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       # taz.de -- Pro und Contra Olympia: Braucht Berlin olympische Spiele?
       
       > 30 Jahre nach der letzten gescheiterten Bewerbung will Berlin erneut
       > seinen Hut für Olympia in den Ring werfen. Doch ist das eine gute Idee?
       
   IMG Bild: 2036 oder 2040 könnte Olympia in Berlin stattfinden
       
       ## Ja
       
       Olympische Spiele in der eigenen Stadt, kurz: Olympia, auch wenn das bloß
       der namensgebende antike Austragungsort ist? Natürlich. Was sonst?
       
       Wer selbst in Wettkämpfen rennt, rudert, turnt, kann endlich diejenigen
       sehen, die das, allem eigenen Training zum Trotz, um so vieles besser,
       schneller, eleganter können. Denn längst nicht nur aktive Leichtathleten
       haben [1][2009 bei der Weltmeisterschaft] das Olympiastadion gefüllt und
       sich dort von Usain Bolts Sprintrekorden begeistern lassen. Die
       Vorstellung, 2036 oder 2040 auch die Bolts aller anderen olympischen
       Sportarten in der eigenen Stadt zu haben, ist einfach faszinierend.
       
       Man kann das als naive Sportbegeisterung abtun, die teuer zu bezahlen und
       mit [2][irreparablen Eingriffen in die Natur] verbunden ist. Das war
       tatsächlich in der Vergangenheit manches Mal so. Und es war und ist ein
       Grund dafür, warum in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in Deutschland,
       sondern in vielen westlichen Demokratien die Skepsis gegenüber Bewerbungen
       wuchs und zu Ablehnung wurde.
       
       Das führte dazu, dass selbst [3][Olympische Winterspiele an Peking]
       vergeben wurden. Was dann wiederum für viel Kritik sorgte. „Wenn wir
       wollen, dass die Spiele in stabilen Demokratien stattfinden, dann müssen
       sich diese Länder auch bewerben“, sagte Berlins Regierungschef Kai Wegner
       am Dienstag – zu Recht.
       
       Auch das Argument des Gigantismus zieht nicht mehr: Nachhaltigkeit ist
       fester Bestandteil der Bewerbung. Es sind ja auch schon alle Sportstätten
       da, die lediglich zu sanieren sind. Was aber mit Blick auf das
       Olympiastadion – das glücklicherweise nicht zu einem reinen Fußballstadion
       geworden ist – auch schon für die Fußball-Europameisterschaft nächstes Jahr
       passiert.
       
       Und die Wirtschaftlichkeit? Für die [4][Special Olympics jüngst in Berlin],
       für die Fußball-EM, für die Spiele im nächsten Jahr in Paris, gibt es laut
       Senat Berechnungen und Prognosen, laut denen der Austragungsort davon
       immens profitiert. Neben aller sportlichen Begeisterung, die der Kern einer
       Bewerbung sein muss, wären die Spiele tatsächlich jene „Riesenchance für
       die Stadt“, von der Wegner am Dienstag sprach.
       
       Von dieser Begeisterung ist grundsätzlich auszugehen: Sie war bei den
       Mehrfach-Europameisterschaften 2022 in München zu erleben, genauso wie bei
       den Finals in Berlin oder den Special Olympics. Und sie ist in Berlin jedes
       Wochenende zu erleben, wo vor vielen, vielen tausend Zuschauern oft vor
       vollen Häusern Fußball oder Volleyball gespielt wird.
       
