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       # taz.de -- Kritik am Meldewesen in Berlin: Adressen für alle!
       
       > Dass man sich nur mit Zustimmung des Vermieters an der Wohnadresse
       > anmelden kann, erschwert vielen Migrant*innen das Leben: Ein Bündnis
       > will das ändern.
       
   IMG Bild: Couch-Surfer haben es eh schwer, das Meldewesen macht es ihnen noch schwieriger
       
       Berlin taz | Ein Bündnis von spanischsprachigen MigrantInnen und
       Mieterinitiativen wie Kotti & Co fordert eine Änderung des Meldegesetzes,
       damit ZuwanderInnen sich einfacher in Berlin anmelden können. Um Druck
       aufzubauen, starten sie nun die [1][Kampagne „Anmelden für alle“]. „Die
       2015 eingeführte Wohnungsgeberbescheinigung bei der Anmeldung einer
       Wohnadresse muss wieder abgeschafft werden“, sagt Lucio Piccoli von der
       Initiative „Bloque Latinoamericano“ der taz.
       
       Das Problem: Viele Neu-BerlinerInnen aus dem Ausland finden zwar ein Zimmer
       oder eine Couch bei FreundInnen, dürfen sich dort aber nicht nicht
       anmelden, wenn der Vermieter das nicht erlaubt. Doch ohne offizielle
       Anmeldung, berichtet Piccoli, könne man weder ein Bankkonto eröffnen noch
       einen Arbeitsvertrag unterschreiben oder sich bei einer Krankenkasse
       anmelden. Man bekomme auch keine Steuer-ID und kein 49-Euro-Ticket.
       Betroffen seien viele ausländische Studierende und Menschen, die nur
       kurzzeitig zur Arbeit nach Berlin kämen.
       
       Ines Kuhn, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kennt
       das Problem. Die Berlinerin, die in ihrem eigenen Haus wohnt, wurde vor
       Jahren von dem Freund ihrer Nichte gefragt, ob er sich bei ihr anmelden
       darf: Der Student aus einem Nicht-EU-Staat wohnte bei Kuhns Nichte in einer
       Mietwohnung. Doch das Untermietverhältnis konnte er nicht legalisieren,
       weil der Hausbesitzer die Genehmigung verweigerte.
       
       Ohne Meldeadresse bekam der Student aber seine Aufenthaltserlaubnis nicht
       verlängert und keinen Zugang zu einer Krankenkasse. Ines Kuhn: „Es hieß
       zuerst, das sei nur für wenige Wochen, bis der Vermieter dem
       Untermietvertrag zustimmte. Doch der stimmte nie zu, und daraus wurden
       schließlich drei Jahre.“
       
       ## Es drohen Bußgelder bis zu 50.000 Euro
       
       Auch deutsche StudentInnen wohnen mal in Berlin bei Freunden, wo sie sich
       nicht anmelden können. Wenn sie aber weiterhin bei den Eltern gemeldet
       sind, haben sie eine legale Anschrift und können sich beispielsweise
       krankenversichern und ein 49-Euro-Ticket kaufen. Mit der Bereitstellung
       einer Scheinadresse hatte Kuhn sich strafbar gemacht. Ihr hätte ein Bußgeld
       in Höhe von bis zu 50.000 Euro gedroht, wäre die Sache aufgeflogen.
       
       Nach den Schilderungen von Piccoli gibt es sogar Hausbesitzer, die mit der
       Bereitstellung einer Scheinadresse ein neues Geschäftsfeld entdeckt haben
       und Geld dafür nehmen. Gleichzeitig müssen die MigrantInnen aber dort Miete
       zahlen, wo sie tatsächlich wohnen. Auch der Berliner Flüchtlingsrat kennt
       die erpresserische Ausnutzung der Nöte Geflüchteter, die auf diese Weise
       zweimal Miete zahlen müssten. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat sagt der
       taz: „So schadet die Rechtslage vor allem vulnerablen Gruppen.“
       
       Piccoli von Bloque Latinoamericano fordert eine Entkriminalisierung von
       Hausbesitzern, die solidarische Scheinadressen anbieten sowie die
       Bereitstellung universeller Meldeadressen für ausländische Studierende und
       Arbeitskräfte. Obdachlose erhalten bei Wohlfahrtsverbänden eine
       Postadresse, unter der sie Post erhalten und Sozialleistungen beantragen
       können. Das ist aber keine Meldeadresse.
       
       Das Meldegesetz wurde 2015 auf polizeilichen Wunsch wieder geändert.
       Seitdem kann man sich bei den Bürgerämtern nur anmelden, wenn ein
       Wohnungsgeber bestätigt, dass man auch an der Adresse wohnt. Hintergrund
       ist wohl, dass StraftäterInnen häufig falsche Anschriften angegeben hatten
       und die Polizei sie dadurch nicht finden konnte.
       
       ## Flüchtlingsrat schließt sich Forderung an
       
       Der Berliner Flüchtlingsrat schließt sich der Forderung der Initiativen an.
       Denn es würde auch für Flüchtlingsheime eine deutliche Entlastung bringen,
       wenn sich BewohnerInnen ohne Erlaubnis eines Hausbesitzers bei Freunden und
       Verwandten zur Untermiete anmelden dürften. Dann würden mehr Plätze in
       Gemeinschaftsunterkünften bereitstehen, ohne dass diese neu gebaut werden
       müssten.
       
       Barnickel vom Flüchtlingsrat sagt: „Nach unseren Informationen ist etwa
       jeder zehnte Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft ein sogenannter
       Außenschläfer.“ Das heißt, er benötigt das Wohnheim lediglich als
       Meldeadresse, der Platz ist aber frei. Wohnheimbetreiber verpflichten diese
       Außenschläfer Barnickel zufolge sich zweimal pro Woche im Wohnheim zu
       melden, dort zu schlafen und ihre Post abzuholen.
       
       Dies geschehe, um nicht wegen Abrechnungsbetrugs belangt zu werden, aber
       auch, um den Flüchtlingen nicht die Meldeadresse zu nehmen, die sie
       dringend brauchen. Die Heimbetreiber wiederum haben dadurch die
       Möglichkeit, kranken, alleinreisenden oder „schwierigen“ BewohnerInnen
       einen „Außenschläfer“ ins Zimmer zu legen, so dass sie de facto die meiste
       Zeit allein leben. Barnickel: „Für das Land hat es den Nachteil, dass mehr
       Unterkünfte gebaut werden müssen, als tatsächlich gebraucht werden.“
       
       Die Kampagne „Anmeldung für alle“ startet am Dienstag (19 Uhr) mit einer
       Diskussionsveranstaltung im Grünen Salon der Volksbühne
       
       3 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://anmeldung-fuer-all.wixsite.com/berlin/de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
       ## TAGS
       
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