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       # taz.de -- Krieg zwischen Israel und Hamas: Die explodierte Nicht-Lösung
       
       > Die Falle der Hamas ist aufgegangen: Der Märtyrer-Hydra wachsen immer
       > neue Häupter. Dagegen hilft das Unterscheiden von Bevölkerung und
       > Anführern.
       
   IMG Bild: Ein Panzer der iraelischen Armee steht am Grenzzaun zum Gazastreifen, 28.11.2023
       
       Auch sieben Wochen nach dem Attentat der Hamas, auch nach den langen Wochen
       dieses Krieges im Nahen Osten, auch nach Geiselfreilassungen und Feuerpause
       gilt das, was der ehemalige französische Außenminister Dominique de
       Villepin gesagt hat, immer noch: „Die Hamas hat uns eine Falle gestellt.“
       Und diese ist zugeschnappt.
       
       Die Falle besteht darin, dass es keinen Ausweg gab und gibt: Nicht auf den
       Terror zu reagieren, wäre schlecht gewesen. Dagegen vorzugehen wie die
       Israelis, ist schlimm. Beides aber dient der Hamas. Selbst die massiven
       Angriffe, auch und gerade die schrecklichen Bilder von den Verheerungen im
       Gazastreifen, sie folgten und folgen noch der Intention der Terrorgruppe.
       Die Falle, die die Hamas gestellt hat, ist die Falle des maximalen
       Schreckens, der maximalen Grausamkeit, so Villepin.
       
       Ihr Ziel ist es, jede Art von Frieden zu verhindern. Wie sie unverhohlen
       aussprechen. Absurderweise liegt gerade in diesem Ziel eine Art
       Spiegelverhältnis zwischen Netanjahu und der Hamas. Nicht in dem Sinne,
       dass diese Regierung – wie schlimm sie auch sein mag – mit einer
       Terrororganisation gleichzusetzen wäre. Aber es gibt zwei Momente solch
       einer Spiegelung.
       
       Da ist zum einen die jahrelange Politik, eine Zwei-Staaten-Lösung zu
       verhindern. Denn es war die Hamas, die seit den 1990er Jahren alle
       Friedensversuche torpediert hat.
       
       ## Die Fallenlogik der Hamas
       
       Und da ist zum anderen die Spiegelung einer religiösen Aufladung des
       Konflikts: Die Islamisierung auf palästinensischer Seite reflektiert in
       gewisser Weise den politischen Aufstieg der messianischen Siedler bis in
       die gegenwärtige Regierung auf israelischer Seite. Diese [1][jahrelange
       Nicht-Lösung] ist explodiert.
       
       Eine Explosion, die das Gegenteil einer Lösung ist. Auch darin besteht die
       Hamas-Falle: sowohl den schlechten Status quo ante einer Nicht-Lösung als
       auch jede mögliche positive Lösung zu verhindern. Ob die Hamas militärisch
       und damit auch politisch besiegt werden kann und um welchen Preis, ist nach
       wie vor offen. Nicht offen jedoch ist, und gerade darin liegt ja die
       Fallenlogik, dass sie auf diesem Weg ideologisch kaum einzudämmen ist. Wie
       einer Hydra scheinen ihr stets neue Häupter, neue „Märtyrer“ nachzuwachsen.
       
       Auch eine Ausweitung des Konflikts droht. Plötzlich findet man sich in
       einem Westen wieder, dessen Anderes, dessen Alternativen Iran, Hamas,
       Hisbollah, Erdoğan und Putin lauten. Alternativen, bei denen jedes linke
       antiwestliche Gefühl gefriert.
       
       Dachte man zumindest – bis vor ein paar Tagen Osama bin Ladens „Brief an
       Amerika“ einen völlig unerwarteten Hype auf Tiktok auslöste. Offenbar geht
       der ehemalige Al-Qaida-Anführer da als plausible antiwestliche Alternative
       durch. Sein Versuch, „Palästina“ zu jenem Symbol zu machen, um das sich
       Muslime weltweit versammeln, hat nun einen verspäteten paradoxen Effekt:
       Heute schart sich eine Tiktok-Blase um dieses Zeichen.
       
       Der einzige Lichtblick in dieser Nacht der Welt ist eine Differenz: die
       Differenz zwischen den Bevölkerungen und ihren Anführern. „Die Hamas ist
       nicht das palästinensische Volk. Netanjahu und Ben-Gvir sind nicht alle
       Israelis“, so der Historiker Simon Sebag Montefiore. Die Letzteren jeweils
       aber sind es, auf deren Rücken, mit deren Leben der Konflikt ausgetragen
       wird.
       
       ## Protestbewegung als Rückgrat der Zivilgesellschaft
       
       In Israel hat sich diese Differenz vor dem 7. Oktober nachhaltig
       artikuliert. Die [2][Protestbewegung ist das neue Rückgrat] der
       Zivilgesellschaft, so der Historiker Moshe Zimmermann.
       
       Was die palästinensische Differenz anlangt, so ist diese, zumindest in
       unseren Breiten, sehr viel stiller. Notgedrungen angesichts der autoritären
       Herrschaft der Hamas. Sie ist so leise, dass man dachte, es gibt sie
       überhaupt nicht. Aber manchmal lässt sie sich doch vernehmen.
       
       So zirkulierte kürzlich ein Video auf Twitter, wo eine wütende
       Gaza-Bewohnerin rief: „Das alles verdanken wir den Hunden von der Hamas“,
       so die verzweifelte Mutter über den Tod ihres Kindes. Es ist dies die
       zaghafte, aber einzige Stimme einer Hoffnung.
       
       1 Dec 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Isolde Charim
       
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