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       # taz.de -- Gemeinsames Europäisches Asylsystem: Willkür statt Willkommen
       
       > Menschen in Not, die in Europa Schutz suchen, stehen noch härtere Zeiten
       > bevor. Sogar Minderjährige werden bei ihrer Ankunft erst einmal
       > eingesperrt.
       
   IMG Bild: Vor der Küste Libyens am 28. September 2023: 61 Migrant:innen wurden in Internationalen Gewässern gerettet
       
       Die Zeit lief für die Populisten. Was vor Jahren noch kaum denkbar war und
       was nur Hardliner wie Ungarns Premierminister Viktor Orbán vertraten, ist
       nun Konsens in Europa, dem selbsternannten „Raum der Freiheit, der
       Sicherheit und des Rechts“: Wer hier ankommt und Aufnahme sucht, ob alt, ob
       krank, ob jung, ob unbegleitet, wird erst einmal eingesperrt. Darauf
       verlassen, dass sein Schutzanspruch noch geprüft wird, kann er oder sie
       sich nicht mehr.
       
       Nach Jahren des Streits einigte sich die EU nun auf [1][ein neues
       Gemeinsames Asylsystem (Geas)]. Aus Angst vor der Stärke der rechten
       Populisten – und unter deren aktiver Beteiligung – schaffte die Union damit
       grundlegende Rechte für Menschen in oft großer Not ab. Der Umstand, dass
       man sie hier nicht will, findet dabei seine direkte juristische
       Entsprechung: Es wird getan, als seien sie gar nicht da.
       
       Die „Fiktion der Nichteinreise“, ein juristischer Trick, soll den Menschen
       in den Internierungslagern das vorenthalten, worauf sich Europa immer so
       viel zugutehält: das Recht, das hier gilt, zumindest in Teilen. So
       entrechtend die neuen Asylvorschriften, die Anfang kommenden Jahres formal
       beschlossen werden sollen, auch sind – noch schlimmer ist vielleicht das,
       was sie nicht regeln: Denn so viele Details lässt das Geas offen, so viele
       Ausnahmetatbestände wurden in die Regeln hineinverhandelt, dass Willkür nur
       wenige Schranken finden wird.
       
       Die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, werden umso karger sein. Kaum
       eine Regierung in der EU mochte am Ende noch beim Grundrechteabbau
       dagegenhalten. Die Grünen in der Ampelregierung hatten lange so getan, als
       vermochten sie das Ganze zu einem guten Ende zu bringen, hatten von
       Ausnahmen für Minderjährige, einem verbindlichen Verteilmechanismus
       gesprochen. Doch am Ende riss der Rat [2][alle menschenrechtlichen roten
       Linien] ein.
       
       ## Grüne Grundsätze verworfen
       
       Umso irritierender ist, wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock nun
       das Paket lobt, das schlichtweg [3][nichts von dem enthält, wofür ihre
       Partei angetreten ist]. Die neuen Gesetze richten sich indes nicht nur
       gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen jene, die ihnen helfen. NGOs können
       als „nichtstaatliche feindliche Akteure“ eingestuft werden, die die EU
       „destabilisieren“. Welche Möglichkeiten der Repression das eröffnet, ist
       leicht vorstellbar.
       
       Ist das also der letzte Stein in der „Festung Europa“? Kaum. Nicht einmal
       der Tod auf dem Mittelmeer hatte Menschen in der Vergangenheit
       abgeschreckt. Das Geas wird Menschen auf ihrem Weg entrechten, fernhalten
       wird es viele nicht.
       
       20 Dec 2023
       
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