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       # taz.de -- Linken-Kandidatin über vegane Ernährung: Gegen die „Currywurst-Linke“
       
       > Die Linke brauche eine vegane Kandidatin fürs EU-Parlament, sagt Didem
       > Aydurmuş – und empfiehlt sich selbst. Fleischesser seien nicht
       > glaubwürdig.
       
   IMG Bild: „Vegane Ernährung kann vollkommen ausreichend sein“, im Bild: Sojawürstchen
       
       taz: Frau Aydurmuş, Sie wollen beim [1][Linken]-Parteitag am Wochenende
       explizit als Veganerin für einen Platz auf der Europawahl-Liste
       kandidieren. Warum braucht die Linke eine Kandidatin, die keine tierischen
       Lebensmittel isst? 
       
       Didem Aydurmuş: Das ist wie bei vielen anderen Weltanschauungen und
       Philosophien: Menschen wollen sich verstanden fühlen. Teil des
       Sich-vertreten-Fühlens ist halt sich verstanden fühlen. Ich selbst weiß,
       dass viele Menschen meine vegane Perspektive nicht nachvollziehen können.
       Mittlerweile gibt es in Deutschland 2 Millionen VeganerInnen. Gerade bei
       dieser großen Menge Menschen ist wichtig, dass die eine parlamentarische
       Vertretung bekommen. Und ich bin die einzige vegane Person, die für einen
       Listenplatz kandidiert. Viele VeganerInnen halten uns für eine
       Currywurst-Linke.
       
       Currywurst-Linke – wie kann man denn zu diesem Eindruck kommen? 
       
       Vegane Menschen beobachten genau, was unsere PolitikerInnen machen. Wenn
       man sich die Facebook- oder Instagramposts von einigen Linken anschaut,
       entdeckt man ziemlich viele Currywürste, Braten oder Döner. Das ist erstmal
       natürlich kein Problem, aber dadurch fühlen sich vegane Menschen nicht
       vertreten.
       
       Ist nicht das ein bisschen unterkomplex? Es geht doch hier um Politik und
       nicht darum, was Politiker in ihrem Privatleben treiben. 
       
       Veganismus wird oft als etwas Privates dargestellt. Er ist aber eine
       politische Philosophie, die sich aus verschiedenen Gerechtigkeitsbewegungen
       heraus entwickelt hat. Da ist ein Anspruch der Gerechtigkeit, auch die
       Stimmlosen zu vertreten. Damit sind nicht nur die Menschen im Globalen
       Süden gemeint, die unter unserer industriellen Landwirtschaft unheimlich
       leiden. Sondern auch Lebewesen von anderen Spezien.
       
       Kann man nicht eine Politik im Sinne von Tierrechten machen und trotzdem
       selber Fleisch essen? 
       
       Die meisten veganen Menschen sehen das anders. Man muss verstehen, dass
       Veganismus eine Philosophie der Gewaltlosigkeit ist. Wenn diese Menschen
       gleichzeitig Gewalt auf den Instagrambildern sehen, dann ist das nicht
       konsistent mit dem Anspruch der Gewaltlosigkeit.
       
       Sie meinen, das ist einfach unglaubwürdig? 
       
       Ja, das wird als unglaubwürdig wahrgenommen. VeganerInnen fragen sich halt,
       wie man einerseits diese Gewalt auf dem Teller haben kann, und gleichzeitig
       glaubwürdig nach außen hin vertreten kann, dass da weniger Gewalt sein
       muss. Und vegane Menschen möchten ja nicht nur weniger Gewalt, sondern sie
       wollen PolitikerInnen, die sich für mehr Gewaltlosigkeit einsetzen. Bei
       Tierrechten geht es ja nicht um 10 Quadratzentimeter mehr Platz für
       Schweine beispielsweise, sondern wir als Linke haben zum Beispiel die
       Europäische Initiative gegen Käfighaltung unterstützt. Da geht es darum,
       die Käfighaltung komplett abzuschaffen. Das ist unsere Parteiposition, das
       liegt jetzt dem Europäischen Parlament vor. Und für vegane Menschen ist
       wichtig: Wie stark hängen sich PolitikerInnen da rein? Das wiederum ist
       damit verknüpft, was für eine Einstellung diese PolitikerInnen haben.
       
