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       # taz.de -- Incel-Urteil in Kanada: Frauenhass ist Terror
       
       > Ein kanadisches Gericht stufte einen Mord, der von einem Incel begangen
       > wurde, als Terrorismus ein. So wird die Ideologie hinter der Tat
       > sichtbar.
       
   IMG Bild: Im Incel-Weltbild, auf der Täter-Opfer-Dichotomie begründet, ist der einzige Ausweg die Täterschaft
       
       Vor dreieinhalb Jahren [1][erstach ein 17-Jähriger] vor einem Massagesalon
       in Toronto die 24-jährige Angestellte Ashley Arzaga und verletzte vor dem
       Salon einen Mann und eine Frau mit Messerstichen. Nach dem Grund für die
       Tat mussten die Behörden nicht lange suchen. Auf dem Messer stand ein
       sexistischer Spruch, in der Tasche des Teenagers war ein Zettel, der Gewalt
       gegen Frauen propagierte.
       
       Am Mittwoch wurde er deswegen nicht nur wegen Mordes, [2][sondern auch
       wegen Terrorismus] zu lebenslanger Haft verurteilt, denn er gab an, von
       „Incels“ gebrainwashed worden zu sein. „Incels“ („Involuntary Celibates“)
       sind Männer, die sich darüber definieren, dass sie unfreiwillig im Zölibat
       leben. Kanadische Behörden stufen sie als „gewalttätig-extremistische
       Bewegung“ ein, wohl auch, weil sie in Toronto schon einmal einen Attentäter
       hervorgebracht hat.
       
       2018 tötete ein 25-Jähriger auf einer Amokfahrt elf Menschen, auch er gab
       an, ein „Incel“ zu sein. Damals wurde die Tat allerdings nicht als
       terroristisch eingestuft. Die Richterin vermutete nicht die Ideologie,
       sondern den Geltungsdrang des Täters als Hauptmotivation. Diesem Urteil lag
       ein fundamentales Missverständnis der „Incels“ zugrunde.
       
       Für [3][„Incels“] besteht die Welt aus „Stacys“ und „Beckys“, also mehr und
       minder attraktiven Frauen, die nur „Chads“ begehren, also Alpha-Männer, wie
       sie Tyler Durden in „Fight Club“ verkörpert. „Alphas“ haben Erfolg,
       Selbstbewusstsein und bestimmte Körpermerkmale, markante Kieferknochen zum
       Beispiel. Wer das nicht vorzuweisen hat, ist ein „Beta“ und bleibt dieser
       Ideologie nach auf der Strecke. „Incels“ zählen sich zu den „Betas“ und
       verorten sich in einer Opfer-Position, denn das „Recht“ auf Sex und
       weibliche Aufmerksamkeit bleibe ihnen verwehrt.
       
       Feminist:innen als Zielscheibe 
       
       Ihren Frauenhass leiten „Incels“ also aus einem Gefühl der Machtlosigkeit
       ab. In einem Gesellschaftsbild, das auf einer Täter-Opfer-Dichotomie
       gründet, ist der einzige Ausweg aus dieser Machtlosigkeit die Täterschaft.
       In diversen Internet-Foren, u.a. auf Reddit, konstituiert sich diese
       Täterschaft über sprachliche Gewalt, Frauen werden zu Objekten degradiert,
       die verbal übel zugerichtet werden. Insbesondere Feminist:innen sind
       eine Zielscheibe, teils gab es auch organisierte Kampagnen gegen einzelne
       Personen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen.
       
       Bisher sind mehrere Shootings bekannt, bei denen Verbindungen des Täters
       zur Incel-Szene hergestellt werden konnten; nicht nur in den USA und
       Kanada, auch in England kam es 2020 zu einem Attentat. Dieses ist das
       erste, das ein kanadisches Gericht als terroristisch einstufte. Ob Staaten
       „Incels“ als extremistisch einstufen sollten, ist nämlich umstritten. In
       einem Statement begründete das kanadische Gericht seine jüngste
       Entscheidung damit, dass der Attentäter versucht habe, Frauen
       einzuschüchtern und Männer zu inspirieren.
       
       Dass es damit die kollektive Dimension der Gewalttaten vermeintlicher
       Einzeltäter anerkennt, ist enorm wichtig. Denn während „Incels“ deren Taten
       in der Vergangenheit stets für sich reklamierten, wurden diese in der
       Öffentlichkeit oft als Resultate individueller Pathologien verhandelt. Das
       ist eine grobe Fehleinschätzung. Wer nur gelten kann, indem er Gewalt
       verübt, hat nicht nur „Geltungsdrang“, sondern [4][folgt einer gefährlichen
       Ideologie].
       
       Indem das Gericht die Rolle, die diese für den Attentäter spielte,
       anerkennt, macht es diese Ideologie sichtbar und ermöglicht einen
       gesellschaftlichen Diskurs darüber. Das Urteil sollte jedoch nicht dazu
       verleiten, über die gesamtgesellschaftliche Dimension, die Gewalt gegen
       Frauen hat, hinwegzusehen. Sexismus beschränkt sich nicht auf
       „Incel“-Foren. Er ist alltäglich.
       
       1 Dec 2023
       
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