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       # taz.de -- Neues Album von „Die Quittung“: Die Alten wundern sich doch
       
       > „Einfrieren“ ist ein stilistisch austariertes Popalbum der Leipziger Band
       > „Die Quittung“. Ihre Songtexte haben die Gegenwart im Blick.
       
   IMG Bild: Josen Bach in Leipzig
       
       „Und du bist nicht da / Weil du viel zu viel sein willst / Alles bleibt,
       wie es war / Weil es viel zu viel sein will“, singt Josen Bach zu
       beschwingten Begleitakkorden über den Stillstand. Eine Analyse von
       gesellschaftlichen Krisensymptomen, gleich zu Beginn des Albums von Die
       Quittung.
       
       Es heißt „Einfrieren“ und ist die zweite Veröffentlichung der Leipziger
       Band, die erste beim Berliner Indielabel Staatsakt. Ihre eingängigen
       Melodien, ein dominantes Klavier und bratzig-brillante Synthie-Einwürfe
       klingen nach Pop. Die Geste ist dann eher Punk, aufgeräumt und sauber
       gespielt, garniert mit Gitarrensolo.
       
       Josen Bach – noch bürgerlicher: Johannes Döpping – ist bisher vorrangig als
       Schlagzeuger in Erscheinung getreten. In seiner Band Die Quittung ist er
       als Sänger und Songwriter präsent. Oft steht seine Stimme zwischen Sprechen
       und Singen im Fokus.
       
       Manchmal klingt sie kratzig und gepresst, manchmal tief und dunkel. Bachs
       Sprechstil spart sich jedes Verklausulieren und die Texte wirken stets so
       deutlich formuliert, wie für unverblümte Beschreibungen nötig: „Ein
       Vollidiot zeigt dir den Weg / Jung sein, alt sein, gar nichts sein / Im
       Internet steht, wie es geht“.
       
       ## Texte wie Gedankenweitsprünge
       
       Seine Texte sind aneinandergereihte Gedankenweitsprünge, präzise
       beobachtete Szenen und Gefühle. Egal, ob jenseits der Vierzig, wie der
       Verfasser, oder doch eher Mitte 20, mit Fragezeichen vor der Zukunft.
       
       Trotz Selbstironie und regelmäßigem Abgleiten ins Abstruse wird die
       Position des Sprechers deutlich: Die Quittung geht auf Kollisionskurs mit
       der stagnierenden Gegenwart, einer leistungsorientierten
       Konkurrenzgesellschaft, die Selbstoptimierungszwang als
       Selbstverwirklichung verkauft: „Glatt sein, durchschlüpfen, reinpassen /
       Sich alles trauen und dann doch nichts machen“, heißt es da und „Wir leben
       länger, weil wir besser sind!“
       
       Mit dem markanten Gesang als roter Faden ist „Einfrieren“ im meist warmen,
       manchmal rauen Sound aus einem Guss produziert. Musikalisch bleibt es
       wandlungsfähig. Neben Klavier und Synthesizer, Gitarre und Bass tauchen
       gelegentlich auch flirrende Streicherarrangements auf, wie in der behutsam
       orchestrierten melancholischen Ballade „Lachen“.
       
       In „Kapsel“ und „Reden“ steckt Funk, an anderen Stellen blitzt schummriger
       Jazz auf. [1][Kleine geräuschhafte Momente verraten einen Detailblick für
       Sounds], wie die zarte, schwebende Fläche beim Auftakt von „Eintauchen“ mit
       glockengleichen, vereinzelten Gitarrentönen, die einem langen Luftholen
       gleicht.
       
       ## Aktiv in der Szene
       
       Dass Josen Bach Schlagzeug studiert hat, macht sich in dessen
       Ausdrucksvielfalt immer wieder bemerkbar – im gleichen Stück setzt ein
       leiser trommelnder Wirbel ein, die Drums rahmen die dynamischen Bögen des
       Gesangs filigran und begleiten zurückhaltend mit dem umherwandernden Bass.
       
       Auf der Bühne ist Die Quittung zu viert: An den Drums sitzt dann Angela
       Requena, Steffi Narr spielt Bass und Jan Frisch, wie auch auf den
       Aufnahmen, bedient die Gitarre. Bach und Frisch sind und waren auch in
       anderen Projekten involviert, etwa bei Aua Aua und mit Gwen Kyrg.
       
       Überhaupt ist Josen Bach in der Leipziger Szene sehr aktiv. [2][Er spielt
       als Schlagzeuger mit Modus Pitch und bei Warm Graves]. Für das Video zu
       „Eingestiegen“ hat er mit der Multimediakünstlerin Klara Spunk
       zusammengearbeitet, deren Schnipselcollage mit der gleichen
       Selbstverständlichkeit vormals unzusammenhängende Bilder neu verbindet wie
       der Songtext seinen Inhalt: „Eingestiegen, nicht mehr rausgekommen / Und
       vollgebaut, Welt verstanden“.
       
       Das Album endet nach zehn Stücken wie in einer Coda – das schwer
       dahinschreitende Finale „Level3“ mit den sich ziehenden und flimmernden
       Streichern steckt voller inhaltlicher Querverweise auf die anderem Songs:
       „Die Alten schauen zu / Wundern sich nicht / Wundern sich doch / Es wird
       weitergefeiert, weitergebaut / Weitergesoffen, weitergeklaut / Und
       weitergewonnen, weiterverloren / Weitergezittert, weitergefror’n …“ In
       einer ereignislosen Kontinuität hat sich der handfeste Zweifel am Großen
       und Ganzen als Basis manifestiert.
       
       29 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Techno-Produzent-Kassem-Mosse/!5919336
   DIR [2] /Debuetalbum-von-Modus-Pitch-aus-Leipzig/!5902211
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tabea Köbler
       
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