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       # taz.de -- Geldmarkt als Kunstprojekt: Riedels in Millionenhöhe
       
       > Künstler Michael Riedel macht E-Mail-Korrespondenzen mit seinem
       > Galeristen zur Geldwährung. Damit rückt er an die Grenze zum realen
       > Marktgeschehen.
       
   IMG Bild: Beim Geld- bzw. Riedelwechsel
       
       Eine erste Prüfung, ob es sich bei einem Schein um Falschgeld handelt,
       bietet die haptische Methode. „Banknotenpapier fühlt sich griffig und fest
       an“, schreibt die Tageszeitung Hessisch/Niedersächsische Allgemeine in
       einem Servicestück. „Ausnahme sind 5- und 10-Euro-Noten, die lackiert sind
       und sich deshalb glatt und fest anfühlen.“
       
       Da dürfte schon mal kein Misstrauen aufkommen, das Papier wirkt „echt“. Ist
       es auch. Michael Riedel hat von der Deutschen Bundesbank die ausgesprochen
       rare Lizenz zum Gelddrucken erhalten – respektive zum Riedel-Drucken, wie
       seine eigens ausgelobte Währung heißt. Dafür konnte er echtes
       Geldnotenpapier verwenden.
       
       Spätestens beim Sehen fallen die Scheine des Frankfurter Künstlers aber
       durch. Statt der gewohnten Gestaltung mit Notenwert ist der Riedel über und
       über mit kryptischen Reihungen von Ziffern und Buchstaben versehen. Es sind
       Auszüge aus E-Mails, die er sich mit seiner ehemaligen [1][Galerie David
       Zwirner] in New York hin und her geschrieben hat, die komplette
       Korrespondenz auf sehr vielen Riedels.
       
       Mehrfach kopiert und durch den künstlerischen Fleischwolf gedreht (das
       Prinzip der Selbstmehrfachverwertung beherrscht Riedel wie kaum ein
       anderer). Daraus wiederum hat der Künstler, der sich 2018 von seiner
       Galerie trennte, im letzten Jahr dann ein Buch gemacht.
       
       ## Der Kunstmarkt, sein Glanz und seine Banalität
       
       Jetzt lassen sich Passagen daraus anhören, eingesprochen von diversen
       Computerstimmen: „How To Make Money As An Artist In The Art World“ heißt
       Michael Riedels Podcast, den der Künstler zusammen mit der Kunsthalle
       Schirn und dem Musiker Ludwig A F produziert hat. Gerade ist die erste
       Folge erschienen. Sie reiht sich ein in viele Dutzend ähnlich
       vielversprechender Anleitungen, hat formal natürlich gar nichts damit zu
       schaffen.
       
       „Jemand niest. Ein anderer will wissen, ob sich die quadratischen Paneele
       auch drehen lassen“, rekonstruiert Riedel da zum Beispiel in gebotenen
       Einzelheiten ein Treffen mit dem Galerieteam. Und wahrscheinlich lehren die
       Sätze der sonoren Computerstimme hier auf eine Weise tatsächlich eine ganze
       Menge mehr als mancher Diskurstext über den Kunstmarkt mit seiner seltsamen
       Mischung aus Glanz und Banalität, Nähe und Distanz, die in der Gemeinschaft
       der Einzelkämpfer so stilbildend wirkt.
       
       Geschichten über Kunst und Geld sind ja allein oft schon interessant genug,
       gerade für Außenstehende. Der Kunstmarkt ist eine hervorragende
       Projektionsfolie für vermeintliche Willkür, Eitelkeit, Blödsinnigkeit des
       Warentauschs, löst er doch viel wörtlicher ein, was andere nur versprechen.
       Zugleich geht es hier aber auch besonders straight-forward zu, und auch
       davon legt der Podcast vergnüglich Zeugnis ab.
       
       ## Riedel-Geldautomaten
       
       Riedels Idee einer eigenen Währung besticht nun auch deshalb, weil sie
       permanent die Grenzüberschreitung zur Realisierung androht. Was anderen
       eher als loser Künstlerwitz durchginge, das verfolgt der Frankfurter mit
       großem Gestaltungswillen: Durchs Aufstellen und Bestücken eigener
       Riedel-Automaten zum Beispiel, an denen man sich die echte
       [2][Kunstwährung] ziehen kann.
       
       Durch die Konsequenz, sich dem lukrativen Markt zu entziehen, um die
       Trennung vom New Yorker Blue-Chip-Galeristen dann seinerseits zur eigenen
       Währung zu machen. Ein Coup? Oder war das Ganze ein Minusgeschäft?
       
       Die Riedels jedenfalls sind Fakt, ihr realer Gegenwert wird sich vielleicht
       noch erweisen. Im Dezember und Januar lädt der Künstler anlässlich des
       Erscheinens neuer Podcast-Folgen zu Rubbellos-Events. Als Gewinn winken
       Riedels in Millionenhöhe.
       
       29 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina J. Cichosch
       
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