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       # taz.de -- Regierungsbildung in den Niederlanden: Wie umgehen mit den Rechten?
       
       > Nach dem Wahlsieg der PVV beginnen am Montag die Verhandlungen. Eine
       > Rechtskoalition mit klarer Mehrheit kommt vorerst nicht zustande.
       
   IMG Bild: Hat die Wahl letzte Woche gewonnen, doch die Regierungsbildung wird schwierig
       
       Amsterdam taz | In der Woche nach dem Erdrutschsieg der
       rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) steht die
       niederländische Politik vor einer Herausforderung: Mit Beginn der
       Koalitionsverhandlungen an diesem Montag stellt sich den anderen Parteien
       die Frage, wie sie künftig mit der PVV umgehen, die sich mehr denn je als
       rechtmäßige Vertreterin eines Großteils der Bevölkerung gibt. Bei der
       Parlamentswahl am Mittwoch hatte sie rund 2,3 Millionen Stimmen bekommen.
       Künftig stellt sie 37 der 150 Abgeordneten in Den Haag – die mit Abstand
       größte Fraktion.
       
       Die Kräfteverhältnisse sorgen aber dafür, dass der Weg zur
       offensichtlichsten Regierungsoption zumindest vorerst blockiert ist: die
       Rechtskoalition, die sich unmittelbar nach der Wahl abzeichnete, wird es in
       dieser Form nicht geben. Dilan Yeşilgöz, Spitzenkandidatin der
       liberal-rechten Volkspartij voor Democratie (VVD) von Regierungschef Mark
       Rutte, hat beschlossen, ihre Partei werde ein solches Bündnis zwar
       unterstützen, ihm aber nicht beitreten.
       
       Der Grund: Die Siegerin der letzten vier Parlamentswahlen stürzte auf 24
       Sitze ab. Damit hätten die Wähler*innen der VVD „eine andere Rolle“
       zugewiesen. PVV-Chef Geert Wilders fand dies „sehr enttäuschend“. Caroline
       van der Plas, bislang einzige Abgeordnete der konservativen
       BoerBurgerBeweging (BBB), gab sich „bestürzt“.
       
       Am schwierigsten wird die Situation nun aber für Pieter Omtzigt, den
       Vormann des sozial-konservativen Nieuw Sociaal Contract. Der NSC erreichte
       bei seiner ersten Teilnahme 20 Sitze. Ontzigt hat im Vorfeld angekündigt,
       nicht mit der PVV regieren zu wollen, vermeidet aber noch immer eine
       deutliche Aussage. Yeşilgöz’ Ankündigung erhöht den Druck auf Omtzigt, doch
       mit der PVV zusammenzuarbeiten, erheblich.
       
       VVD-Promis fordern Verhandlungen mit den Rechten 
       
       Die Koalitionsgespräche werden jetzt vor dem Hintergrund eines Konflikts
       geführt, der seit dem Durchbruch der PVV 2010 ungelöst ist: die Frage nach
       einer Zusammenarbeit mit den Rechtspopulist*innen. Nach dem gescheiterten
       Projekt einer konservativen Minderheitsregierung, die sich von 2010 bis
       2012 dank der Unterstützung der PVV im Sattel gehalten hatte, schien das
       Thema erledigt. Ausgerechnet VVD-Spitzenkandidatin Yeşilgöz hat es aber
       wieder zur Diskussion gestellt, indem sie eine Unterstützung für eine von
       der PVV geführte Minderheitsregierung nicht ablehnte.
       
       Wie heikel die Frage ist, zeigte sich am Wochenende: Mit den ehemaligen
       Ministern Halbe Zijlstra und Hans Hoogervoorst meldeten sich zwei
       VVD-Prominente zu Wort und warfen Yeşilgöz ihre „defensive Haltung“ vor.
       Sie forderten Verhandlungen mit den Rechtspopulist*innen – „nicht weil
       wir die PVV so eine gute Partei finden, sondern weil das Land das braucht“.
       Veröffentlicht wurde die Stellungnahme in der Boulevardzeitung De
       Telegraaf, einem der Leitmedien des populistischen Diskurses im Land.
       
       Wahlsieger Wilders klagte derweil über die „politische Trickkiste“, die
       Yeşilgöz geöffnet habe. Die PVV dürfte nach diesem Wahlergebnis jeder
       Regierung, an der sie nicht beteiligt ist, die Legitimation absprechen.
       Wilders ließ am Wochenende verlauten, die Partei werde „heute, morgen oder
       übermorgen mitregieren“ und er selbst werde „Premier dieses schönen
       Landes“. Auf der Plattform X schrieb er, jahrelang habe man gedacht, seine
       Partei marginalisieren zu können. Dabei habe man vergessen, dass er nie
       aufgebe und die PVV „unter den Menschen steht, ihre Probleme ernst nimmt
       und die Sprache normaler Leute spricht“.
       
       Im Schatten solcher Diskussionen steht aktuell die niederländische Linke.
       In den Tagen nach der Wahl fanden in mehreren Städten Demonstrationen gegen
       die PVV statt. Bei Koalitionsgesprächen spielen progressive Parteien keine
       Rolle. Zum einen, weil eine Zusammenarbeit beiderseits nicht zur Debatte
       stünde. Zum anderen, weil das rot-grüne Bündnis unter dem ehemaligen
       EU-Kommissar Frans Timmermans zwar zweitstärkste Partei wurde, die
       Gesamtzahl linker und progressiver Sitze jedoch schrumpfte, wie schon seit
       Jahren.
       
       27 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Müller
       
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