URI: 
       # taz.de -- „The Sanctuary“ auf Koh Phangan: Einlauf unter Palmen
       
       > Kultmythen ranken sich um die Wellness-Oase „The Sanctuary“ in Thailand,
       > das auf der Insel Koh Phangan Hippies wie Hedonisten anzieht. Ein Besuch.
       
   IMG Bild: Fasten mit Ausblick: Der einzige Transportweg in die Bucht von Haad Tien führt übers Meer
       
       Koh Phangan taz | Weder bin ich übers Meer geschwommen noch vom Wasserfall
       in die Tiefe gesprungen. Ich musste keinen bewaffneten Farmern ausweichen
       oder einen einheimischen Fischer bestechen. Anders als der junge
       Backpacker in Alex Garlands verfilmtem Kultbuch „The Beach“, der einen
       abenteuerlichen Weg zu einem Aussteigerparadies in Thailand bewältigt,
       erreiche ich Koh Phangan wie Tausende von Touristen mit der Fähre. Jetzt
       sitze ich in einem Kahn, der knatternd durch die Gischt pflügt.
       
       Hinter uns liegt das Dorf Haad Rin, bekannt für Ecstasy-selige
       Vollmondpartys am Strand. Dort haben legale Cannabis-Shops die
       Thai-Massagen verdrängt. Statt Drogen und Feiern zieht mich jedoch der
       Wunsch nach Ruhe und Reinheit auf die Tropeninsel. Und die Frage, was aus
       der Enklave geworden ist, die unter Weltenbummlern mit Hang zu Yoga und
       Biokost stets als ultimativer Geheimtipp galt: „The Sanctuary“, angeblich
       das reale Vorbild für die fiktive utopische Strandkommune in „The Beach“.
       
       Das Refugium – so lautet die Übersetzung von „Sanctuary“ – liegt 15 Minuten
       Bootsfahrt entfernt, gefühlt jedoch in einer anderen Welt. 1990 errichteten
       dort zwei Briten, die im Ashram des kontroversen Gurus Osho im indischen
       Pune gelebt hatten, eine kleine Kommune als holistische Alternative zum
       Hedonismus der Raver. Anfangs gab es nur einen Schlafsaal, ein Café und
       eine Meditationshalle – gut versteckt und schwer zu erreichen. Das machte
       den Platz umso attraktiver für eingeweihte Reisende. Irgendwann, so lautet
       die Legende, lag dort auch Schriftsteller Garland in der Hängematte und
       ließ sich zu seinem Bestseller inspirieren.
       
       Ich klettere aus dem Boot und wate durchs seichte Wasser. Der einzige
       Transportweg in die Bucht von Haad Tien führt nach wie vor übers Meer;
       einen Jeep durch den Dschungel gibt es nur in Notfällen. Bambushütten
       zwischen Palmen und Felsen am Steilhang, Liegestühle am Strand. Nichts hat
       sich optisch verändert. Die Idylle existiert noch. Aber wie funktioniert
       sie jetzt?
       
       Vor zwanzig Jahren verbrachte ich hier eine Fastenwoche, während meine
       Familie im angeschlossenen Open-Air-Restaurant asiatische Köstlichkeiten
       verputzte. Es war für alle wunderbar – bis auf die Nacht, in der wir wegen
       wummernder Technomusik nicht schlafen konnten. Die Bar neben der Sanctuary
       existiert zum Glück nicht mehr.
       
       Vieles hat sich bei mir verändert. Ich habe [1][über Missbrauch in Sekten]
       recherchiert, unter anderem [2][bei Agama]. Das Yogazentrum befindet sich
       auf der anderen Inselseite in Srithanu. Nicht erst seit [3][meinem Besuch
       im ehemaligen Osho-Ashram] in Indien meide ich Orte, an denen kriminelle
       Gurus verherrlicht werden.
       
       Ein US-Autor in Srithanu, der die Impfgegner und Agama-Anhänger in der
       Ex-Pat-Szene bekämpft, hält neuerdings seine Schreibkurse in der Sanctuary
       ab. „Mein Lieblingsort, wenn ich Ruhe und Inspiration brauche – und gutes
       Essen“, schrieb er mir. Das beruhigt mich, auch wenn ich aufs Essen
       verzichten muss.
       
       Der Empfangsraum ist neu und gekühlt. Zu sanfter Musik bekomme ich einen
       Limettensaft serviert. Ansonsten unprätentiöser Hippie-Charme und alles wie
       damals. Ein freundlicher Angestellter, der aus Burma stammt, führt mich die
       Stufen hoch zu meiner Hütte mit Meeresblick. Diesmal bin ich allein
       angereist, aber wieder zum „detoxen“ da.
       
