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       # taz.de -- Berliner Behindertenparlament 2023: Ein leicht verständlicher Austausch
       
       > In Berlin haben sich 100 Menschen mit Behinderungen versammelt, um über
       > Inklusion zu diskutieren. Präsident Christian Specht hat dafür lange
       > gekämpft.
       
   IMG Bild: Gelebte Teilhabe: Stimmberechtigte des Behindertenparlaments am 03.12 im Abgeordnetetenhaus Berlin
       
       Berlin taz | [1][Christian Specht] steht stolz auf dem roten Teppich im
       Eingangsbereich des Berliner Abgeordnetenhaus. In einer Videobotschaft,
       unterlegt mit dynamischer Musik, sagt er kämpferisch in die Kamera: „Wir
       brauchen noch mehr Erfolg, dann hören die Leute uns mehr zu und nehmen uns
       ernst.“
       
       Christian Specht setzt sich seit Jahrzehnten für die politischen Belange
       von Menschen mit Behinderungen ein. Auch in der taz meldet er sich
       regelmäßig in [2][Bildkolumnen] oder auf Redaktionskonferenzen zu Wort,
       sein Schreibtisch hat seit Langem einen festen Platz im Haus. An diesem
       Samstag, am Vorabend des Internationalen Tags für Menschen mit
       Behinderungen, sitzt er auf dem Podium im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses
       und präsidiert über das [3][Berliner Behindertenparlament.]
       
       100 Menschen mit Behinderungen haben sich hier versammelt, um über
       Inklusion zu diskutieren und diese einzufordern. Dafür sind die Berliner
       Senatorin für Bildung [4][Katharina Günther-Wünsch (CDU)] sowie
       Staatssekretärinnen für Gesundheit und Pflege, für Kultur sowie für Wohnen
       und Inneres gekommen, um Rede und Antwort zu stehen. Auch die Berliner
       Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) ist mit dabei.
       
       Neben einer Fragerunde an die Politiker:innen steht die Diskussion und
       Abstimmung [5][neuer Anträge] auf dem Programm. Um an dem Parlament
       teilzunehmen, hatten sich 200 Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige
       und Unterstützer:innen im Vorfeld beworben. Die Stimmberechtigten
       wurden per Losverfahren ausgewählt.
       
       Das Thema gelebte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen treibt Christian
       Specht, Präsident und Initiator des Parlaments, schon lange um. Inspiriert
       von einem Besuch beim Bremer Behindertenparlament 2018, machte sich Specht
       auf die Suche nach Mitstreiter:innen, um ein ähnliches Format in Berlin auf
       die Beine zu stellen. Dieses Jahr kommt das Berliner Behindertenparlament
       bereits [6][zum dritten Mal] zusammen.
       
       Lücken im Sozialsystem werden sichtbar 
       
       Damit alle dem Inhalt folgen können, gibt es neben der Standardsprache auch
       Dolmetschungen in Gebärdensprache, Leichter Sprache, Schriftsprache. Für
       Pausen gibt es einen Ruheraum. Doch ruhig geht es im Plenarsaal nicht
       gerade zu: „Wenn ein Elternteil seinen Job aufgibt, weil die Verwaltung
       keine Pflegeassistenz organisiert bekommt, ist das ein politischer
       Skandal“, sagt ein sehbehinderter Mann bei der Fragerunde und erntet dafür
       viel Applaus. Eine Teilnehmerin hatte zuvor einen solchen Fall geschildert.
       Seit drei Jahren warten die Eltern darauf, dass die Senatsverwaltung der
       schulpflichtigen Tochter eine Pflegekraft organisiert. Nun musste ein
       Elternteil seinen Beruf aufgeben.
       
