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       # taz.de -- Regisseurin über Sex unter Jugendlichen: „Einverständnis ist ein Prozess“
       
       > Molly Manning Walker hat mit „How to Have Sex“ einen Film über
       > Geschlechterrollen bei Jugendlichen gedreht. Es gehe immer noch viel um
       > die männliche Lust.
       
   IMG Bild: Tara (Mia McKenna-Bruce) beim Feiern auf Kreta
       
       Ihre Karriere begann Molly Manning Walker als Kamerafrau, bei
       preisgekrönten Kurzfilmen, Musikvideos oder auch dem Sundance-Gewinner
       „Scrapper“. „How to Have Sex“ ist ihr erster eigener Spielfilm als
       Regisseurin. Er handelt von der 16-jährigen Tara, die mit ihren besten
       Freundinnen zum Partyurlaub nach Kreta fliegt, wo zwischen Disco, Pool und
       jeder Menge Alkohol vor allem Sex das große Thema ist. Auch weil Tara
       selbst noch nie welchen hatte. 
       
       taz: Frau Manning Walker, über [1][Ihren Kurzfilm „Good Thanks, You?“], in
       dem es um einen sexuellen Übergriff ging, haben Sie vor drei Jahren gesagt,
       dass die Arbeit daran die teuerste Therapiesitzung Ihres Lebens war. Lässt
       sich Ähnliches nun auch über [2][„How to Have Sex“] sagen? 
       
       Molly Manning Walker: Nicht mehr so wirklich. Die Aufarbeitung meiner
       eigenen Erlebnisse liegt hinter mir. Dieses Mal war die Arbeit am Film
       weniger therapeutisch als von einem Gefühl der Selbstermächtigung bestimmt.
       Und wurde vor allem zu einer richtig kollektiven Erfahrung. Denn die
       meisten Frauen haben das, worum es in „How to Have Sex“ geht, in der einen
       oder anderen Form schon erlebt: diesen Druck, Sex haben zu müssen, obwohl
       sie dazu eigentlich nicht oder noch nicht bereit sind.
       
       War das eine überraschende Erkenntnis für Sie? 
       
       Ich hatte mir natürlich keine Illusionen darüber gemacht, dass viele Frauen
       mit dem Thema Erfahrungen haben. Das Ausmaß war mir allerdings tatsächlich
       nicht unbedingt klar. Praktisch jede einzelne Frau, die irgendwie an diesem
       Projekt beteiligt war, hatte den Eindruck, schon vergleichbare Situationen
       in ihrem Leben hinter sich zu haben.
       
       Dadurch, dass Ihre Geschichte nun im Partyurlaub einer britischen
       Mädchenclique spielt, die gerade mit der Schule fertig ist, kommt auch ein
       übermäßiger Alkoholkonsum ins Spiel … 
       
       Stimmt, in England lernen wir den Umgang mit Alkohol wirklich gar nicht,
       weswegen wir da gerade in der Jugend sofort von null auf 1.000 gehen und
       voll über die Stränge schlagen. Aber das eigentliche Problem, um das es im
       Film geht, hat nichts mit Alkohol zu tun. Frauen erleben diese Dinge immer
       wieder, auch ohne dass ein einziger Drink im Spiel ist.
       
       Wie haben Sie mit Ihrer jungen Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce und den
       anderen recht unerfahrenen Schauspieler*innen an der Geschichte
       gearbeitet? 
       
       Wir hatten da einen sehr flexiblen Ansatz. Als Basis diente uns eine lange
       Improvisationsphase. Die Figuren und ihre Hintergrundgeschichten haben wir
       mehr oder weniger gemeinsam entwickelt. Natürlich gab es auch ein Drehbuch
       mit ausgearbeiteten Szenen und Dialogen. Aber ab dem zweiten Take haben wir
       meistens gesagt: Vergesst mal, was da geschrieben steht und probiert selbst
       aus, was euch für eure Figuren einfällt. Ich war immer offen dafür, wenn
       jemand neue und andere Ideen hatte.
       
       Bei der Premiere des Films in Cannes sagten Sie, dass Sie darauf hoffen,
       mit dem Film eine Diskussion anzustoßen. Welche genau? 
       
       [3][In den letzten Jahren ist viel über Einverständnis gesprochen worden],
       wenn es um Sex geht, doch irgendwie ist das Thema zu einer Angelegenheit
       geworden, in der es nur Schwarz und Weiß gibt. Die Frage, ob jemand ja oder
       nein gesagt hat, greift in meinen Augen zu kurz. Wenn es darum geht, dass
       zwei Menschen selbstbestimmt eine gute Zeit miteinander haben wollen, muss
       zumindest für den Moment eine emotionale Bindung und wirkliches Verständnis
       da sein. Da ist das Einverständnis ein anhaltender Prozess, nicht bloß der
       eine Moment, in dem jemand „ja“ sagt, und das gilt dann für den Rest der
       Begegnung. Ich würde mir wünschen, dass ein Bewusstsein dafür entsteht,
       dass man einander fortlaufend im Blick behalten muss – und dass
       Einverständnis auch eine nonverbale Sache sein kann. Ein Gespür zu haben
       für die Emotionen meines Gegenübers ist einfach essenziell. Denn warum
       würde ich Sex haben wollen mit jemandem, der wütend oder aufgebracht
       aussieht?
       
