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       # taz.de -- Kulturförderung gecancelt: Das Oyoun wehrt sich
       
       > Weil es nach Antisemitismus-Vorwürfen keine Förderung mehr vom Senat
       > bekommen soll, bereitet sich das Kulturzentrum auf einen Rechtsstreit
       > vor.
       
   IMG Bild: Das Oyoun gilt vielen als wichtige Kulturinstitution, andere sehen dort Antisemitismus walten
       
       Berlin taz | Was ist antisemitisch? Reicht es schon, kritisch gegenüber
       Israels Palästina-Politik zu sein um unter dieses Verdikt zu fallen? Diesen
       Eindruck kann bekommen, wer den derzeitigen Streit um das Oyoun verfolgt.
       Dem Neuköllner Kulturzentrum soll offenkundig wegen einer Veranstaltung die
       staatliche Förderung gestrichen werden. Das sorgt für gehörige Aufregung:
       Einen offenen Brief, der sich für den Erhalt dieses „bedeutenden Orts der
       intersektionalen Kunst- und Kulturszene“ einsetzt, haben inzwischen mehr
       als 12.000 Menschen – Künstler, Intellektuelle, Kulturschaffende –
       unterschrieben.
       
       Nun will sich der auf dekoloniale, queere und migrantische Blickwinkel
       spezialisierte Nachfolger der Werkstatt der Kulturen auch juristisch zur
       Wehr setzen und hat sich eine Anwältin genommen. Myrsini Laaser hat der
       Kulturverwaltung am Montag eine Frist gesetzt, um die Förderung für das
       kommende Jahr zu bestätigen. Andernfalls prüfe man eine Klage, so Laaser
       zur taz.
       
       Sie geht davon aus, dass die Förderzusage der Verwaltung vom November 2021
       für das Oyoun beziehungsweise dessen Träger „Kultur NeuDenken“ verbindlich
       ist. In der Zusage, die der taz vorliegt, ist von einem Förderzeitraum von
       2022 bis 2025 die Rede. Zwar heißt es in dem Schreiben, dass diese Zusage
       „unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs“ steht – als Gründe
       werden etwa fehlende Haushaltsmittel genannt. Der Widerruf müsse aber
       begründet werden, sagt Laaser.
       
       Eine schriftliche Kündigung oder Absage liege dem Oyoun bislang nicht vor,
       sagt Geschäftsführerin Louna Sbou. Sie habe lediglich aus der Aufzeichung
       der Kulturausschusssitzung vom 20. November erfahren, dass Kultursenator
       Joe Chialo (CDU) das Oyoun nicht mehr fördern will. Darauf habe sie einen
       Tag später eine Mail an die Kulturverwaltung geschrieben, und einen
       „vorzeitigen Maßnahmebeginn beantragt“, um die Gehälter der 32
       Mitarbeitenden für Januar sicherzustellen. Dies sei von der Verwaltung mit
       der Begründung abgelehnt worden, das Haus werde zum Jahresbeginn neu
       ausgeschrieben.
       
       ## „Lediglich unverbindlich“
       
       Die Pressestelle der Kulturverwaltung erklärte am Montag auf taz-Anfrage:
       „Der Kulturstandort in der Lucy-Lameck-Straße soll eine kulturpolitische
       Neuausrichtung erhalten.“ Dazu bedürfe es keiner Kündigung, denn die „für
       das Jahr 2023 bewilligte Förderung läuft zum Ende des Jahres regulär aus“.
       Eine darüber hinaus gehende Förderung „wurde Oyoun lediglich unverbindlich
       in Aussicht gestellt“.
       
       Senator Chialo hatte am vorigen Montag im Kulturausschuss erklärt, man
       trete jeder Form von Antisemitismus „auch in versteckter Form“ entgegen,
       man müsse „unsere Prozesse aber auch rechtssicher gestalten“. Das betreffe
       „alle Kulturinstitutionen im Land, wo wir unsere Antisemitismus-Klauseln
       weiterentwickeln werden und diese ihre Relevanz in den Förderkriterien
       finden werden“. Sein nächster Satz lautete: „Ungeachtet dessen: Über ein
       neues Profil für die landeseigene Liegenschaft, in der aktuell das Oyoun
       beziehungsweise der Verein Kultur NeuDenken residiert, wird gerade in
       meinem Hause beraten.“
       