       Nan Tawunrat, herzlich und einfühlsam, ist die Leiterin des
       Wellnessbereichs und in traditioneller chinesischer Medizin ausgebildet. Im
       Gegensatz zu anderen Einrichtungen ähnlicher Art läuft niemand im weißen
       Kittel rum und spielt Kurklinik. Die Thailänderin stellt mir lachend den
       Kater, der sich im Korbsessel räkelt, als „unseren Boss“ vor und macht den
       Gesundheitscheck: auf die Waage, Blutdruck messen, einen Stundenplan
       erstellen.
       
       Fünf Tage lang werde ich nichts anderes als Wasser, Tee, Kräuterkapseln und
       probiotische Shakes zu mir nehmen. Heute gibt es noch einen Rohkostsalat,
       ab abends dann nur noch Brühe. Und jeden Morgen als heiliges Ritual eine
       Darmspülung. Tawunrat demonstriert sie mir als Trockenübung in meiner
       privaten „Colonics“-Kabine und ermuntert mich, nach der Prozedur ein
       Handyfoto von den Kotresten zu machen: „Daraus kann ich viel ablesen.“
       
       Ich erinnere mich noch gut an ein legendäres Taschenbuch in der
       Sanctuary-Bibliothek. Die Schwarzweißfotos zeigten dunkle Placken, die sich
       als toxische Schlacken von der Darmwand gelöst hatten. Diese Ausscheidungen
       galten auch für Mr. Moon, den damaligen Fastenleiter, als Trophäe fürs
       erfolgreiche Entgiften. „Schwachsinn, das gibt’s nicht“, war dagegen das
       Urteil meines Mannes, der als Chirurg Gedärme von innen kennt.
       
       Das Kacke-Buch ist nicht mehr da. Niemand erwähnt Schlacken oder Gurus. Die
       ersten Gäste, die ich treffe, sind eine ausgebrannte Geschäftsfrau aus
       Istanbul und ein digitaler Nomade aus Melbourne. Der Australier hat spontan
       verlängert und bleibt zwei Monate, typisch für viele. Seine Wochenenden
       verbringt er feiernd in der Nachbarbucht, getreu dem Motto: Erst Detox,
       dann Retox.
       
       Im lieblichen „Tea Temple“ suche ich mir Heilungsangebote aus: Meditation,
       Massage, Yoga. Es gibt eine Kakao-Zeremonie mit ekstatischem Tanz. Immerhin
       ist der Schamane, der sie anbietet, indigener Abstammung: ein Maori.
       
       Meine erste Yogastunde findet im Kerzenlicht zum Konzert der Zikaden statt.
       Das Studio hat offene Wände und heißt „Buddha Hall“. Die jetzigen Betreiber
       haben mit Osho nichts am Hut, aber bauliche Relikte aus der
       Sannyasin-Gründerzeit wie der „Zorba dormitory“ sind geblieben. Darin kann
       man für knapp 20 Euro schlafen. Die Nacht in einer runden Villa aus
       Teakholz kostet das Zehnfache.
       
       Am nächsten Tag liege ich auf einem Holzbrett über der Kloschüssel und
       lasse literweise verdünnten Kaffee aus einem über mir hängenden Eimer in
       mich rieseln, bis ich zu platzen drohe. Es dauert eine Stunde und strengt
       an. Bald werden die Einläufe zur Erleichterung, dann Routine. Sie helfen
       auch gegen Hunger. Der hält sich in Schach, wenn nicht gerade Knoblauchduft
       vom Restaurant hinüberweht. Nichts zu essen ist viel leichter, als mein
       Handy auszulassen.
       
       Manager Nolan Dalby treffe ich am dritten Tag. Er hatte eine Kneipe in
       England, als ihn Freunde vor elf Jahren nach Thailand lockten, um das
       Sanctuary-Restaurant zu übernehmen. Der Ire hörte damals auf zu trinken und
       ist daher gespalten, ob man an der Theke Cannabis-Kekse und Jellies
       verkaufen solle. „Wer sich hier einen Joint anzündet, wird weg zum Strand
       geschickt“, sagt er. „Wir sind keine Entzugsklinik, aber wir wollen Leuten
       gesündere Wege zeigen.“
       
       Eine geführte Meditation mit THC-Tropfen sei für 2024 geplant („perfekte
       Entspannung!“), psychedelische Retreats jedoch nicht. Auch Neo-Tantra
       wurde eingestellt. „All die Nackten und das Geschrei, das stieß den
       Anwohnern auf.“ Dalby hat auf der Insel zu viele westliche Männer erlebt,
       die junge Backpackerinnen bedrängten. Die meisten Gäste waren stets
       weiblich, zwischen 25 und 55. Unter den Seminarleitern gab es auch
       übergriffige, sagt er. Seitdem sei die Auslese rigider. Wer einen neuen
       Workshop anbieten will, muss erst einen Monat zur Probe kommen.
       