       Die Frage ist immer auch ein bisschen: In wessen Verantwortung liegt es,
       jungen Menschen das beizubringen? 
       
       Es würde schon mal sehr viel bringen, wenn überhaupt mal eine echte
       Auseinandersetzung mit dieser Thematik beginnt. Sei es in Gesprächen
       zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern oder auch ganz schlicht
       unter Freunden. Am meisten im Argen liegt es allerdings in den Schulen,
       zumindest in Großbritannien. Sexualkunde wurde in meiner Schulzeit zum
       Beispiel ziemlich lapidar behandelt. Ein Kondom über eine Banane zu ziehen,
       war da schon das Höchste der Gefühle. Dabei ist das für junge Menschen
       heutzutage das geringste Problem.
       
       Wo Sie gerade Freundschaften ansprechen: „How to Have Sex“ zeigt auch, wie
       kompliziert Gruppendynamiken und sozialer Druck sein können, wenn es um Sex
       geht. Kennen Sie das aus Ihrer eigenen Jugend? 
       
       Vermutlich wissen die meisten von uns, wie wahnsinnig wichtig und prägend,
       aber eben auch sprunghaft und zerbrechlich Freundschaften in der Pubertät
       sind. Ich habe mit meinen Freundinnen selbst so einen Partyurlaub gemacht,
       als ich 16 Jahre alt. Wir waren in Spanien, und vieles, was ich nun im Film
       zeige, basiert auf den Erlebnissen von damals. Inklusive des
       Blowjob-Wettbewerbs auf der Bühne. Wie krass und einprägend das war, habe
       ich mir damals natürlich gar nicht bewusst gemacht, sondern erst Jahre
       später. Aber mit dieser Reise verbinde ich auch einige der schönsten
       Erinnerungen meines Lebens. Deswegen war es mir ganz wichtig, nun auch im
       Film ganz viel Freude und Euphorie zu zeigen. Die emotionalen Höhen und
       Tiefen liegen ja gerade in dem Alter so dicht beieinander wie nie.
       
       Basiert das Skript ausschließlich auf Ihren eigenen Erfahrungen? 
       
       Es ist aus meinen Erinnerungen erwachsen, ohne notwendigerweise
       autobiografisch zu sein. Außerdem war es mir wichtig, auch die Perspektive
       heutiger Teenager in die Geschichte einfließen zu lassen, schließlich bin
       ich selbst inzwischen 30 Jahre alt. Wir haben diverse Workshops mit 16- bis
       19-jährigen veranstaltet und mit ihnen über Sex und Einverständnis
       gesprochen. Ich war ein wenig erstaunt, wie wenig sich verändert hat. Es
       waren immer noch vor allem die jungen Mädchen, die gesagt haben, es sei vor
       allem wichtig, nicht zu kurze Röcke zu tragen und zu viel zu trinken. Und
       unter Jungs werden nach wie vor die, die am meisten Sex haben, als echte
       Kerle und Legenden gefeiert.
       
       Würden Sie sagen, dass ein Teil dieser Problematik dezidiert mit der
       Dynamik zwischen Frauen und Männern zu tun hat und damit womöglich vor
       allem ein heterosexuelles Problem ist? 
       
       Manches daran sicherlich, denn um die Frau-Dynamik herum ist unsere
       Gesellschaft natürlich größtenteils aufgebaut. Und so offen und fluide die
       jüngeren Generationen heutzutage ja geworden sind, wächst man noch immer
       erst einmal in diese heteronormativen Strukturen hinein. Natürlich ist es
       auf keinen Fall so, dass die Frage nach dem Einverständnis beim Sex nicht
       auch im queeren Kontext von größter Relevanz ist. Aber tatsächlich erlebe
       ich dort einen anderen Umgang damit und weniger Druck. Für schwule Männer
       kann ich natürlich nicht sprechen. Aber ich habe guten Sex wirklich erst
       erlebt, seit ich mit Frauen schlafe.
       
       Ohne zu pauschal werden zu wollen, aber der Ball liegt in dieser Hinsicht
       ohne Frage bei uns Männern, nicht wahr? 
       
       Die Konversation und Auseinandersetzung mit diesem Thema müssen bei den
       Männern beginnen, wenn sich etwas verändern soll. Und zwar nicht, weil
       pauschal alle Männer sich falsch verhalten, sondern schlicht, weil unsere
       Welt rund um die männliche Lust und ein männliches Verständnis von Sex
       gestrickt ist. Bis heute gibt es viel zu wenig Aufmerksamkeit und
       Verständnis für weibliche Lust und guten Sex für Frauen. Wenn wir endlich
       anfangen würden, offen und ehrlich darüber zu sprechen und diese beiden
       Pole mehr in Einklang miteinander zu bringen, wäre das schon mal eine
       einschneidende Veränderung.
       
       5 Dec 2023
       
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