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       # taz.de -- Kunst zu „Kochen Putzen Sorgen“: Bis zum surrealen Familiengesicht
       
       > Die Ausstellung „Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop zeigt
       > feministische Kunst von den 1960ern bis heute. Die ist ziemlich
       > satirisch.
       
   IMG Bild: Kochkunst: Birgit Jürgenssen, „Hausfrauen-Küchenschürze“ von 1974/2014
       
       Das eher formale, wenn auch pädagogische Werk von Josef Albers, nach dem
       das moderne Stadtmuseum in Bottrop einst benannt wurde, ist gewiss nicht
       der Schlüssel zum Herzen des Ruhrgebietlers. Der Direktor über lange Zeit,
       Heinz Liesbrock, war ein echter Spezialist der „dokumentarischen“
       Fotografie des 20. Jahrhunderts. [1][Walker Evans] und [2][die Bechers]
       brachten immer genug Leben in die Bude.
       
       Seine Nachfolgerin, Linda Walther, stellt sich dem Publikum mit einer
       Themenausstellung vor, die „[3][Putzen Kochen Sorgen. Care-Arbeit in der
       Kunst seit 1960“] heißt. Das englische Wort, das eher Betreuung und Pflege
       meint, verdeckt dabei, dass es hier um den Haushalt und die Hausfrau geht.
       Das Thema wurde in den 70er Jahren von damals jungen Künstlerinnen mit
       Leidenschaft angepackt. Die meisten Werke sehen aus wie „Performance bei
       mir zu Haus“ und neigen zur Satire.
       
       Ein Video aus Kolumbien karikiert in 7 Minuten und 43 Sekunden die zwölf
       Stunden einer Kleinfamilie vom Klingeln des Weckers bis zum Beginn des
       Abendessens. Um die Überforderung der Ehefrau und Mutter von zwei Kindern –
       die große Geste des Mannes: einmal vier Gläser mit Saft zu füllen –
       darzustellen, werden zwei Stilmittel des Stummfilms bis zum Exzess genutzt:
       Gegenschnitt und Zeitraffer, Treppe rauf und runter als Slapstick.
       
       Die Autorschaft lautet Cine mujer (Kinofrau), offenbar ein Kollektiv. Der
       szenisch wunderschöne Film von 1981 heißt: „Und deine Mutter, was macht
       die?“
       
       ## Die Familie, kein Exempel der eigenen Fron
       
       Emotional liegt die Schwierigkeit darin, die Situation der Hausfrau
       kritisch sichtbar zu machen, ohne die Familie zum Exempel der eigenen Fron
       zu degradieren. Anrührend ein Gemälde von Carmen Maura, soeben post-Franco,
       das mit einem mondrianisch geschulten Auge ein leeres Kinderbett anschaut
       („Leere Wiege“, 1976, Öl auf Leinwand).
       
       Geradezu unverschämt lebendig wirken die „Fotovernähungen“ von Annegret
       Soltau, „Mutter-Glück – mit Tochter und Sohn“, Porträtcollagen zwischen
       Zärtlichkeit und Grausamkeit, in denen die drei Personen in fünf Varianten
       zu einem surrealen Familiengesicht montiert sind (1989/90).
       
       Es wimmelt in Bottrop von vergessenen feministischen Werken. Die
       Tätigkeiten, die sich performativ am besten eignen, bleiben das Bügeln und
       das Kochen. Deshalb sind die prägenden Objekte das Bügelbrett und der Herd
       in den kuriosesten Verfremdungen. Die Einladungskarte verwendet
       [4][Rosemarie Trockels] Relief „Trauma“ (1992), vier asymmetrisch in
       himmelblaue Emaille eingelegte Herdplatten, fast ein Josef Albers, fast ein
       Quadrat – der Spitzname des Museums.
       
       Vielleicht löst „Putzen Kochen Sorgen“ einen Trend aus. Das wäre
       wünschenswert, quasi eine gründliche retrospektive Rollenstudie jenseits
       von [5][Cindy Sherman]. Die Ausstellung selbst allerdings bietet ein
       typisches Beispiel für das Kuratieren im Zeitalter von Google. 44
       Künstlerinnen, weltweit, ergeben einen guten Überblick, werden aber in der
       Menge und flüchtigen Nachbarschaft zu Archivbelegen degradiert. Zwei
       Beispiele: [6][Margaret Raspés Videofilme] über häusliche Arbeit – die
       Kamera in einem selbstgebastelten Helm – sind echte Reality-Schocker.
       
       ## Große Schwierigkeit in der DDR
       
       Eine Retrospektive war neulich im Haus am Waldsee in Berlin zu sehen. In
       Bottrop ist daraus ein dreistöckiger Fernsehturm geworden. Die Küchenfilme
       sind aber nicht dazu gemacht, verglichen zu werden, ganz im Gegenteil. Und
       [7][Gabriele Stötzer, deren radikal-feministisches Werk sie in der DDR in
       große Schwierigkeiten gebracht hat:] Ihre kleinen Schwarzweiß-Fotos von
       Wäscheleinen („Hausfrauenarbeit“, 1980) sind erstklassige Doku, aber doch
       ein eher abwegiges Exempel ihrer komplexen Arbeit um Körper und
       Selbstbestimmung. Was wäre, wenn man ihr einen ganzen Saal gegeben hätte?
       
       Eine Kunstausstellung, die letztlich von unterdrückten Künstlerinnen
       handelt, sollte museal keine Kompromisse machen. Denn nur eine Ehrung in
       voller Grandezza würde ihnen gerecht. Leider wurden etliche fotografische
       Serien und auch Siebdrucke als aalglatte „Ausstellungskopien“ ausgeliehen.
       Wenn die Aura der Zeit aber nicht mitgeliefert wird, dann verflüchtigt sich
       auch der Geist des Feminismus. Die Filmprojektionen sind sämtlich
       digitalisiert und werden zu groß an Wänden gezeigt, die dafür zu hell sind.
       
       So verpufft die klaustrophobische Energie einer Chantal Akerman. Sie hätte
       eine schwarze Box gebraucht, mit einigen Stühlen für die 13 Minuten Kino.
       Eine Bodenarbeit nach einem Konzept von Ingeborg Lüscher, die monochrome
       Schemen von Kleidungsstücken in aufbereiteten „Trocknerflusen“ darstellt –
       „Pesto Cotones“ – wurde in eine Ecke geschoben. In der Mitte des Raums, zum
       Drüberstolpern, hätte sie etwas hergemacht.
       
       So haftet der Ausstellung in Bottrop kurioserweise etwas Haushälterisches
       an. Der Katalog, noch nicht erschienen, droht eine riesige akademische
       Textsammlung zu Frauenfragen in aller Welt zu werden. Offenbar ist hier ein
       Thema zu heiß gekocht worden. Der existenzielle Witz dieser Ära ist grob zu
       ahnen, aber der rebellische Funke springt nicht über.
       
       27 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!528242/
   DIR [2] /Fotografin-Hilla-Becher-ist-tot/!5243325
   DIR [3] https://quadrat.bottrop.de/sonstiges/begleitprogramm-care-arbeit.php
   DIR [4] /Retrospektive-Rosemarie-Trockel/!5899015
   DIR [5] /Ausstellung-zu-Kuenstlerin-Cindy-Sherman/!5966158
   DIR [6] /Feministische-Videokunst/!5910720
   DIR [7] /Underground-Kunstszene-im-DDR-Erfurt/!5889404
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulf Erdmann Ziegler
       
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