       Ist das Programm der Linken im Bereich Tierschutz und Landwirtschaft nicht
       schon ziemlich progressiv? 
       
       Ja, das ist tatsächlich sehr progressiv. Aber man braucht auch die
       richtigen KämpferInnen, die sich dafür auch einsetzen. Die Grünen
       enttäuschen gerade unheimlich, haben aber auch im Programm relativ
       progressive Dinge. Ernährungsminister [2][Cem Özdemirs] Politik ist nicht
       wesentlich von seiner CDU-Amtsvorgängerin Julia Klöckner zu unterscheiden.
       Das liegt nicht am Wahlprogramm, sondern auch an der Person Cem Özdemir,
       der dieses Anliegen eben nicht als Priorität versteht.
       
       Aber gerade Özdemir ist doch Vegetarier! 
       
       Ja, der ist Vegetarier. Aber da ist ja gerade der Punkt: Viele vegane
       Menschen sehen, dass auch der Milchkonsum ein unheimlich gewaltvoller Akt
       und auch für die Umwelt beispielsweise durch die Treibhausgase schlimm ist.
       Da geht es nicht darum, nur vegane Positionen, sondern den
       gesellschaftlichen Konsens durchzusetzen, der keine Massentierhaltung will.
       Und trotzdem wird dafür nicht wirklich gekämpft auf politischer Ebene. Da
       brauchen wir Menschen, die wirklich Theorie und Praxis vereinen. Wir legen
       ja auch in anderen Bereichen wie Religion, Zugehörigkeiten und so weiter
       darauf Wert, dass die vertreten sind. Und beim Veganismus wird gesagt: Ach,
       ist das nicht eine Kleinigkeit? Dabei ist das eine gesamte politische
       Philosophie der Gewaltlosigkeit.
       
       Was muss sich ändern an der Politik? 
       
       Tatsächlich ist da unser Wahlprogramm total schön: Es muss in dieser
       Legislaturperiode [3][einen Ausstiegsplan aus Tierversuchen geben] mit
       konkreten Daten. Es kommt jetzt ein Gesetzentwurf zur Abschaffung der
       Käfighaltung. Und es muss dringend eine Agrarwende insgesamt geben. Denn
       die industrielle Tierhaltung ist zum Beispiel die Hauptursache für den
       Artenschwund in Deutschland.
       
       Wie soll man diese Agrarwende erreichen? 
       
       Vor allem: Die EU-Agrarsubventionen müssen künftig so verteilt werden, dass
       sie dem Gemeinwohl dienen.
       
       Warum sind Sie Veganerin geworden? 
       
       Vegetarierin bin ich rational geworden durch ethische Überlegungen. Aber
       vegan wurde ich, nachdem ich ein Video gesehen hatte, wie ein Kuhbaby
       seiner Mutter weggenommen wurde. Die Mutterkuh lief ihrem Baby muhend,
       quasi weinend hinterher, das auf einem Anhänger wegtransportiert wurde. Da
       wollte ich einfach nicht mehr an diesem System teilnehmen, das Babys einer
       anderen Spezies ihren Müttern wegnimmt. Man weiß auch, dass die Kühe
       teilweise wochen-, monatelang weinen und trauern um ihre Kinder. Und mir
       war gar nicht bewusst gewesen, wie groß der ökologische Fußabdruck der
       Milchproduktion ist. Ich habe ja in Klimapolitik promoviert. Der
       Treibhausgasausstoß ist enorm.
       
       Kann vegane Ernährung der Standard sein? Gibt es ein Risiko von
       Mangelernährung, wenn pflanzliche Lebensmittel so wenig Eisen und Vitamin
       B12 liefern? 
       
       Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sagt, eine vegane Ernährung
       kann vollkommen ausreichend sein. Wir haben in der gesamten Bevölkerung ein
       Problem mit Eisenmangel. B12 kommt in der Massentierhaltung auch nicht in
       den Tieren vor, sondern wird den Tieren zugefüttert.
       
       Aber die DGE sagt auch, man müsse eine vegane Ernährung sorgfältig planen. 
       
       Man muss jede Ernährung sorgfältig planen, B12-Tabletten zum Beispiel wären
       für die meisten Menschen sinnvoll. Falsche Ernährung, die zum Beispiel zu
       Übergewicht führt, ist Todesursache Nummer eins.
       
       17 Nov 2023
       
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