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       # taz.de -- Gesichterkennung zur Terrorabwehr: Der Mensch erkennt am besten
       
       > Die Gewerkschaft der Polizei fordert Videoüberwachung mit Software zur
       > Gesichtserkennung auf Weihnachtsmärkten. Chaos Computer Club hat
       > Vorbehalte.
       
   IMG Bild: Irritierend aber leicht wiederzuerkennen: verkleideter Hund auf dem Weihnachtsmarkt
       
       Bremen taz | Die [1][Angst vor Terroranschlägen auf Weihnachtsmärkte] ist
       mit dem Krieg der Hamas gegen Israel zurückgekehrt – und die Gewerkschaft
       der Polizei nutzt dies, um ihre Forderung nach mehr Videoüberwachung und
       [2][Anwendung von Gesichtswiedererkennungs-Software] zu erneuern. „Das
       bräuchten wir jetzt“, sagte am Montag in der ARD deren aus Bremen
       stammender Vorsitzender Jochen Kopelke. „Das setzt Ressourcen frei und dann
       können wir mehr Streifen, bürgerfreundliche Polizeiarbeit auf
       Weihnachtsmärkten, aber auch in Innenstädten machen.“
       
       Im Gespräch mit der taz erinnerte Kopelke an ein aus seiner Sicht
       erfolgreiches [3][Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz] von Sommer
       2017 bis Sommer 2018. Dort hatten Videokameras in bestimmten
       gekennzeichneten Bereichen gefilmt; die Aufnahmen wurden in Echtzeit von
       Software daraufhin ausgewertet, ob bestimmte freiwillige Test-Personen zu
       sehen waren. In der Realität wären dies „echte“ Straftäter:innen oder
       Gefährder:innen, von denen Bildmaterial vorhanden ist.
       
       Nach Darstellung des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer hatten
       sich die getesteten Systeme [4][„in beeindruckender Weise bewährt], so dass
       eine breite Einführung möglich ist“. So seien in acht von zehn Fällen die
       Test-Personen zuverlässig wiedererkannt worden. Falsche Wiedererkennungen
       habe es nur in 0,1 Prozent der Fälle gegeben.
       
       Zweifel an dieser positiven Darstellung der Ergebnisse hatte der Chaos
       Computer Club, [5][der den Abschlussbericht des Bundesinnenministeriums
       aus]wertete. Die Trefferquote von 80 Prozent sei eine rechnerische, heißt
       es in der Stellungnahme der Hackervereinigung aus dem Oktober 2018. Der
       Wert werde nur erreicht, wenn alle drei getesteten Systeme zugleich zum
       Einsatz kämen. „Tatsächlich ist das durchschnittliche Ergebnis des Versuchs
       für das beste der drei Testsysteme die peinliche Zahl von 68,5 Prozent.“
       
       ## Viele Fehlalarme
       
       Auch die Falscherkennungsrate sei geschönt und liege mit 0,67 Prozent
       höher. „Bei einer durchschnittlichen Anzahl von etwa 90.000 Reisenden pro
       Tag am Bahnhof Südkreuz hieße ein solcher Wert, dass täglich 600 Passanten
       und mehr fälschlich ins Visier der biometrischen Installation gerieten“,
       schrieben die Hacker.
       
       In all diesen Fällen müssten Polizeibeamt:innen entscheiden, ob sie
       dem Computeralarm nachgehen und die Personen überprüfen. Vorstellbar sei,
       dass sie bei so vielen Meldungen auch dann einmal nicht reagieren, wenn ein
       tatsächlich gesuchter Straftäter auf dem Bildschirm erscheint. Auch den
       Versuchsaufbau hielt der Chaos Computer Club für unbrauchbar. So seien die
       Testpersonen in hoher Auflösung mit guter Beleuchtung fotografiert worden.
       
       Tatsächlich sind die vorhandenen Aufnahmen von bekannten
       Straftäter:innen oder Gefährder:innen selten gestochen scharf. Sie
       können auch nur in grober Auflösung vorliegen oder unscharf, bei schlechten
       Lichtverhältnissen aufgenommen. Zudem bemängelte der Chaos Computer Club
       die geringe Anzahl der Testpersonen und dass diese „kein aussagekräftiges
       Abbild der Bevölkerung“ in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Ethnie
       dargestellt hätten.
       
       Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke kritisierte dennoch, dass das Projekt
       der computergestützten Gesichtswiedererkennung aus politischen Gründen
       nicht weiter verfolgt wurde. Das hat in erster Linie mit
       datenschutzrechtlichen Überlegungen zu tun. Derzeit berät das EU-Parlament
       über den Umgang mit solchen Systemen. Zwischendurch hatte es sogar so
       ausgesehen, als würde die Wiedererkennung in Echtzeit ganz verboten werden.
       Jetzt soll den Ländern offenbar doch ein größerer Spielraum eingeräumt
       werden, [6][wie das Mediennetzwerk Euractiv vor einem Monat meldete.] So
       könnte es sein, dass sie zur Verhinderung oder Aufklärung schwerer
       Straftaten doch erlaubt wird.
       
       Eine Alternative zur Gesichtswiedererkennung mit künstlicher Intelligenz
       sind Menschen, die besonders gut darin sind, Personen wiederzuerkennen, von
       denen sie nur Bilder kennen und die sich seit dieser Aufnahme stark
       verändert haben – [7][so genannte Super Recognizer.] Diese werden in
       Deutschland in sieben Bundesländern bei der Polizei sowie bei der
       Bundespolizei eingesetzt.
       
       Bisher gebe es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die einen Vorteil
       der künstlichen Intelligenz gegenüber solchen Personen bewiesen, schreibt
       Meike Ramon, Professorin für kognitive Neurowissenschaften [8][auf der
       Homepage ihres Instituts an der Universität Lausanne]. Es scheine viel
       dafür zu sprechen, dass Menschen besser mit schwierigen Bedingungen zurecht
       kommen, heißt es weiter. Ramon ist führende Spezialistin für menschliche
       Super Recognition.
       
       Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke hält nichts vom Einsatz der Super
       Recognizer. Das sei zu personalaufwändig und nicht notwendig, weil es
       technische Lösungen dafür gebe.
       
       7 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Islamistische-Terrorgefahr/!5977130
   DIR [2] /Gesichtserkennung-im-Netz/!5655672
   DIR [3] /Video-Ueberwachung-am-Suedkreuz/!5607914
   DIR [4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2018/10/gesichtserkennung-suedkreuz.html
   DIR [5] https://www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz
   DIR [6] https://www.euractiv.de/section/innovation/news/ki-gesetz-eu-abgeordnete-erwaegen-eingeschraenkte-gesichtserkennung/
   DIR [7] /Hype-um-Super-Recognizer/!5948941
   DIR [8] https://afclab.org/faq
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eiken Bruhn
       
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