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       # taz.de -- Grünen-Parteitag und Migrationspolitik: Regierungsfähigkeit contra Moral
       
       > Die Basis stellt sich hinter die Parteispitze. Den Antrag der Grünen
       > Jugend gegen Verschärfungen in der Migrationspolitik lehnt der Parteitag
       > ab.
       
   IMG Bild: Omid Nouripour und Robert Habeck beobachten die Delegierte bei der Abstimmung über die Migrationspolitik
       
       Karlsruhe taz | Nach einer emotionalen Debatte hat der Parteitag den
       [1][Kurs der Grünen-Führung] in der Asyl- und Migrationspolitik klar
       unterstützt. Mit großer Mehrheit lehnten die Delegierten in der Nacht
       [2][einen Antrag der Grünen Jugend] ab, die alle Grünen in
       Regierungsverantwortung verpflichtet hätte, sich nicht an Verschärfungen
       für Geflüchtete jeglicher Art zu beteiligen. Auch nicht an Verhandlungen
       über weitere sichere [3][Drittstaaten] und nicht an [4][Schnellverfahren an
       Außengrenzen].
       
       „Ich kann diese Forderung nicht einhalten“, sagte Annalena Baerbock in der
       Debatte. „Soll ich die Verhandlungen über Grenzsicherung meinem ungarischen
       Kollegen überlassen, weil ich darüber nicht mehr verhandeln darf?“ Es sei
       besser, mit am Tisch zu sitzen, als ihn zu verlassen, sagte die
       Außenministerin.
       
       Es ist der politische Höhepunkt des Parteitags, der von der Parteiführung
       ganzen Einsatz verlangte. Beide Parteivorsitzenden, zwei Bundesminister,
       dazu die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt griffen als
       gesetzte Redner in die Debatte ein.
       
       ## Habeck spricht von Misstrauensvotum der Basis
       
       Robert Habeck versprach, dass die Botschaft der Grünen Jugend zu den
       Verschärfungen bereits angekommen sei: „Kompromisse in der Regierung haben
       Grenzen“. Aber der Antrag sei ein Misstrauensvotum und „die verkleidete
       Aufforderung: Verlasst die Regierung!“ Dem widersprach die frühere
       Bundesvorsitzende [5][der Grünen Jugend], Sarah-Lee Heinrich: „Wir wollen
       nicht das Ende dieser Regierung. Wir wollen den Anfang einer anderen
       Asylpolitik.“
       
       Am Ende stimmt der Parteitag [6][einem Antrag] zu, in dem einer der
       Kernsätze lautet: „Steuerung, Ordnung und Rückführung gehören zur Realität
       eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu. Es braucht legale und
       sichere Wege zu uns, jenseits einer menschenfeindlichen Festung Europa
       einerseits und unkontrollierter Grenzen andererseits.“
       
       Während es den einen um Regierungsfähigkeit der Grünen und eine Asylpolitik
       in schwierigem europäischen Umfeld geht, geht es der Grünen Jugend um Moral
       und den Umgang mit dem einzelnen Geflüchteten. Die Jungen dominieren dank
       hoher Beteiligung die geloste Rednerliste. Es sei unehrlich über Ordnung zu
       reden, während im Mittelmeer Menschen sterben, sagt der Delegierte Vasili
       Franco. Und Leon Schlömer aus Köln wünscht sich: „Lasst uns die Partei
       sein, die nicht sagt, im großen Stil abschieben, sondern kein Mensch ist
       illegal“. Sie werfen der Parteispitze vor, „an den härtesten
       Asylrechtsverschärfungen der letzten 30 Jahre beteiligt zu sein.“
       
       ## „Liebe zu den Menschen heißt nicht Liebe zum Koalitionspartner“
       
       Und die Vorsitzende der Grünen Jugend, Katharina Stolla erinnert an den
       Slogan der Grünen: Politik aus Liebe zu den Menschen. Das heiße es, „nicht
       aus Liebe zum Koalitionspartner“. Die Kommunalpolitikerin Lisa Baumann aus
       Oberhausen sagt: „Uns belasten nicht die Geflüchteten. Es fehlt in den
       Kommunen einfach an Geld.“
       
       Darauf können sich die Delegierten beider Lager einigen. Dass es heute an
       Wohnraum, Kita- und Schulplätzen mangelt, liegt nicht an Geflüchteten,
       sondern an mangelnden Investitionen der lange regierenden Großen Koalition.
       
       Die zweieinhalb stündige Debatte wird begleitet von regem Tippen und
       Telefonieren der Wasserträger der Parteiführung. Mehrheiten auf Parteitagen
       wollen organisiert sein.
       
       ## Hürden für Handelsabkommen
       
       Was passiert, wenn das nicht geschieht, hatte die Abstimmung zum
       [7][Handelsabkommen Mercosur] gezeigt. Der Parteitag hatte am Nachmittag
       mit knapper Mehrheit einen Antrag angenommen, der von Robert Habeck und
       Annalena Baerbock verlangt, das Handeslabkommen zwischen 30 Staaten der EU
       und Südamerika neu zu verhandeln. Noch in diesem Jahr soll es verabschiedet
       werden. Das wird wohl nicht geschehen, wie Fachpolitiker im Hintergrund
       erklären. Denn tatsächlich wird es nicht vom Votum der Grünen Partei
       abhängen, ob der Vertrag von den Partnerstaaten unterzeichnet wird. Viel
       mehr hängt alles davon ab, ob er noch vor Amtsantritt des unberechenbaren
       neuen Präsidenten Argentiniens Javier Milei über die Bühne geht.
       
       Beim Asyl hätte sich die Partei einen Beschluss, die ihre Ministerin in der
       Ampelkoalition solche Fesseln anlegt, nicht leisten können, heißt es aus
       der Parteiführung. Bis kurz vor der Debatte hatte die Antragskommission 130
       Änderungsanträge in den Text eingearbeitet. Am Ende geht es neben dem
       weitgehenden Änderungsantrag der Grünen Jugend um eine Überschrift: Die
       Formulierung „Humanität und Ordnung“ gewinnt nur knapp vor der Überschrift:
       „Humanität und Menschenrechte“.
       
       Doch vor dem Hintergrund der Erfolge populistischer Parteien und der Krise
       der konservativen Parteien in Europa geht es um mehr als Formulierungen in
       Parteitagsbeschlüssen. Katharina Stolla sagt nach der Abstimmung, es gebe
       ein klares Signal der Partei, dass man unzufrieden sei mit dem
       asylpolitischen Kurs der Ampelregierung. „Es braucht ein Ende der
       Scheinlösungen und endlich eine Politik, die Geflüchtete schützt.“
       
       Und es gibt die eine rote Linie, die auch die Parteiführung in der Debatte
       klar definiert: Den Erhalt des individuellen Rechts auf Asyl. Dass das
       infrage stehen könnte, zeigt [8][ein Beschluss der CDU Baden-Württemberg
       auf ihrem Landesparteitag vergangene Woche], auch anerkannte Asylbewerber
       nicht mehr ins Land zu lassen. Ausgerechnet jener Landesverband also, der
       mit [9][Winfried Kretschmann]s Grünen regiert.
       
       26 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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