       Kurzum: toller Sport und wirtschaftlicher Gewinn für die Stadt bei
       mininalem neuen Eingriff in die Natur. Bleibt der schon mehrfach geäußerte
       Einwand, dass die Spiele in Berlin 2036 genau 100 Jahre nach den
       Nazi-Spielen an gleicher Stelle stattfinden würden. Dabei ist das umso mehr
       ein Anlass, sich gerade für jenes Jahr zu bewerben: Um selbst dem Letzten
       zu zeigen, der es bisher nicht glaubt, dass Berlin es anders kann als 1936.
       Stefan Alberti
       
       ## Nein
       
       „We will wait for you“, steht auf einem Pflasterstein in der Hand eines
       vermummten Punks – Gerichtet ist die eindeutige Video-Botschaft an die
       Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die sich
       folgerichtig dann auch gegen Berlin als Austragungsort der Olympischen
       Spiele entscheiden.
       
       Das war vor 30 Jahren. Heute sind die Olympia-Gegner*innen nicht mehr so
       militant wie 1993. Leider. Denn die Argumente von damals gelten heute umso
       mehr: Die stets klamme Hauptstadt kann sich diese Milliarden-Euro teure
       Prestigeveranstaltung einfach nicht leisten. Und sollte es auch gar nicht
       wollen. Denn bei der Frage, wer von diesem nationalistischen
       Massenspektakel [5][100 Jahre nach den Nazi-Festspielen] von 1936 überhaupt
       profitiert, fällt die Bilanz für Berlins Bevölkerung überhaupt nicht gut
       aus: Während der für Untreue, Vetternwirtschaft und Korruption
       berühmt-berüchtigte IOC eine Gewinngarantie hat und riesige steuerfreie
       Profite erhält, ohne jegliche finanzielle Haftung übernehmen zu müssen,
       bedeutet Olympia für die Steuerzahler*innen vor allem hohe Kosten mit
       zweifelhaftem Nutzen.
       
       Zum einen zeigen die [6][laufenden Haushaltsverhandlungen] deutlich, dass
       die zweistelligen Milliarden-Beträge, die die Wettkämpfe voraussichtlich
       kosten werden, an anderer Stelle mehr als dringend gebraucht werden: Die
       [7][soziale Arbeit steht kurz vor dem Kollaps], die Pflege ist längst
       selbst ein Pflegefall, Schulgebäude verfallen zunehmend, an allen Ecken und
       Enden fehlt es an Personal. Und selbst beim Sport selbst, der vermeintlich
       von dem Spektakel profitiert, landet das Geld nicht dort, wo es gebraucht
       wird: Die kleinen, wenig prestigeträchtigen Sportstätten oder Schwimmbäder
       werden auch mit Olympia weiter verfallen, während der Spitzensport
       ordentlich gepampert und die Kommerzialisierung im Sport weiter
       vorangetrieben wird.
       
       Was geht mich das an?, mag sich die eine oder der andere Sportmuffel
       fragen. Nun, spätestens wenn die Preise allenthalben steigen und die Mieten
       noch weiter in die Höhe schießen, dürfte auch dem und der Letzten klar
       sein, dass Olympia in der Hauptstadt des Mietenwahnsinns keine gute Idee
       ist.
       
       Doch dann wird es zu spät sein. Das Geld schon in den Taschen von
       IOC-Funktionär*innen und der versprochene Profit für Berlin auf dem Konto
       von Hotelbesitzer*innen, Airbnb-Anbieter*innen und
       Bierbike-Betreiber*innen. Aus Angst, dass die Berliner*innen sich von
       den teuren Werbe-Videos nicht blenden lassen und den Raubzug der Konzerne
       durch ihre Staatskasse durchschauen werden, plant der schwarz-rote Senat
       entgegen vorheriger Versprechen auch [8][keine Volksbefragung]. Stattdessen
       nimmt er mit seinem Beschluss die Entscheidung der Stadtbevölkerung vorweg.
       Mit Demokratie hat dieses Großevent eben genauso wenig zu tun wie mit
       Völkerverständigung oder Solidarität.
       
       Aber wenn die Berliner*innen eins können, dann direkte Demokratie. Sei
       es mit Unterschriftenlisten oder vermummten Punks. Mögen die Spiele
       beginnen. Marie Frank
       
       14 Nov 2023
       
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