       Mit derartigen Fehleranalysen haben die deutschen Nationalspieler schon
       unter Hansi Flick viel Zeit verbracht, genutzt hat es nur wenig. Nagelsmann
       wies auf die spärlichen Übungseinheiten hin, die ihm bislang zur Verfügung
       standen, und verbreitete Hoffnung, Besserung würde mit der Zeit eintreten.
       Diesem deutschen Team, das ist die schlechte Nachricht auch für Nagelsmann,
       ist weiterhin alles zuzutrauen, im Guten wie im Schlechten, und das
       blöderweise meistens innerhalb eines Spieles. Wunderschön kombinierte sich
       die DFB-Elf nämlich in der Anfangsphase durch die türkische Abwehrreihen.
       Eine Augenweide war die frühe Führung in der fünften Minute, als Benjamin
       Henrichs einen prächtigen Pass in die Tiefe spielte, wo Leroy Sané
       auftauchte und Kai Havertz bediente. In dieser Phase, so war Nagelsmann
       überzeugt, hätte das Team endgültig die Weichen Richtung Sieg stellen
       können. Vor allem Florian Wirtz, der später den Treffer von Niklas Füllkrug
       mit einem spektakulären Alleingang ermöglichte, fiel auf.
       
       Dass dieser Glanz so schnell verblasste, wurmte Nagelsmann. Und noch mehr
       vermutlich, dass seine so ungewöhnliche Idee mit Kai Havertz nach der
       Niederlage niemand so recht als Erfolgsmodell wahrnehmen wollte. Die
       Versetzung des beim FC Arsenal derzeit sehr formschwach auftretenden
       Offensivspielers auf die linke Außenverteidigerposition musste Nagelsmann
       schon selbst als lohnenswert herausheben.
       
       Wobei er darauf aufmerksam machte, dass er eine Art Hybridposition für
       Havertz erfunden hatte. „Ein offensiver Joker“, eine Mischung aus
       Außenverteidiger und einem „linken Zehner“. Neben seinem Treffer hatte er
       durchaus für gefährliche Vorstöße gesorgt, aber das Prädikat „Weltklasse“,
       das ihm Nagelsmann nach der Partie verlieh, hätte wohl außer der Familie
       Havertz keiner der 72.592 Zuschauer vergeben.
       
       Julian Nagelsmann erklärte seinen Schachzug dieses Mal ganz simpel. Mit
       Havertz, Leroy Sané und Jamal Musiala würden drei Weltklassespieler um zwei
       Plätze konkurrieren. Er spiele aber lieber mit drei Weltklassespielern.
       Havertz habe so die große Chance, „bei der Heim-EM eine tragende Rolle zu
       spielen“. Etwas stabiler sollte dieser Abwehrverbund mit Joker aber dann
       doch sein. Bislang fehlt einem die Fantasie dafür.
       
       19 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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