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       # taz.de -- Stadt Göttingen kauft Schrottimmobilie: „Das Heft des Handelns“
       
       > Am Hagenweg in Göttingen lässt die Mehrheitseigentümerin einen
       > Wohnkomplex verfallen. Nun will die Stadt Appartements kaufen und die
       > Zustände ändern.
       
   IMG Bild: Alle 119 Wohnungen im Komplex Hagenweg 20 will die Stadt kaufen und die Immobilie dann abreißen
       
       Göttingen taz | Nach vielen Jahren leerer Versprechen und weitgehend
       folgenloser Ankündigungen macht die Stadt [1][Göttingen] jetzt Ernst bei
       der [2][Problemimmobilie im Hagenweg 20]. In einer Sondersitzung
       beauftragte das Kommunalparlament einstimmig die Verwaltung, 119 weitere
       Wohnungen in dem heruntergekommenen Gebäude zu kaufen.
       
       Mittelfristig wäre die Stadt damit Mehrheitseigentümer. Auf längere Sicht
       will sie alle Appartements erwerben und das Haus abreißen. Einem
       Sozialkonzept, das jederzeit nach Entwicklung angepasst werden soll, hat
       der Rat ebenfalls einstimmig zugestimmt.
       
       Rund 140 Menschen sind als Bewohner im Wohnkomplex Hagenweg 20 in der
       Göttinger Weststadt gemeldet. Insgesamt 165 zumeist kleine Ein- bis
       Zwei-Zimmer-Appartements verteilen sich auf bis zu sechs Etagen und bieten
       gut 4.000 Quadratmeter Wohnfläche. Die bisherigen Eigentümer haben das Haus
       weitgehend verwahrlosen lassen, [3][Medienberichte über Kakerlaken- und
       Rattenbefall machten es auch bundesweit bekannt].
       
       „Für die Eigentümer war der Hagenweg 20 bislang eine sichere Bank“, sagte
       Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) in der Debatte des
       Stadtrates. „Unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben, spielte für
       sie allenfalls eine untergeordnete Rolle. Doch diese Zeiten sind vorbei.
       Wir wollen das Heft in die Hand nehmen und die Sanierung vorantreiben, vor
       Ort gestalten und die Lebenssituation der Menschen verbessern, dafür
       braucht es Mut, als Stadtverwaltung auch neue Wege zu gehen.“ Die bisherige
       Struktur der Eigentumsverhältnisse habe es der Stadt nicht möglich gemacht,
       Sanierungen und Instandsetzungen am Wohnkomplex zum Wohle der Menschen
       durchzusetzen.
       
       ## Erst Mehrheits- dann Alleineigentümerin
       
       22 Wohnungen sind bereits im Besitz der Stadt. Sie werden, sofern sie nicht
       ohnehin schon leer stehen, nicht neu vermietet, wenn die Bewohner
       ausziehen. Neun weitere Wohnungen können kurzfristig erworben werden, dabei
       dürfte es dem Vernehmen nach keine Schwierigkeiten geben.
       
       Die notwendige Mehrheit, um dringende Sanierungen und im Idealfall einen
       Abriss und Neubau durchzusetzen, erreicht die Stadt damit aber noch nicht.
       Deshalb strebt sie an, zunächst die Mehrheitseigentümerin und damit zur
       „Sanierungstreiberin“ zu werden. Die Alleineigentümerschaft bleibe „das
       langfristige Ziel, um auch durch Abriss und Neubau gestalten zu können“.
       
       Die 119 Wohnungen, welche die Stadt nun zusätzlich kaufen möchte, waren im
       Sommer von der bisherigen Mehrheitseigentümerin „Seil Real Estate“ über ein
       Onlineportal zum Verkauf angeboten worden. Der Kaufpreis wurde damals mit
       2,6 Millionen Euro angegeben – für eine Grundstücksfläche von knapp 3.700
       Quadratmetern und mehr als 3.100 Quadratmetern vermietbarer Fläche. Die
       jährlichen Mieteinnahmen für die zum Verkauf stehenden Wohnungen sollen den
       Angaben zufolge bei 212.000 Euro liegen. Zuletzt lag der aufgerufene
       Kaufpreis noch bei 2,26 Millionen Euro.
       
       Angeblich hat die „Seil Real Estate“ zwischenzeitlich das Kaufangebot eines
       Dritten angenommen. Da die Immobilie aber im Sanierungsgebiet Weststadt
       liegt, hält die Verwaltung diesen Kaufvertrag – sofern er tatsächlich
       existiert – bis zur sanierungsbehördlichen Genehmigung für „schwebend
       unwirksam“. Sie will nun Gespräche mit der Verkäuferin und dem mutmaßlichen
       Käufer über eine mögliche Rückabwicklung des Vertrags führen.
       
       ## Unklare Kosten
       
       „Wir haben einen langen Weg vor uns“, räumt Broistedt ein. „Egal, ob die
       Stadt Minderheits-, Mehrheits- oder Alleineigentümerin ist – eine schnelle
       Lösung wird es nicht geben.“ Auf dieser langen Strecke werde es auch
       Niederlagen geben.
       
       Welche Kosten nach dem Kauf der Wohnungen auf die Kommune zukommen, ist
       noch völlig offen. Es gebe noch keine Kostenschätzung, so Broistedt, weder
       für eine Sanierung noch für einen Abriss. Erst einmal aber müsse man eine
       Bestandsaufnahme machen. Ziel sei in jedem Fall, auch die dann noch
       verbleibenden 15 Wohnungen zu kaufen, nur so könne die Stadt „das Heft des
       Handelns in die Hand nehmen“.
       
       15 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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