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       # taz.de -- Tödliche Radunfälle in Hamburg: Was tun?
       
       > In Hamburg starb Mitte November bereits der vierte Radfahrer in diesem
       > Jahr durch einen abbiegenden LKW oder Bus. Der ADFC fordert strengere
       > Auflagen.
       
   IMG Bild: Der Radfahrer überlebte nicht: Beamte dokumentieren den Unfallort am 18.11.23 in Hamburg
       
       Hamburg taz | Immer öfter sterben auf Hamburgs Straßen Radfahrer:innen
       bei Unfällen mit dem motorisierten Verkehr. Am Busbahnhof in St. Georg ist
       Mitte November ein Radfahrer bei einem Abbiegeunfall in Hamburg ums Leben
       gekommen. Der 33 Jahre alte Mann fuhr mit seinem Rennrad parallel zu einem
       Reisebus, dessen Fahrer beim Rechtsabbiegen den Radler übersah und tötete.
       
       Es ist bereits der vierte Unfall in diesem Jahr, bei dem Radfahrende durch
       ein abbiegendes Fahrzeug zu Tode kommen. Dabei sind so gut wie immer
       Lastkraftwagenfahrer:innen oder Busfahrer:innen die
       Unfallverursachenden.
       
       Ende Januar wurde eine [1][Frau in der Hafencity durch einen LKW getötet],
       während sie auf einer von der Stadt als besonders sicher beschriebenen
       Veloroute unterwegs war. Der LKW-Fahrer, dessen Fahrzeug mit einem nicht
       zugelassenen Abbiegeassistenten ausgestattet war, hatte die 34-Jährige
       nicht gesehen.
       
       Anfang Juni dann der nächste Unfall, erneut mit einem LKW als Verursacher,
       der beim Rechtsabbiegen vom Veddeler Bogen einen 62-jährigen Radfahrer
       tödlich verletzte. Der LKW hatte keine Assistenzsysteme, die den Unfall
       hätten verhindern können. Ende August, erneut ein LKW ohne Assistenzsystem,
       der beim Abbiegen auf den Parkplatz eines Supermarkts einen 15 Jahre alten
       Radfahrer tötete. Später wurde klar: Der Lastwagen hätte aufgrund seines
       Gewichts nicht einmal auf den Parkplatz fahren dürfen.
       
       „Die Zahl der ums Leben gekommenen Radfahrenden ist im Vergleich zu den
       Vorjahren deutlich gestiegen“ erklärt Dirk Lau, Sprecher des Allgemeinen
       Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Hamburg, im taz-Gespräch. Das belegen auch
       die Zahlen der Innenbehörde. So verzeichnete die Behörde in den Jahren 2021
       und 2022 je einen tödlichen Abbiegeunfall mit Radfahrer:innen. Nun hat sich
       die Zahl der getöteten Radfahrer:innen bei Abbiegeunfällen, Stand
       November, vervierfacht. Der ADFC fordert „wirksame Maßnahmen zum Schutz von
       Verkehrsteilnehmer*innen, die keinen tonnenschweren Mantel aus Blech
       haben“.
       
       Die Verantwortung für eine Implementation solcher Maßnahmen liegt zu einem
       Teil bei der Innenbehörde, die in Hamburg für Verkehrsunfälle zuständig
       ist, und zum anderen bei der Verkehrsbehörde. Auf die Frage, welche
       Maßnahmen die Stadt unternimmt, um Abbiegeunfällen vorzubeugen, antwortet
       die Innenbehörde der taz: Für eine Reduktion von Verkehrsunfällen „sind
       unter anderem Geschwindigkeitsreduzierungen und bauliche Veränderungen des
       Straßenverlaufes denkbar“. Dies sei insbesondere an Unfallhäufungsstellen
       der Fall.
       
       Dirk Lau weiß, wie sich das Unfallrisiko an solchen Stellen reduzieren
       ließe. „[2][Konfliktfreie Kreuzungsdesigns], getrennte Ampelschaltungen für
       die verschiedenen Verkehrsteilnehmenden, breitere Radspuren,
       [3][Tempolimits]“, sagt er, „um nur einige Maßnahmen zu nennen“. Auch wenn
       Radfahrende früher Grün bekommen und es markierte Flächen an Ampeln vor den
       wartenden Autos gibt, könnten Leben von Radfahrenden besser geschützt
       werden.
       
       Für eine effektive Ursachenbekämpfung sei das allerdings nicht ausreichend,
       findet der ADFC. Eine physisch getrennte Verkehrsführung von motorisiertem
       und nicht motorisiertem Verkehr, wie sie etwa in Berlin an der
       Tangentialverbindung Ost als schwebender Kreisverkehr geplant ist, ist nur
       für wenige Kreuzungen und mit langer Planung realisierbar. Deshalb solle
       der Status quo mit realisierbaren Mitteln verbessert werden: „Kontrollen
       der Abbiegegeschwindigkeit passieren nicht häufig genug, so was muss
       regelmäßig überprüft und sanktioniert werden, um in die Köpfe der Gefährder
       zu gelangen“, fordert Dirk Lau.
       
       17 Abbiegekontrollen habe es im Jahr 2023 gegeben, gibt die Innenbehörde
       an. Dazu seien weitere Kontrollen in den kommenden Wochen geplant. Bei
       Verstößen gegen die vorgeschriebene Abbiegegeschwindigkeit von 7 km/h für
       LKW drohen 70 Euro Bußgeld und ein Punkt.
       
       ## Das Märchen vom toten Winkel
       
       Das [4][„Forum Verkehrssicherheit Hamburg“] hat wenige Tage vor dem letzten
       Abbiegeunfall einen „Perspektivwechsel“ angeboten – Radfahrende und
       Fußgänger:innen konnten sich in einen LKW setzen, um die
       Sichtverhältnisse von LKW-Fahrer:innen nachzuvollziehen. „Es ist skandalös,
       dass die Polizei bei solchen Aktionen immer noch das Märchen vom toten
       Winkel verbreitet, seit 2007 müssen Spiegel so ausgerichtet werden, dass es
       keinen toten Winkel gibt“, sagt Lau. Ebenfalls skandalös sei es, dass die
       Polizei 14 km/h für „Schrittgeschwindigkeit“ halte. Tatsächlich sind es
       maximal 7 km/h.
       
       „Wenn wir nicht nächste Woche den nächsten toten Radfahrer beklagen wollen,
       brauchen wir jetzt wirksame Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten für LKW ohne
       [5][Abbiegeassistenten] oder eine Beifahrerpflicht.“ Zwar hat Hamburg nach
       eigenen Angaben seit 2020 die gesamte städtische Nutzfahrzeug-Flotte von
       1.500 Fahrzeugen ab 3,5 Tonnen für 3,5 Millionen Euro mit
       Abbiegeassistenten ausgestattet, jedoch machen diese Fahrzeuge mit 2,5
       Prozent nur einen kleinen Teil der in Hamburg zugelassenen Nutzfahrzeuge
       aus. Abbiegeassistenten sind erst seit einem Jahr für neue LKW und Busse
       verpflichtend, ältere Modelle können freiwillig nachgerüstet werden.
       
       30 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR [4] https://www.hamburg.de/sicherheit-verkehr/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Niklas Berger
       
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