       Doch auch wenn Chialo einen direkten Zusammenhang hier ausschließt:
       Hintergrund dieser „Überlegungen“ für ein neues Profil ist offensichtlich
       die Weigerung des Oyoun, eine Veranstaltung des Vereins „Jüdische Stimme
       für einen gerechten Frieden in Nahost“ am 4. November abzusagen. Die
       Kulturverwaltung hatte im Vorhinein das Oyoun bedrängt, die Veranstaltung
       abzusagen[1][, da die Gruppe „aktiv die BDS-Bewegung unterstützt“ und in
       dem Zusammenhang erklärt, die Fortsetzung der Förderung werde nun „mit
       Nachdruck“ geprüft.] In der Vergangenheit habe es wiederholt Druck von der
       Verwaltung gegeben, Veranstaltungen zu palästinensischen Perspektiven auf
       den Nahostkonflikt abzusagen, hatte Sbou kürzlich der taz gesagt und dies
       als Eingriff in die Kunstfreiheit kritisiert.
       
       Der Verein „Jüdische Stimme“ ist ein scharfer Kritiker der Palästina- und
       Siedlungspolitik Israels, einzelne Mitglieder sind auch Befürworter von
       BDS. Die internationale Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ gilt
       vielen als antisemitisch. Zum Hamas-Angriff vom 7. Oktober hatte der Verein
       ein Statement auf seiner Webseite veröffentlicht, das zwar davon spricht,
       man sei „voller Trauer für die Toten“. Zugleich aber wurde der
       Terror-Angriff als „Gefängnisausbruch“ bezeichnet, „nachdem die Insassen
       zur lebenslangen Haft verurteilt wurden, nur weil sie
       Palästinener:innen sind“.
       
       ## Verein spricht von „Hexenjagd“
       
       Am 4. November hatte die „Jüdische Stimme“ eine Feier zum 20-jährigen
       Bestehen im Oyoun geplant. Aufgrund des Hamas-Angriffs sei die ganze
       Veranstaltung jedoch „radikal geändert“ worden, „es war eine Trauerfeier“,
       sagt Lili Sommerfeld vom Verein der taz.
       
       Die Musikerin hat zusammen mit ihrer Mutter, der Sängerin Nirit Sommerfeld,
       die Veranstaltung geplant: „Und ich stehe zu jedem dort gesprochenen Wort“.
       Dass Chialo ihrem Verein – zumindest indirekt – Antisemitismus vorwirft,
       findet Sommerfeld „infam“. Es sei „unfassbar“, dass Deutsche ohne jüdischen
       Hintergrund „im Land der Täter“ einer jüdischen Organisation Antisemitismus
       vorwerfen – und dass wegen dieser „Hexenjagd“ nun auch noch 32 Menschen
       ihren Job verlieren sollten.
       
       Tatsächlich sind infolge der überraschenden Ankündigung das Oyoun neu
       auszuschreiben, nicht nur 32 Arbeitsplätze bedroht. Vier der Mitarbeitenden
       und eine* Fellow seien darüber hinaus auch aufenthaltsrechtlich in Gefahr,
       weil ihre Visa beziehungsweise Aufenthaltserlaubnisse an den Job im
       Kulturzentrum geknüpft sind, erklärte Geschäftsführerin Sbou der taz. „Das
       ist jetzt unsere größte Sorge.“
       
       Unterdessen verläuft eine Crowdfunding-Kampagne von Oyoun sehr erfolgreich:
       Unter der [2][Überschrift „Save Oyoun. Protect Artistic Freedom“] wurden
       bis Montagnachmittag schon über 52.000 Euro für den nun wohl anstehenden
       Rechtsstreit eingesammelt.
       
       ## „Gefährlicher Präzedenzfall“
       
       Stellvertretend für die vielen, die den offenen Brief zur Rettung des Oyoun
       unterschrieben haben, sagte die Kuratorin Antonia Alampi – derzeit Leiterin
       des Spore House in der Hermannstraße –, es sei wichtiger denn je, dass
       „Orte des Dialogs“ wie das Oyoun erhalten blieben. Dass einer
       Kultureinrichtung „wegen Zensur“ die Förderung entzogen werde, sei ein
       gefährlicher Präzedenzfall, der alle Kultureinrichtungen des Landes Berlin
       bedrohe. Zwar sei es verständlich, dass man in Deutschland besonders große
       Angst vor Antisemitismus habe. „Aber man muss auch für Menschenrechte
       einstehen“, so Alampi zur taz.
       
       27 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kulturpolitik-im-Nahost-Konflikt/!5968435
   DIR [2] https://www.gofundme.com/f/save-oyoun-protect-artistic-freedom?utm_campaign=p_lico+share-sheet-first-launch&utm_medium=copy_link&utm_source=customer
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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