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       # taz.de -- Kampagne gegen sexuellen Missbrauch: Kinder sprechen nicht über Gewalt
       
       > Missbrauchsbeauftragte Claus und Familienministerin Paus wollen mit einer
       > Kampagne gegen Missbrauch vorgehen. Ihr Appell: Erwachsene, seid wachsam.
       
   IMG Bild: Lisa Paus und Kerstin Claus bei der Vorstellung der Kampagne „Schieb deine Verantwortung nicht weg“
       
       Berlin taz | Es mutet wie eine bittere Koinzidenz an: Der einstige
       finnische Modeunternehmer Peter Nygard wurde am Sonntag in Toronto von
       einem Gericht wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen.
       Einige Opfer waren zur Zeit der Taten – zwischen den 1980er Jahren und 2005
       – minderjährig. Das Strafmaß soll in einer Woche verkündet werden, kurz
       nach dem [1][Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller
       Ausbeutung und sexuellem Missbrauch] am 18. November.
       
       Diese Tage nutzen die [2][Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus] und
       [3][Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)], um mit einer
       großangelegten Kampagne gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
       das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Zahl betroffener Kinder ist
       hoch: Dem Bundeskriminalamt zufolge wurden im vergangenen Jahr 17.000
       Kinder unter 14 Jahren Opfer von sexueller Gewalt, jedes siebte Kind davon
       war [4][nicht einmal sechs Jahre alt].
       
       Der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind in jeder Schulklasse in
       Deutschland ein bis zwei Kinder betroffen – trotz aller
       Aufklärungskampagnen, wissenschaftlicher Untersuchungen und
       Präventionsprogrammen, die es seit dem Bekanntwerden des [5][massenhaften
       Missbrauchs in der katholischen Kirche 2010] gibt.
       
       „Schieb deine Verantwortung nicht weg“, so der Titel der Kampagne, richtet
       sich insbesondere an Erwachsene: Lehrer:innen, Trainer:innen, Nachbarn,
       Familienangehörige sollen genauer hinhören, wenn sie bei einem Kind „ein
       komisches Gefühl oder einen konkreten Verdacht haben“, sagte Claus am
       Montag, als sie gemeinsam mit Paus in Berlin die mehrjährige Aktion
       vorstellte. Denn Kinder, so Claus weiter, sprechen nicht über die Gewalt,
       die sie erfahren. Häufig gibt es keine körperlichen Spuren, so dass der
       Missbrauch selbst von Mediziner:innen leicht übersehen werden kann.
       
       ## 75 Prozent der Fälle passieren im nahen Umfeld
       
       Die Sensibilität der Bevölkerung gegenüber sexueller Gewalt an Kindern ist
       seit dem Bekanntwerden des systematischen Missbrauchs in der Kirche und in
       anderen Einrichtungen dennoch gestiegen. So wissen mittlerweile die meisten
       Menschen, worum es sich dabei handelt. Allerdings glauben sie, die
       Übergriffe würden von Unbekannten verübt, zum Beispiel auf dem Spielplatz,
       im Wald, im Freibad. Das ist ein Trugschluss. Untersuchungen zufolge
       passieren 75 Prozent der Fälle im sogenannten Nahfeld der Kinder, vor allem
       in der Familie, aber eben auch in Kirchengruppen und [6][Sportvereinen].
       
       Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage glauben indes 85 Prozent der
       Erwachsenen, dass in ihrem Umfeld Missbrauch auf keinen Fall stattfinde,
       erst recht nicht in der eigenen Familie. „Ich fordere jede und jeden auf:
       Sehen Sie hin, hören Sie zu, fragen Sie beim Kind nach“, forderte die
       Grünen-Familienministerin: „Ein aufgeklärtes, wachsames Umfeld schützt
       Kinder und Jugendliche viel besser vor Gewalt.“
       
       Claus und Paus verfolgen mit der Kampagne neben Aufklärung und Appell ein
       weiteres Ziel: Jede Kommune sollte sich in naher Zukunft als „sichere
       Kommune darstellen“. Demnach sollten [7][kommunale Sportvereine, Kitas oder
       Musikschulen mit einem Gütesiegel] versichern, dass ihre Einrichtung ein
       Schutzkonzept gegen Missbrauch habe. Eltern könnten ihre Kinder dann
       beruhigt dort hinbringen. Paus kündigte zudem an, das Amt der
       Missbrauchsbeauftragten sowie eine Berichtspflicht bei der
       Missbrauchsaufarbeitung in Deutschland gesetzlich zu verankern. Auch soll
       das Netz von Beratungsstellen, das ausgesprochen prekär ist, ausgebaut
       werden.
       
       Um Licht ins Dunkelfeld zu bringen, schwebt Claus ein Zentrum für
       Prävalenzforschung vor, dazu sei sie bereits mit der
       Kultusministerkonferenz im Gespräch. In diesem Rahmen plane sie, mit
       Schüler:innen der 9. Klassen ins Gespräch zu kommen. „Nur so erfahren
       wir, wie hoch die Zahl Betroffener tatsächlich ist“, sagte Claus. Das sei
       zudem wichtig für die Erforschung des [8][Missbrauchs im digitalen Raum.]
       
       13 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/europaeischer-tag-zum-schutz-von-kindern-vor-sexueller-ausbeutung-und-sexuellem-missbrauch-120428
   DIR [2] /Neue-Missbrauchsbeauftragte/!5845400
   DIR [3] /Kindergrundsicherung-im-Bundestag/!5968611
   DIR [4] /Missbrauch-in-Wermelskirchen/!5858422
   DIR [5] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5887089
   DIR [6] /Sexualisierte-Gewalt-im-Sport/!5880194
   DIR [7] /Kerstin-Claus-ueber-Schutz-vor-Missbrauch/!5860723
   DIR [8] /Sexualisierte-Gewalt-an-Kindern/!5936603
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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       Verdachtsfällen.