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       # taz.de -- Rechter Wahlerfolg in den Niederlanden: „Geert Milders“ nur zum Schein
       
       > Nach ihrem Wahlsieg wirbt die niederländische PVV um Koalitionspartner.
       > Dafür müsste sie von heiklen Punkten in ihrem Wahlprogramm Abstand
       > nehmen.
       
   IMG Bild: „Knallhart an die Arbeit“: Wahlsieger Geert Wilders
       
       Am Tag nach dem Erdrutschsieg seiner Partij voor de Vrijheid (PVV) trat
       Spitzenkandidat Geert Wilders vor seine Mitstreiter*innen. „Heute trinken
       wir Champagner, aber danach gehen wir knallhart an die Arbeit“, kündigte er
       während einer Feier der neuen Parlamentsfraktion an, die sich im Vergleich
       zur vorigen Wahl mehr als verdoppelt hat. Bevor er das Champagner-Glas hob,
       präzisierte Wilders: Die Niederländer sollten „wieder an erster Stelle
       stehen“. Für dieses Ziel arbeite man gerne mit anderen Parteien zusammen.
       „Die Niederländer verdienen es, und es wird auch passieren, dass die PVV
       ins neue Kabinett kommt.“
       
       In der Fraktion löste die kurze Ansprache frenetischen Applaus aus.
       Jenseits der PVV und ihrer Anhänger zeigten sich an diesem Morgen Sorge und
       Kopfzerbrechen. Der rot-grüne Spitzenkandidat Frans Timmermans appellierte
       an alle, die Polarisierung im Land nicht zunehmen zu lassen. „Nun bricht
       die Zeit an, in der wir die Demokratie verteidigen.“
       
       Die bisher stärkste Partei, die schwer abgestrafte liberal-rechte VVD, der
       sozialkonservative [1][Senkrechtstarter Pieter Omtzigt] und sein Nieuw
       Sociaal Contract (NSC) sowie die BoerBurgerbeweging (BBB) stehen nun vor
       der Frage, ob sie mit der PVV kooperieren werden. Mit ihren 37 Sitzen
       fehlen ihr 39 Abgeordnete zu einer Mehrheit der insgesamt 150
       Parlamentssitze. Eine Dreier-Koalition mit VVD (24 Sitze) und NSC (20)
       würde diese gewährleisten, die BBB (7) würde sie als zusätzliche Partnerin
       stabilisieren. Die VVD hatte eine Koalition mit Wilders erstmals nicht im
       Vorfeld ausgeschlossen – freilich in der bis zum Wahltag von Umfragen
       gestützten Annahme, einem solchen Bündnis als Senior-Partnerin vorzustehen.
       
       ## Neuwahlen könnten kommen
       
       Die Vorzeichen haben sich nun gewandelt. Auf der VVD-Wahlparty am Mittwoch
       gaben mehrere Mitglieder zu bedenken, als stärkste aus den Wahlen
       hervorgegangene Kraft werde sich die PVV sicherlich nicht so einfach darauf
       einlassen, heikle Punkte ihres Wahlprogramms zugunsten einer
       rechts-konservativen Koalition aufzugeben. Daher müssten selbst Neuwahlen
       in Betracht gezogen werden.
       
       Während [2][die Bauer-Bürger-Bewegung] einer Zusammenarbeit positiv
       gegenübersteht, ist der Druck auf die bisher regierende VVD und vor allem
       die NSC von Pieter Omtzigt erheblich. Omtzigt hatte sich im Vorfeld gegen
       eine Koalition mit den Rechtspopulisten ausgesprochen.
       
       Nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse lavierte er in einem Gespräch mit dem
       Lokalsender RTV Ost um eine Antwort herum: Man nehme den Auftrag zur
       Regierungsbildung „sehr ernst“, und nach Wahlen sei es „notwendig,
       Kompromisse zu schließen“. Abgeordnete legten einen Eid auf die Verfassung
       ab, was Religions- und Bildungsfreiheit einschließe, so Omtzigt in einer
       deutlichen Referenz in Richtung Wilders PVV.
       
       Eine Koalition ohne die PVV ist nach deren überwältigendem Wahlsieg nicht
       nur rechnerisch sehr schwierig, es könnte ihr auch an Legitimität fehlen,
       wenn sie eine große Gruppe von Wähler*innen ausklammert. Daher wird es
       inhaltlich und strategisch – sowohl für Wilders als auch die möglichen
       Koalitionspartner – auf die Frage hinauslaufen, an welchen Punkten ihres
       Wahlprogramms die Rechtspopulist*innen festhalten und was die übrigen
       rechten und konservativen Fraktionen im Parlament mittragen können.
       
       ## Vielleicht doch alles verhandelbar?
       
       Laut Wahlprogramm will die PVV, siehe Omtzigts Anspielung, muslimische
       Schulen, den Koran sowie Moscheen verbieten. Am Wahlabend bekannte Wilders
       sich dann freilich dazu, Premier aller Bürger*innen werden zu wollen und
       die Verfassung zu respektieren. Auch das Ziel eines sogenannten
       „Asyl-Stopps“, den die Partei seit Jahren fordert, sei verhandelbar und
       durch Maßnahmen zu ersetzen, welche die Zuwanderung senkten. Seit Wilders
       im September das Wahlprogramm präsentierte, hat sich sein Ton hier und da
       verändert und ist weniger scharf geworden, aber, so sagt er selbst: „Wir
       meinen noch immer, was wir meinen.“
       
       Was das bedeutet, hat die PVV seit ihrer Gründung 2006 immer wieder unter
       Beweis gestellt: Sie betrieb eine rabiate „Nexit“-Kampagne und teilte bei
       jeder Gelegenheit gegen den vermeintlichen „europäischen Superstaat“ sowie
       gegen „Klima-Hysterie“ aus. 2012 organisierte sie eine sogenannte
       „Polen-Meldestelle“, bei der Bürger*innen sich mit Klagen über
       osteuropäische Arbeitsmigrant*innen melden konnten. 2015 folgte eine
       vergleichbare Initiative für Klagen über Asylbewerber*innen.
       
       Bei einer Wahlparty in Den Haag trat Wilders 2014 vor ein johlendes
       Publikum und stellte rhetorische Fragen: „Wollt ihr mehr oder weniger
       Europäische Union? Wollt ihr mehr oder weniger Partij van de Arbeid?“
       Gemeint war die sozialdemokratische PvdA. „Wollt ihr mehr oder weniger
       Marokkaner?“, worauf er kurz innehielt und mit süffisantem Grinsen
       ankündigte: „Dann werden wir das regeln.“ Die Aussage brachte Wilders 2016
       eine [3][Verurteilung wegen Beleidigung] ein. Eine Strafe wurde nicht
       verhängt.
       
       Das zeigt: Auch wenn Wilders sich nun gemäßigter gibt: Von seinen Ansichten
       hat er sich nicht abgekehrt, sie mögen einzig vorübergehend zugunsten
       anderer Prioritäten in den Hintergrund treten. Genauso sagte er es kürzlich
       über das Thema Islam: „Der Islam wird nie aus unserer DNA verschwinden,
       aber die Priorität liegt nun deutlich bei anderen Themen.“ Ganz der „Geert
       Milders“, wie ihn manche einheimischen Medien nennen, ist er nicht. Einen
       Beweis brachte er noch am Wahlabend: Er forderte mehr Kaufkraft, bessere
       Gesundheitspolitik und „dass etwas gegen den Asyl-Tsunami getan wird.“
       
       23 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Müller
       
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