       Fehlende Sozialleistungen, mangelnde Barrierefreiheit bei Arztpraxen, nicht
       genügend rollstuhlgerechte Wohnungen – bei der Fragerunde werden viele
       Lücken im Sozialsystem sichtbar, unter denen Menschen mit Behinderungen
       leiden. Aber es kommen auch Themen aus anderen Bereichen zur Sprache. Was
       plant Berlin zum Thema Katastrophenschutz für Menschen mit Behinderungen,
       will eine der Teilnehmerinnen wissen. Wann wird sich das Onlineticketsystem
       für die Buchung von Tickets für Rollstuhlfahrer:innen verbessern,
       fragt jemand anderes. „Ich hoffe, ich kann beim nächsten
       Behindertenparlament berichten, dass wir sehr viel weiter gekommen sind“,
       sagt die Staatssekretärin für Kultur. Für Aufregung sorgt der Spontanbesuch
       von Bürgermeister Kai Wegner (CDU). „Es geht darum, Inklusion tatsächlich
       zu leben, und ich würde mich freuen, wenn wir weiter vorankommen“, betont
       er in einer kurzen Rede.
       
       Wirklich ins Gespräch kommen die Teilnehmenden mit den Politiker:innen
       aber erst in den Pausen. Die meisten tummeln sich um [7][Ellen Haußdörfer],
       zuständig für Gesundheit und Pflege. Sie ist seit sieben Monaten
       Staatssekretärin. Sie lobt das Format, weil sie so die verschiedenen
       Bedürfnisse von Betroffenen besser verstünde: „Wir können gar nicht in
       Gänze nachvollziehen, was diese Menschen mit ihren Familien und Angehörigen
       durchleben, weil sie sich nicht gehört fühlen“, sagt sie.
       
       Die komplexen Verwaltungsstrukturen und Zuständigkeiten stellen immer
       wieder Hürden dar, wie etwa in dem Fall der Berliner Schülerin ohne
       schulische Pflegebetreuung. Das sieht die Senatorin für Bildung, Jugend und
       Familie Katharina Günther-Wünsch (CDU), ähnlich. „Wenn Kinder diesen
       Förderbedarf haben, dann müssen wir da alle Akteure an den Tisch holen, um
       gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten“, sagt sie.
       
       Die Teilnehmenden sind zufrieden: „Das ist wirklich phänomenal hier“, lobt
       einer die Politiker:innen. Am Nachmittag geht es etwas nüchterner weiter.
       Das Parlament zieht Bilanz über die siebzehn Anträge aus dem letzten Jahr.
       Und die sieht nicht allzu gut aus: Auf drei von [8][siebzehn Anträgen] gibt
       die Senatsverwaltung gar keine Antworten, keiner der Anträge wurde in die
       Tat umgesetzt, nur drei wurden ansatzweise auf den Weg gebracht.
       
       Das hat das Parlament aber nicht davon abgehalten, neue Anträge zu
       verfassen. Dieses Jahr sind es aber nur sieben, die unter anderem mehr
       Anstrengungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt, mehr Beteiligungsrechte
       für Menschen mit Behinderungen sowie mehr Zugang zu Sportstätten und
       -aktivitäten fordern. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe hört sich die
       Anträge geduldig an und versichert, diese an die Senatsverwaltung
       weiterzutragen. Wie viele diesmal unbeantwortet bleiben, wird sich zeigen.
       
       3 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Christian-Specht/!a36997/
   DIR [2] /mit-behinderung/Specht-der-Woche/!p5044/
   DIR [3] https://www.behindertenparlament.berlin/
   DIR [4] https://www.parlament-berlin.de/Abgeordnete/katharina-gunther-wunsch
   DIR [5] https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/6b82adaec60bfce0f823e31f8162c278205407/BBP_Antraege_fuer_das_Behindertenparlament_2023.pdf
   DIR [6] https://www.youtube.com/watch?v=ZU_KWdaLruE
   DIR [7] https://www.haussdoerfer.de/
   DIR [8] https://www.behindertenparlament.berlin/antraege/2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabina Zollner
       
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