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       # taz.de -- Psychoanalytiker über Dummheit: „Immer eine Frage der Perspektive“
       
       > Dummheit ist eigentlich kein Begriff der psychoanalytischen Arbeit.
       > Torsten Maul macht sich trotzdem Gedanken darüber und lädt ein zu einer
       > Diskussion.
       
   IMG Bild: Die Dummheit der anderen ist oft ein Thema: Demonstrantin bei einer Anti-Querdenken-Demo 2021
       
       taz: Herr Maul, macht Dummheit glücklich? 
       
       Torsten Maul: Vielleicht wirkt Dumm-Sein oft leichter, weil es von
       bestimmten Anstrengungen befreit. Mitunter ist der Verstand einfach nicht
       stark genug, um kurzfristige Triebbefriedigung zugunsten nachhaltiger
       Lösungen aufzuschieben.
       
       Was genau ist Dummheit? 
       
       Im sozialen Miteinander wird der Vorwurf meist gebraucht, um andere zu
       beschämen, zu diskreditieren oder um sich lustig zu machen. Etwas als
       „dumm“ zu bezeichnen, ist aber auch immer eine Frage der Perspektive. Was
       aus einer Sicht sinnvoll scheint, gilt aus anderer Blickrichtung vielleicht
       als dumm.
       
       Wann zum Beispiel? 
       
       Wenn jemand sein letztes Geld für einen Lottoschein verschwendet oder wenn
       jemand aus Wut auf die gesellschaftlichen Verhältnisse eine Partei wählt,
       die erst recht alles kaputtmachen wird. Aber auch ungesundes Essen,
       [1][Verschwörungstheorien], Drogen, umweltzerstörerisches Verhalten: alles
       nicht so schlau. Aber [2][Verzicht] ist schwer. Und dass der Mensch es
       damit so schwer hat, ist auch irgendwie dumm. Ist aber so.
       
       Wie blickt Psychoanalyse auf dummes Verhalten? 
       
       Wir Menschen sind in Bezug auf uns selbst ziemlich unwissend. Wo kommen
       unsere Ideen, unsere Gefühle, unser Empfinden eigentlich her? Das ist aber
       nicht [3][Dummheit], das ist der Normalfall. Deswegen gibt es den Begriff
       „dumm“ in der analytischen Arbeit eigentlich nicht. Weil wir uns für den
       Sinn auch von scheinbar dummem Verhalten interessieren. Als Analytiker
       frage ich nicht: Wie dumm ist das denn?
       
       Sondern? 
       
       Welchen Sinn macht es für die Patient*innen, sich so zu verhalten? Oder:
       Wie kriegen sie es hin, so zu sein? Oder auch: Welchen unbewussten Gedanken
       und Fantasien folgt das, was sie da tun?
       
       Weil auch Dummheit einen Sinn hat? 
       
       Auch dumm scheinende Dinge haben oft einen Sinn, ein Motiv – und einen
       Zusammenhang, in dem sie stattfinden. Wenn Kinder an schulischen Aufgaben
       scheitern und sich daraufhin zurückziehen oder sozial auffällig werden,
       kann das bei oberflächlicher Betrachtung dumm wirken. Aber oft ist das der
       Ausdruck tiefer seelischer Irritation und Verzweiflung. Und das Verhalten
       dient häufig der Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts. Die
       scheinbare Dummheit ist das Symptom, und weniger die Ursache.
       
       Was erhoffen Sie sich von den Gesprächen im Psychoanalytischen Salon? 
       
       Wir haben das Format ins Leben gerufen, weil wir einen Raum für gemeinsames
       Nachdenken und Diskussionen schaffen wollten. Der Salon ist ausdrücklich
       nicht der Versuch, Psychoanalyse zu „erklären“. Es geht darum, verschiedene
       Perspektiven einzubringen, aus anderen Fachrichtungen und natürlich aus dem
       Publikum.
       
       27 Nov 2023
       
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       Erwähnung des Worts eine Beleidigung für alle Einfältigen?