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       # taz.de -- Adventskalender (1): Ein echter Kracher
       
       > Heimische Walnüsse gibt's selten zu kaufen – noch. Denn die
       > Walnussmeisterei in Herzberg hat sie alle. taz-Adventskalender „Kannste
       > nicht meckern“ (1).
       
   IMG Bild: Na, sind Sie auch so ein alter Knacker? Dann nichts wie ran!
       
       Es gibt sie noch, die nicht ganz so schlechten Dinge – auch wenn sie
       derzeit rar gesät sind. In diesem Advent zaubern wir jeden Tag etwas
       Meckerfreies aus unserem Kalender. Sei's kulinarisch oder klimatisch, mobil
       oder musikalisch. Lassen Sie sich überraschen. 
       
       Berlin taz | Diese Nuss ist der Hammer: Locker doppelt so groß wie eine
       Walnuss aus dem Supermarkt, hat sie die Ausmaße einer kleinen Kinderhand.
       Sie schmeckt aromatisch und mild, nur der Name irritiert etwas: „Dicke
       Polin“ heißt die Riesennuss, die im Hofladen der [1][Walnussmeisterei in
       Herzberg im Landkreis Ostprignitz-Ruppin] in Brandenburg angeboten wird.
       Der Name ist schnell erklärt: Die dicke Nuss kommt aus dem Nachbarland.
       
       Vivian Böllersen baut im neunten Jahr Walnüsse an. Die ersten 200 Bäumchen
       hat sie 2015 in Velten im Landkreis Oberhavel auf rund 4,5 Hektar in die
       Erde gebracht. Gut Ding will Weile haben: Dieses Jahr hat sie nur kleine
       Mengen ernten können – pro Baum „einen Blumenkübel voll“. Diese Nüsse
       werden gewaschen und getrocknet und „sind zum Verkosten da oder kommen in
       den Schaukasten“, sagt Böllersen. Rund 30 verschiedene Sorten baut sie mit
       ihrem siebenköpfigen Team an.
       
       Im Schaukasten des Hofladens liegen bereits Exemplare der Roten Donaunuss –
       eine ist geöffnet, der dunkelrote Kern ist zu sehen. Andere Sorten tragen
       Namen wie „Esterhazy“, „Finkenwerder Deichnuss“ oder „Hospozin“, eine aus
       Tschechien stammende Nuss mit fast pinkem Kern. „Es gibt noch viel mehr
       Sorten“, sagt Böllersen, „aber in Supermärkten kriegt man meist nur
       Walnüsse aus Kalifornien.“
       
       Die Jungunternehmerin ist in Neukölln groß geworden. Als ihre Familie nach
       Rudow zog, stand dort im Garten ein großer Walnussbaum. Dieser Baum hat, so
       ließe sich behaupten, ihr Leben beeinflusst. Denn nach dem Abitur studierte
       Böllersen Ökolandbau an der [2][Hochschule für nachhaltige Entwicklung
       Eberswalde]. Für ihre Masterarbeit beschäftigte sie sich mit dem Potenzial
       des ökologischen Walnussanbaus in Deutschland.
       
       ## Selten auf freier Flur
       
       Ein unbestelltes Feld, sozusagen: „In den letzten 30 Jahren wurden selten
       Walnussbäume gepflanzt“, erklärt Böllersen. Die meist älteren Exemplare in
       Brandenburg stehen vor allem in Gärten. „Je wärmer und südlicher die
       Region, desto mehr finden sich Walnussbäume auf freier Flur.“ In den
       hiesigen Wäldern aber gleich gar nicht: „Dafür wachsen sie zu langsam.“
       
       Vivian Böllersen könnte lange Referate halten, zum Beispiel darüber, wie
       die Nazis auf die Walnuss als leichte wie energiereiche Marschverpflegung
       setzten, oder wie die Walnuss in der BRD wie in der DDR ein Nischendasein
       führte, auch weil nicht gezüchtet, sondern lediglich selektiert wurde.
       „Einen kommerziellen Anbau gab es hier nie, der Selbstversorgungsgrad war
       aber durch die vielen Hofbäume sehr hoch – fast auf jedem Grundstück in
       einigen Regionen.“ Ganz anders in Frankreich oder den USA, aber auch in
       Ungarn, sagt Böllersen. „Gerade in Frankreich gibt es eine
       jahrhundertelange Tradition.“
       
       Jetzt also auch in Brandenburg: In Velten wachsen nun alte deutsche Sorten
       neben ertragreicheren französischen Züchtungen. Wie die Bäume mit Sandboden
       und Trockenheit zurechtkommen? Das werden die nächsten Jahre zeigen. „Wir
       sammeln Erfahrungen“, sagt Böllersen und schiebt hinterher, man müsse
       „Idealismus wagen“.
       
       Weil von Idealismus allein niemand leben kann, kauft Böllersen für ihr noch
       junges Unternehmen „Überbrückungsware“ ein. Das sind regionale Walnüsse aus
       Brandenburger Gärten, auch aus Leipzig und Magdeburg. Andere kommen in
       Bioqualität aus Familienbetrieben in Ungarn oder der Slowakei. In 10 bis 15
       Jahren, schätzt Böllersen, kommt sie mit der eigenen Ernte über die Runden.
       
       Der Markt ist da: Die Walnuss ist gefragter denn je, nicht nur bei vegan
       lebenden Menschen. Denn mit ihrem hohen Anteil essenzieller Fettsäuren ist
       sie ein perfekter, eiweißreicher Energielieferant. „Eine Handvoll Walnüsse
       am Tag oder etwas Walnussöl sind einfach gesund.“ Und wer denkt in der
       Advents- und Weihnachtszeit nicht an Walnüsse?
       
       ## Leerstelle Logistik
       
       Anbauflächen, Logistik und Infrastruktur dagegen sind große Leerstellen. So
       gesehen darf Vivian Böllersen als Pionierin gelten. Seit 2017 lebt sie mit
       Mann und Kindern in Herzberg und betreibt die Walnussmeisterei, seit 2018
       gibt es den Hofladen, auch eine Baumschule hat sie aufgebaut. Seit 2020
       knackt eine Maschine die Nüsse. Die kann man mieten – oder überlässt das
       Knacken der Meisterei. Böllersen liefert Kerne an Bäckereien, Restaurants
       oder Unverpackt-Läden, sie lässt daraus Mehl, Senf und Brotaufstrich
       herstellen, Likör und Öl.
       
       Ein Mitarbeiter von Böllersen bringt gerade Walnusssetzlinge in die Erde,
       damit sie gut über den Winter kommen. Zwischen 45 und 100 Euro kosten sie,
       je nach Sorte. Falls noch jemand ein nachhaltiges Weihnachtsgeschenk sucht.
       
       1 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.walnussmeisterei.de/
   DIR [2] https://hit.hnee.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hergeth
       
       ## TAGS
       
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