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       # taz.de -- Die Wahrheit: Verkehr mit Menschen
       
       > An der Schnittstelle von Schlimm-Schlimm-Neukölln und
       > Nicht-Kreuzberg-ist-Deutschland-Kreuzberg ergibt sich in Berlin so manch
       > bizarre Situation.
       
       Berlin ist eine Weltstadt, auch wenn es an einigen Ecken, in manchen Herzen
       und noch mehr Köpfen gar nicht danach aussieht. So wurde mir neulich die
       Anwohnerinnenehre zuteil, den zu jeder Tages- und Nachtzeit vor sich hin
       wuselnden Kottbusser Damm an der Schnittstelle von Schlimm-Schlimm-Neukölln
       und Nicht-Kreuzberg-ist-Deutschland-Kreuzberg an einer, ja auch hier in
       Schlimm-Schlimm-Neukölln und Nicht-Kreuzberg-ist-Deutschland-Kreuzberg gibt
       es ordnungsgemäß funktionierende Ampeln, also den Kottbusser Damm an einer
       solchen zu überqueren.
       
       Ich kam nicht weit. Just als mein linkes Bein losmarschieren wollte, kam
       ein altertümliches BMW-Verbrennermodell aus den achtziger Jahren passgenau
       neben mir mit quietschenden Reifen zum Stehen. Der Wagen versperrte durch
       sein Bremsmanöver auch noch die von der Vorgängerregierung des
       Kai-Who-is-Wegner-Bürgermeisters eingerichtete Radspur, was zu einem
       sofortigen Radrückstau von mindestens drei Bringdienst-Ausfahrern mit
       Turban und zwei grummelnden Vatis mit Velo-XXL-Kinderanhängern führte.
       
       Der BMW-Fahrer kurbelte umständlich seine Beifahrerscheibe herunter und
       guckte nach guter Berliner Sitte bräsig bedröbbelt zum Fenster hinaus. Er
       tat mir trotzdem leid, obwohl alle Verkehrsfakten gegen ihn sprachen. Ich
       machte die Andeutung eines bedauernden Schulterzuckens gegenüber den
       zwischen dem Auto und massig viel Verkehr auf der einzigen anderen Fahrspur
       gefangenen Radfahrern, die schnaubten ob der Verzögerung wie nichts Gutes.
       
       Dann fragte ich: „Wie kann ich helfen?“ Der Wagenhalter seufzte befreit.
       „Endlich“, stieß er aus, „endlich!“ Ich guckte ihn prüfend an. „Is ditte
       hier der Kottbusser Damm?“ – „Sehr wohl“, gab ich zu Protokoll, „das hier
       ist der Kottbusser Damm.“ Dann zog ich meine geografische Trumpfkarte. „Die
       Verlängerung des Kottbusser Damms über die Kottbusser Brücke hinaus heißt
       Kottbusser Straße, suchen Sie vielleicht eher diese?“ – „Nein, nein“, rief
       der Goldrandbrillenträger, „nein, ich suche den Kottbusser Damm, endlich!“
       
       ## Dringender Handlungsbedarf
       
       Die wartende Radlerschlange von Turbanfahrern und Vatidienstleistern wurde
       immer länger. Ich musste handeln, wozu hatte ich in der Schule das grüne
       Verkehrswacht-Abzeichen verliehen bekommen? Ich gratulierte dem BMW-Fahrer
       mit Berliner Kennzeichen und lausiger Ortskenntnis zu seinem Straßenfund,
       dann wies ich ihn scharf zurecht, in welche Gefahr er die Radlerschaft und
       überhaupt alle Anwesenden hier auf dem Damm durch sein verbotenes
       Bremsmanöver gebracht habe und so weiter und sofort, und dann fing ich an,
       wie eine gelernte Verkehrspolizistin per Handzeichen den Verkehr auf dem
       Kottbusser Damm zu regeln und hörte erst auf, als der BMW im Berliner
       Weltstadtnebel verschwunden war.
       
       Ja, so geht es zu in Schlimm-Schlimm-Neukölln und
       Nicht-Kreuzberg-ist-Deutschland-Kreuzberg.
       
       22 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harriet Wolff
       
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