       Mit Corona blieben die Touristen aus. Nur ein Kern an Mitarbeitern konnte
       den Laden am Leben erhalten. Dalby kreierte ein Kochbuch und einen
       Livestream fürs Yogatraining. Noch immer kämpft sein Team gegen den
       Wildwuchs des Dschungels, der in der Pandemie Bungalows ramponierte. Ab
       Dezember, hofft der Macher, wird alles wieder auf Hochtouren laufen. „Es
       ist nicht leicht, die alte Magie zurückzubringen.“
       
       Ich fühle sie bereits. Die Tage vergehen mit Schwimmen im Meer und
       Schwitzen im Dampfbad – „das beste in Asien“, schwört der Schamane aus
       Neuseeland, der jedes Jahr zurückkehrt. Wer hier arbeitet, gehört zur
       internationalen Community. Nan Tawunrat und Nolan Dalby haben sich während
       des Lockdowns verliebt und wollen heiraten.
       
       Am letzten Morgen warte ich auf den Motorkahn, voller Energie und um zwei
       Kilo leichter. Die Yogalehrerin sitzt meditierend im Sand. Draußen auf dem
       Wasser zieht der Schamane im Kajak vorbei. Die Utopie hat überlebt, aber
       die Legende stirbt: Nicht „The Sanctuary“ stand nach letztem Stand Pate für
       „The Beach“. Sondern ein Naturreservat auf der Nachbarinsel Koh Samui.
       
       27 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Missbrauch-in-der-Tantra-Szene/!5933020
   DIR [2] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/agama-yoga-thailand-tantra-sexuelle-uebergriffe
   DIR [3] /Zu-Besuch-im-Osho-Resort-in-Indien/!5473491
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anke Richter
       
       ## TAGS
       
   DIR Yoga
   DIR Thailand
   DIR Wellness
   DIR Urlaub
   DIR Entspannung
   DIR Cannabis
   DIR Wellness
   DIR Buch
   DIR Yoga
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Reiseland Indien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Drogen in Thailand: Thailand will Cannabis-Regeln wieder verschärfen
       
       Seit drei Jahren gilt Thailand als Cannabis-Mekka, überall durfte frei
       gekifft werden. Das will die Regierung wieder ändern. Was sagen die neuen
       Regeln?
       
   DIR Bei der Tantra-Massage: Warten auf den großen Knall
       
       Unser Autor hat eine Tantra-Massage gebucht, um mehr Leichtigkeit in sein
       Sexleben zu bringen. Ein intimer Bericht aus der Bauch- und Rückenlage.
       
   DIR Ein Haushälter am Strand: Ferien sind die eigentliche Arbeit
       
       Im Urlaub gibt es weder Kinderbetreuung noch Spülmaschinen. Um Entspannung
       zu gewährleisten, helfen Bücher und Wein.
       
   DIR Lachtrainerin Carmen Goglin: Die an der Lachkurbel dreht
       
       Carmen Goglins Videos haben Kultstatus. Sogar Personalabteilungen bringt
       sie zum Wiehern. Zuvor aber musste sie das Weinen lernen.
       
   DIR Missbrauch in der Tantra-Szene: Kommunen ohne Grenzen
       
       Unsere Autorin recherchierte zu Sexsekten und bewegte sich auch privat in
       der Tantra-Szene. Heute weiß sie um die Schattenseiten vieler Gruppen.
       
   DIR Zu Besuch im Osho-Resort in Indien: Cashram statt Ashram
       
       Der Pop-Guru Osho ist lange tot, aber sein Reich lebt weiter. Spiritualität
       oder alles Kommerz? Eine Woche im indischen Esotempel.
       
   DIR Poona: Urlaub im Buddha-Feld
       
       Wo vor 20 Jahren die Bhagwan-Kommune mit Sex die Öffentlichkeit
       aufschreckte, wird heute gepflegt geurlaubt, meditiert und entspannt