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       # taz.de -- Abrisspläne in der City West: Davon wird die Straße nicht schmaler
       
       > Eine Gruppe von ArchitektInnen will den Abriss des Gebäudes An der Urania
       > 4–10 durch die BIM verhindern. Die verweist auf hohe Schadstoffbelastung.
       
   IMG Bild: Soll weichen: Gebäude An der Urania 4-10 auf einer Aufnahme von 1998 (rechts hinter der Kreuzung)
       
       Berlin taz | Für die einen ist das Verwaltungsgebäude mit der Adresse An
       der Urania 4–10 nichts weiter als ein zehngeschossiger Stahlbetonkasten,
       Ecke Kurfürstenstraße, äußerster Schöneberger Norden. Nicht so für die
       Künstlerin und Architektin Florine Schüschke. Der von Werner Düttmann und
       anderen entworfene, 1967 fertiggestellte Verwaltungsbau steht auf der
       Abrissliste, im kommenden Jahr sollen die Bagger anrollen. Schüschke setzt
       sich in einer Architekturinitiative für die Rettung des Gebäudes ein. „Das
       Haus An der Urania hat ein zweites Leben verdient“, sagt sie.
       
       Sogar von einer „Ikone der Berliner Architektur“ ist in einer von
       zahlreichen Architekten unterzeichneten Petition die Rede. Auch das
       Baukollegium, ein Beratungsgremium der Senatsbauverwaltung, hat sich im
       November in einem Schreiben für eine Studie ausgesprochen, die prüfen soll,
       ob das Bestandsgebäude erhalten bleiben kann. „Dass dies bisher nicht
       veranlasst wurde, ist unverständlich und auch nicht hinnehmbar – gerade vor
       dem Hintergrund, dass dem Land Berlin als Eigentümer der Liegenschaft hier
       eine besondere Vorbildrolle zukommt“, schreibt das sechsköpfige Gremium.
       
       Doch zu nützen scheint das nicht: Die Federführung liege bei der Berliner
       Immobilienmangement GmbH (BIM), heißt es seitens der Senatsbauverwaltung.
       Und bei der BIM, dem landeseigenen Immobiliendienstleister, hat man sich
       längst festgelegt. 2017 zog der Landesrechnungshof aus dem Gebäude aus,
       weil die Mitarbeiter nicht länger in einem schadstoffbelasteten Gebäude
       arbeiten wollten. Seitdem steht das Gebäude leer.
       
       ## Problemstoff PCB
       
       Es geht um PCB, Polychlorierte Biphenyle, ein Stoff, der im Kontakt mit der
       Luft krebserregend ist. Der Schadstoff steckt in den Fugenmassen. Es gibt
       aber auch sogenannte Sekundärquellen – dort, wo die Fugen auf den Beton
       selbst treffen. „Die BIM hält an den beauftragten Abrissplänen fest, da wir
       kein PCB-freies Gebäude nach der Sanierung garantieren können“, heißt es
       von dem Unternehmen auf Nachfrage.
       
       „Es ist Usus, dass mit PCB belastete Gebäude nach einer Sanierung weiter
       genutzt werden“, sagt hingegen Martin Hoffmann, öffentlich bestellter
       Sachverständiger für Schadstoffe. Er weist darauf hin, dass das Gebäude
       auch für den Abriss zunächst von Schadstoffen befreit werden muss, weil
       diese nicht einfach mit dem Bauabfall entsorgt werden können.
       
       Genau diese Schadstoffsanierung findet derzeit statt. Sekundärquellen
       ließen sich im Anschluss versiegeln. „Das Restrisiko weiterer Kontamination
       ist so klein, dass man die Frage, ob abgerissen wird, nicht daran
       entscheiden muss“, ist sich Hoffmann sicher.
       
       Von der BIM heißt es mittlerweile zwar auch, die Stähle im Beton würden
       starke Korrosionen aufweisen. Der wichtigste Grund für einen Abriss mag
       aber der Raum sein, der anschließend für einen Neubau entsteht. Der könnte
       höher und größer ausfallen und Platz für Wohnraum bieten, während der
       jetzige Grundriss dafür nicht geeignet sei, so die Argumentation der BIM.
       
       Florine Schüschke sagt, dass es auch dafür keinen Neubau bräuchte: „Der
       Stahlbetonskelettbau ermöglicht eine freie Grundrissgestaltung.“ Mit einer
       eigenen kleinen Machbarkeitsstudie hat ihre Architekturinitiative nun
       aufgezeigt, wie sich das Gebäude umbauen ließe und wie durch Aufstockung
       die 6.000 zusätzlichen Quadratmeter erreicht werden können, die der von der
       BIM vorgesehene Neubau hätte.
       
       ## „Stadtreparatur“ vorgesehen
       
       Doch der Bestandserhalt war hier noch nie eine Option. Bereits im
       Senatsbeschluss zum Planwerk Innenstadt hieß es 1999, dass in der Straße An
       der Urania eine „Stadtreparatur“ durch Abriss und Neubau erfolgen soll.
       2018 erfolgte dann ein Werkstattverfahren für die ganze Neugestaltung des
       Areals.
       
       Einerseits wurde betont, dass man die Blockränder schließen will – was bei
       dem sternförmigen Bestandsgebäude schwerlich geht. Andererseits wurde in 60
       Meter hohen Neubau-Türmen im Kreuzungsbereich eine Chance zur „Umgestaltung
       der überdimensionierten Straßenräume“ gesehen. Gegenüber des
       Verwaltungsbaus wurde bereits das ehemalige Constanze-Pressehaus
       abgerissen. Hier wird nun an einem 17-geschossigen Büroturm gebaut.
       
       Ja, an der Kreuzung gebe es einen Umbaubedarf, sagt Schüschke. „Der
       städtebauliche Missstand ist allerdings die überdimensionierte Straße und
       das enorme Verkehrsaufkommen.“ Die Straße An der Urania ist in den 50er
       Jahren so angelegt worden, dass in ihrer Mitte später eine zusätzliche
       Hochstraße errichtet werden könnte. Die wurde nie gebaut, aber die Schneise
       blieb.
       
       Auch Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, sieht
       die Möglichkeiten, die ein Umbau des Straßenraums bieten würde. Sie hat die
       Petition zum Erhalt des Gebäudes unterschrieben. „Die BIM wäre zu einer
       Sanierung und Bestandsertüchtigung imstande, das sind Profis“, sagt
       Keilhacker.
       
       Ihrer Meinung nach sollte es eine öffentliche Debatte darüber geben, was
       insgesamt an der Kreuzung geschieht. Viele würden den Bereich nur vom
       Durchfahren kennen, so Keilhacker: „Man müsste ihn ins öffentliche
       Bewusstsein rücken und die Stadtgesellschaft an der Entwicklung
       beteiligen.“
       
       Es geht An der Urania aber letztendlich nicht nur darum, wer an der
       Entscheidung über ein Gebäude und Grundstück in öffentlicher Hand beteiligt
       wird. Die Frage ist auch, ob man sich eine Entscheidung, wie sie die BIM
       trifft, überhaupt leisten kann.
       
       „Das Land Berlin hat klimapolitische Ziele aufgestellt und im
       Koalitionsvertrag angekündigt, verstärkt Gebäude erhalten und umwidmen zu
       wollen“, sagt Florine Schüschke. Die BIM als Tochter des Landes wäre
       definitiv die Erste, die eine Vorbildfunktion hätte. „Wir können schwer von
       privaten Bauherren etwas verlangen, was das Land selbst nicht macht.“
       
       28 Nov 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yannic Walther
       
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