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       # taz.de -- Stillstand beim Plastikmüll-Abkommen: Alles für die Tonne
       
       > Plastikmüll bleibt unbeschränkt. Länder mit starker fossiler Industrie
       > waren bei den Verhandlungen sehr präsent.
       
   IMG Bild: Kein blaues Wunder: Recyceltes Kleid als Symbol des Protests. Leider wirkte es nicht
       
       Nairobi/Berlin taz | „Frustrierend“, „unglücklich“, „katastrophal“ –
       Wissenschaftler und Zivilgesellschaft konnten den Ausgang der einwöchigen
       Verhandlungen über ein neues Abkommen gegen den Plastikmüll im kenianischen
       Nairobi kaum fassen. Sonntagnacht zeichnete sich ab, dass sich die
       Arbeitsgruppe, die das Vorgehen im nächsten halben Jahr festlegen sollte,
       nicht auf ein Prozedere einigen würde.
       
       Damit wird es offiziell bis zum nächsten Treffen keine Verhandlungen geben.
       Weil der Zeitplan sowieso eng gestrickt ist, steht er für einige Teilnehmer
       jetzt ganz infrage. Eine Einigung bis Ende 2024 scheint kaum mehr möglich.
       
       In Nairobi hatten mehr als 1.900 Delegierte verhandelt, die die 161
       Mitgliedstaaten und 318 Beobachterorganisationen, also etwa
       Nichtregierungsorganisationen, vertraten. Nach zwei Verhandlungsrunden in
       Punta del Este in Uruguay vor einem Jahr und in Paris im Frühjahr dieses
       Jahres lag in Nairobi erstmals ein Textvorschlag vor.
       
       Er enthielt ganz verschiedene Möglichkeiten und Ansätze, dem [1][global
       überbordenden Plastikmüll] Herr zu werden, von Produktionsbeschränkungen
       bis zu besseren Recyclingverfahren. Die Verhandlungen in Nairobi sollten
       dazu dienen, die Vorschläge zu sortieren und den Vertrag in eine Richtung
       zu entwickeln.
       
       ## Kardamom und süße Datteln
       
       „Ich hätte mir gewünscht, dass die Weltgemeinschaft einen guten Schritt
       weitergekommen wäre, indem sie den Auftrag zur Formulierung des konkreten
       Abkommens gegeben hätte“, kommentierte Bundesumweltministerin Steffi Lemke
       das Ergebnis am Montag, „eine Großzahl von Staaten hatte sich in Nairobi
       dafür ausgesprochen.“ Gescheitert sei eine Einigung an jenen Staaten, die
       von fossilen Geschäftsmodellen wie der Plastikproduktion profitieren
       wollen.
       
       Damit dürfte Lemke vor allem Saudi-Arabien angesprochen haben; der
       Golfstaat trat als Hauptblockierer auf, auch optisch. Während der gesamten
       Woche hatte der Wüstenstaat ein großes Festzelt aufgebaut, direkt neben den
       Verhandlungssälen. In der „saudischen Lounge“ gab es Kardamomkaffee und
       süße Datteln.
       
       Ein Beamer warf ein saudisches Männerorchester an die Zeltwand, direkt
       neben ein Bild [2][von Kronprinz Mohammed Bin Salman]. Engster
       Verhandlungspartner der Saudis war Russland, dessen Position ein Beobachter
       mit dem Satz „Die [3][Russen scheißen gerade einfach auf alles]“
       zusammenfasste.
       
       Allerdings waren Saudi-Arabien und Russland nicht isoliert. Auch China,
       Indien oder die USA haben wirtschaftliche Interessen daran, das Abkommen zu
       verwässern und den Prozess zu verzögern; und auch in Europa bietet ein
       großer Chemiesektor Arbeitsplätze und Steuergeld. Sichtbar wurde das in der
       starken Präsenz der fossilen Lobby in Nairobi.
       
       ## Ölförderländer blockierten
       
       Die Umweltorganisation CIEL hatte zur Halbzeit der Konferenz eine
       Pressemitteilung veröffentlicht: 143 Lobbyist*innen aus der Erdöl- und
       der Chemieindustrie seien in Nairobi registriert – Verpackungs- und
       Konsumgüterindustrie nicht mitgezählt. Das waren rund ein Drittel mehr als
       bei der vorangegangenen Konferenz in Paris. Aus EU-Delegiertenkreisen war
       zu vernehmen, dass die verstärkte Lobbypräsenz deutlich zu spüren war. Das
       Ende der Konferenz war entsprechend.
       
       Entsprechend pessimistisch zeigten sich viele NGO-Vertreter*innen. „Für den
       Moment muss man sagen, dass das Ergebnis sehr enttäuschend ist“, sagt
       Florian Titze vom WWF. Karuna Rana, Mitgründerin einer NGO, die sich für
       die Rechte von Menschen aus den Pazifikstaaten einsetzt, zeigte sich
       besonders besorgt über die Gefahren, denen viele Inselbewohner*innen
       dadurch ungebremst ausgesetzt seien.
       
       „Die meisten von uns sind unglücklich über die Uneinigkeit und das fehlende
       Mandat, zwischen den Konferenzen am Abkommen weiterzuarbeiten“, sagte Rana,
       „wir behandeln das Plastikproblem nicht als die Umwelt- und
       Gesundheitskrise, die sie ist – und das war für mich sehr enttäuschend.“
       Die Mehrheit der Staaten stehe hinter dem Abkommen, sagte Rana. „Was mich
       besorgt, ist die Macht einiger weniger Ölförderländer, die Verhandlungen zu
       verzögern.“
       
       Auch viele Wissenschaftler*innen, die als Teil der „Scientists Coalition“
       angereist waren, zeigen sich enttäuscht. „Der Ausgang der Verhandlungen ist
       frustrierend, weil wir alle extrem viel gearbeitet haben, um
       wissenschaftliche Fakten in den Prozess einzubringen“, sagt Melanie
       Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut am Morgen nach der Konferenz.
       
       ## Informelle Suche nach Verbündeten
       
       Magnus Løvold von der Norwegischen Akademie für Internationales Recht
       wetterte auf dem Netzwerk LinkedIn, „[4][die Nairobi-Runde] wird als
       uneingeschränkter Misserfolg der multilateralen Umweltdiplomatie in die
       Geschichte eingehen“. Sie habe nichts anderes getan, als das Ausmaß der
       Uneinigkeit des UN-Ausschusses in aller Ausführlichkeit zu dokumentieren.
       Unter diesen Umständen sei es unmöglich, einen Vertrag über die
       Verschmutzung durch Plastik zu entwickeln.
       
       Wie geht es nun weiter? Die vierte und bislang als vorletzte vorgesehene
       Verhandlungsrunde wird im April im kanadischen Ottawa stattfinden. Auch
       wenn dazwischen nicht offiziell weiterverhandelt wird, werden die Staaten
       versuchen, informell Verbündete zu finden.
       
       Beobachter waren sich in Nairobi einig: Würde nur Saudi-Arabien aus den
       Verhandlungen aussteigen, wäre das wohl verkraftbar. Wenn das Land
       allerdings eine Handvoll wirtschaftlich mächtiger Staaten mitnimmt, könnte
       dies ein effektives Abkommen grundlegend gefährden.
       
       20 Nov 2023
       
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