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       # taz.de -- Disney+-Serie über Auschwitz-Prozesse: Täter bleiben Täter
       
       > Die Serie „Deutsches Haus“ thematisiert die Frankfurter
       > Auschwitz-Prozesse. Doch sie gerät dabei leider in den Strudel deutscher
       > „Wiedergutwerdung“.
       
   IMG Bild: Eva (Katharina Stark) reflektiert die Rolle ihrer Familie in der NS-Zeit
       
       „Was habt Ihr getan?“ prangt auf den Plakaten, die die neue
       [1][Disney+-Miniserie] „Deutsches Haus“ bewerben. Sie basiert auf dem
       gleichnamigen Roman von Annette Hess aus dem Jahr 2018. Eva, die
       Hauptfigur, ist Polnisch-Übersetzerin und beginnt durch einen Zufall für
       die Staatsanwaltschaft in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen von 1963 zu
       dolmetschen. Man begleitet Eva auf ihrer Reise, in der sie von der naiven
       Nichtwisserin Stück für Stück Bewusstsein über die [2][mörderischen
       Verbrechen] von Auschwitz und ihre familiäre Verstrickung erlangt. Eva
       bietet dem Publikum zweiter und dritter Generation von
       Täter*innennachfahr*innen jede Menge Identifikationspotenzial.
       
       Damit ist die Serie exemplarisch für den Stand erinnerungskultureller
       Debatten in Deutschland. Die Zuschauer*innen fiebern mit Eva mit – wie
       bereits mit Sophie Scholl beim [3][Instagram-Projekt „ichbinsophiescholl“]
       von WDR und BR. Eva, diese emanzipierte, mutige Frau, die die Schuld der
       Eltern und der Gesellschaft lüftet und damit umgehen lernen muss.
       
       Die Serie ist, mit etwas Abstand und viel Kontextualisierung, wichtig, um
       die Beschäftigung mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen wieder mehr in
       die Öffentlichkeit zu rücken. Auch die schauspielerische Leistung von Aaron
       Altaras, der einen jüdischen Remigranten und Referendar spielt, ist ein
       Lichtblick der Serie.
       
       Bei all der Grausamkeit und dem eigentlichen Thema, nämlich der Anklage
       nationalsozialistischer Täter, löst diese Figur viele Fragen aus. Seine
       Familie hatte aus dem Deutschen Reich ins rettende Exil flüchten können,
       doch als Reaktion auf die ihn plagenden Schuldgefühle bildet er sich einen
       Bruder ein, der zum Opfer wurde. Nach der Auflösung, die auf einen
       Ortstermin in Auschwitz folgt, schlägt er sich den Kopf an einer Wand
       blutig und verschwindet im polnischen Wald. Nicht jedoch, ohne zuvor, und
       hier wird aus der Beschäftigung mit den Auschwitz-Prozessen plötzlich eine
       schnulzige Alpenromanze, mit der Dolmetscherin Eva „das Einzige“ zu tun,
       „was man dem allen vielleicht entgegensetzen kann: Sie liebten sich“ – so
       zumindest in der Buchvorlage.
       
       ## Evas Kampf gegen die Verdrängung
       
       Während der Premiere erklärte mir eine Regisseurin die technische Umsetzung
       einer zentralen Szene. Bei der Anklageverlesung nimmt die Kamera den
       Anklagevertreter seitlich in den Blick. Die Kameraeinstellung lässt die
       Zuschauenden das Profil des Mannes sehen. Dadurch wird die Empathie und
       Menschlichkeit in diesem Augenblick verstärkt. Die Regisseurin betonte:
       „Wir sollen auf seiner Seite sein, zitternd, sich versprechend, im Schock,
       anklagend.“ Während der Aufzählung grausamer Verbrechen unterbricht er
       immer wieder, nimmt einen Schluck Wasser zu sich. Doch er schaut nicht in
       die Kamera. Er schaut von den Zuschauer*innen weg. Dieser Blickwinkel
       distanziert. Interpretieren könnte man das als: Nicht ihr seid schuld,
       sondern die da, die „Monster“ auf der Anklagebank.
       
       Dabei hatte [4][Hannah Arendt] doch schon bemerkt: „Wie monströs die Taten
       auch waren, der Täter war weder monströs noch dämonisch“. Das eigentlich
       „Monströse“ ist die Normalität dieser Täter. Durchbrochen werden soll das
       wohl durch Evas Familie, die selbst zum Betrieb des Lagers beigetragen hat.
       Doch fühlen die Zuschauer*innen mit Eva – und sie kämpft schließlich
       gegen die Verdrängung an.
       
       Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wollte einen Querschnitt des Lagerpersonals
       in den Auschwitz-Prozessen vor Gericht bringen. Der Prozess sollte
       sinnbildlich zeigen, wie die gesamte deutsche Gesellschaft involviert und
       sich dementsprechend schuldig gemacht hatte. Doch es geschah das Gegenteil.
       Der Prozess wurde missbraucht, um die juristische Auseinandersetzung für
       beendet zu erklären. Auch die Serie tritt an, um aufzuklären – und gerät
       doch in den Strudel deutscher „Wiedergutwerdung“.
       
       18 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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