# taz.de -- Jordanier:innen gegen Israel: Königreich für Waffenstillstand
> In Jordanien verurteilen viele Israels Angriffe auf Gaza – nicht aber das
> Massaker der Hamas. Doch abhängig ist man von guten Beziehungen mit
> allen.
IMG Bild: Protest in Solidarität mit den Palästinensern am 8. Dezember auf den Straßen von Amman
Amman taz | Schon immer musste das Königreich Jordanien wegen seiner
geopolitischen Lage einen Drahtseilakt vollführen. Seine 482 Kilometer
lange Grenze zu Israel und Palästina macht Sicherheitskooperationen mit dem
Nachbarland nahezu unvermeidbar, seine Ressourcen- und vor allem
Wasserarmut erfordert regionale Lösungen. Und so musste das Land, dessen
elf Millionen starke Bevölkerung gut zur Hälfte palästinensischer Herkunft
ist, eine Balance zwischen Solidarität mit der palästinensischen Sache und
geopolitischen Bedürfnissen finden.
Heute, nach dem Ausbruch [1][des Konflikts in Gaza], ist dieser Balanceakt
schwieriger geworden. Laut der jüngsten Umfrage des Center for Strategic
Studies der University of Jordan befürworten 66 Prozent der jordanischen
Bevölkerung weitgehend den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, lediglich 8
Prozent lehnen ihn komplett ab, und mehr als zwei Drittel betrachten den
Krieg als Genozid. Traditionell unterstützt die Mehrheit in Jordanien nicht
die Hamas. Doch es bestehen historische Verbindungen zu einigen Parteien
und Gruppen.
Das Ergebnis der Umfrage ist für Abdullah Jbour, Forscher für politische
Soziologie und Jordanien-Experte am Carnegie Middle East Center, nicht
überraschend. Der Angriff Israels werde in der Bevölkerung einstimmig
verurteilt. Und „seit dem 7. Oktober gewinnt die Hamas erheblich an
Unterstützung in der palästinensischen Gemeinschaft“, erklärt er.
Tatsächlich boykottieren immer mehr Jordanier*innen US-amerikanische
und westliche Produkte, die sie als proisraelisch ansehen. Restaurants
tauschen bei Erfrischungsgetränken die berühmten US-Marken gegen heimische
Alternativen, Filialen von westlichen Gastronomieketten bleiben halbleer.
Laut der Umfrage nehmen 93 Prozent der Jordanier*innen am Boykott teil.
Auch an Streiks beteiligten sich am Montag viele Menschen, um einen
Waffenstillstand in Gaza zu erzwingen. Geschäfte und öffentliche
Einrichtungen blieben geschlossen.
## Keine Reisen, keine Partys
Zudem melden Branchen wie der Tourismus seit Kriegsausbruch sinkende
Zahlen. Tourismusminister Makram Queisi sagte, die Abnahme der
Besucherzahlen hätte sowohl Hotels als auch Reiseagenturen getroffen.
Besuchten im Schnitt 5.000 Menschen pro Tag vor dem Konflikt die berühmte
Wüstenstadt Petra, kämen inzwischen lediglich um die 1.000 Tourist*innen,
bestätigte der Präsident der dortigen Tourismusbehörde, Fares Breizat,
gegenüber dem Sender Roya News. Auch Partys in Bars, Clubs und Restaurants
waren wochenlang ein Tabu.
Laut der Umfrage des Center for Strategic Studies glaubt mehr als die
Hälfte der Jordanier*innen, dass der Krieg wirtschaftliche Auswirkungen
in Jordanien haben wird, 39 Prozent haben ihr Ausgabeverhalten geändert.
Doch die Lage hat sich nicht nur in der Bevölkerung verschärft.
Am Sonntag warf Jordaniens Außenminister Ayman Safadi Israel die
„rechtliche Definition von Völkermord“ vor: „Was wir in Gaza sehen, ist
nicht einfach die Tötung unschuldiger Menschen und die Zerstörung ihrer
Lebensgrundlagen, sondern ein systematischer Versuch, den Gazastreifen von
seiner Bevölkerung zu befreien“, so Safadi am Sonntag in Katar.
Verschiedene israelische Minister*innen hatten sich in den vergangenen
Wochen wohlwollend zu einer Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung
aus Gaza geäußert, teils von einer weiteren Nakba gesprochen, teils von
„freiwilliger Auswanderung“. Ein Sprecher von Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu dagegen reagierte auf Safadis Äußerungen und erklärte explizit,
Israel habe nicht die Absicht, die Bevölkerung zu vertreiben. Safadis Worte
seien „unerhörte und falsche Anschuldigungen“.
## Deals auf dem Prüfstand
Erst kürzlich hat die Regierung zusätzliche Truppen an der Grenze zum
Westjordanland aufgestellt, offenbar als Warnung, dass eine Vertreibung von
Palästinenser*innen jenseits des Jordans nicht geduldet werde.
Premierminister Bisher al-Khasawneh sagte, sein Land werde „zu jedem
Mittel, das in seiner Macht stehe“, greifen, um dies zu verhindern.
Inzwischen hat Jordanien seinen Botschafter aus Israel abgezogen,
Feldlazarette und tonnenweise Hilfsgüter nach Gaza und ins Westjordanland
geschickt sowie Israels Angriff auf Gaza als Kriegsverbrechen bezeichnet.
[2][Den Deal „Wasser gegen Energie“], mit dem Jordanien entsalztes Wasser
aus Israel bekommen sollte, will das Königreich jetzt nicht unterschreiben.
Alle anderen Abmachungen mit dem Nachbarland inklusive [3][Friedensvertrag
von 1994] sollen ebenfalls überprüft werden. Ob sich dadurch etwas ändert,
ist fraglich. Premier Khasawneh hat laut Medienberichten bereits erklärt,
man werde das laufende Gasabkommen mit Israel nicht kündigen.
12 Dec 2023
## LINKS
DIR [1] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
DIR [2] /Umstrittene-Energiekooperation-in-Nahost/!5814644
DIR [3] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/537676/jordanien-nach-dem-friedensschluss-mit-israel/
## AUTOREN
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